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Wirtschaft braucht Kapitalmarkt

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Es hat oftmals den Anschein, als wäre man ich in Österreich nicht überall darüber im klaren, daß unsere Volkswirtschaft in Zukunft eine schwierige Bewährungsprobe zu bestehen haben Wird. Ungeachtet des konkreten Ergebnisses unserer Verhandlungen mit der EWG werden wir in naher Zukunft den Beweis dafür zu liefern haben, daß der imponierende Aufschwung unserer Wirtschaft in den Jahren seit dem Ende des zweiten Weltkrieges nicht zu Ende ist, sondern im Gegenteil die Wirtschaftskraft ausreicht, einen weiteren entscheidenden Schritt in der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes zu tun. Allerdings hängt die Sicherung des Wirtschaftswachstums unter stabilen Währungsverhältnissen auch in den kommenden Jahren von einigen Voraussetzungen ab, über die in Vorwahlzeiten nicht gerne gesprochen wind, weil sie ein für Wahlschlager allzu sprödes Material abgeben.

Wenn wir uns nämlich fraigen, wieso der wirtschaftliche Aufstieg zuwege gebracht werden konnte, so sind dafür neben der Wirtschaftshilfe, die Österreich zugekommen ist, auch einige andere Faktoren maßgebend gewesen, die in letzter Zeit etwas, in Vergessenheit geraten sind: Die vernünftige und verständnisvolle Zusammenarbeit, das Bemühen, die Produktivität der österreichischen Wirtschaft zu heben, D i s-z i p 1 i n und Maßhalten, sowie eine vernünftige Wirtschaftspolitik, die eine überaus hohe Investitionsrate sicherte. Ohne eine echte Renaissance dieser starken Kräfte wird Österreich seine kommenden wirtschaftlichen Probleme nicht lösen können, das muß jedermann klar sein. Alle Versuche, sich lediglich durch politischen Druck oder Ausnützen von Machtpositionen ein größeres Stück vom Sozialprodukt zu sichern, müssen in einer freien Gesellschaft zur Schwächung der Wirtschaftskraft, zur Aufweichung des Geldwertes und zu einer Verschlechterung der internationalen Konkurrenzfähigkeit führen.

In der richtigen Erkenntnis, daß das Wachstum und damit die Wohlstandssteigerung von der Investitionsrate abhängen, hat- sich die österreichische Wirtschaftspolitik bald nach dem Krieg bemüht, den Investitionsprozeß zu erleichtern und anzukurbeln. Ebenso wie in den meisten anderen westlichen Staaten bot sich hiefür vor allem eine Begünstigung der Selbstfinanzierung in irgendeiner Form an. In Österreich wurden zunächst mit Hilfe der Investitionsfee-günstigung und in weiterer Folge mit dem bis Ende 1963 gültigen Bewertungsfreiheitsgesetz der Investitionstätigkeit wesentliche Impulse verliehen.

Auch in Zukunft wird die Eigenfinanzierung eine wesentliche Rolle bei der Investitionsfinanzierung spielen, und es hieße die Funktionsweise unseres Wirtschaftssystems verkennen, wollte man der Eigenfinanzierung ihre Berechtigung und Notwendigkeit absprechen. Die Problematik liegt auf einer anderen Ebene. Wir müssen trachten, alle möglichen Wege der Investitionsfinanzierung nutzbar zu machen. Es ist eine unleugbare Tatsache in unserer industriellen Gesellschaft, daß in allen Staaten der westlichen Welt für das Wachstum der Wirtschaft wichtige Industrien überwiegend in der Rechtsform von Aktiengesellschaften geführt werden. Die umfangreichen Investitionsvorhaben dieser Unternehmungen können in fast allen westlichen Staaten nicht aus eigener Kraft finanziert werden, sondern müssen neues Kapital, neue Mittel für Investitionszwecke als Eigenkapital beschafften, und zwar auf dem Kapitalmarkt, in der Regel durch Ausgabe neuer Aktien. Es vergeht daher auch kein Tag, an dem nicht in ausländischen Zeitungen Neuemissionen großer Unternehmungen angekündigt werden. So selbstverständlich dieser Vorgang in anderen Staaten ist, so ungewohnt ist er in Österreich. Erst in der jüngsten Vergangenheit haben einige große Unternehmungen den Kapitalmarkt in Anspruch genommen, ohne daß freilich diese Emis-sionstätiigkeit der in anderen Staaten auch nur annähernd gleichkäme. In Österreich Wird der Kapitalmarkt fast ausschließlich von der öffentlichen Hand und von der Elektrizitätswirtschaft in Anspruch genommen.

Dieser Zustand könnte der österreichischen Wirtschaft in den kommenden Jahren, die wahrscheinlich durch einen noch stärkeren internationalen Wettbewerb gekennzeichnet sein werden, erhebliche Nachteile bringen und ihre Position gegenüber ausländischen Konkurrenten schwächen. Einen funktionsfähigen Kapitalmarkt kann man nicht von heute auf morgen aufbauen, ein derartiges Vorhaiben benötigt eine gewisse Anlaufzeit. Aus dieser Erkenntnis heraus wurde im Bundesministerium für Finanzen ein Konzept, das die Förderung der Kapitalbildung in Österreich zum Ziele hat, entworfen und zur Diskussion gestellt. Dieses Konzept sieht eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen vor, die dem österreichischen Kapitalmarkt neue Impulse verleihen sollen. Ich war mir dessen bewußt, daß ein derartiges Konzept, das rein unter fachlichen Gesichtspunkten erstellt wurde, vor der Wahl nur auf wenig Gegenliebe stoßen wird, weil es nicht sehr viel an Wahlschlagern hergibt. Wenn ich mich aber trotzdem entschlossen habe, dieses Konzept zur Diskussion zu stellen, so deshalb, weil die Sicherung des Wachstums der österreichischen Wirtschaft, die Sicherung der Lebensgrundlage des österreichischen Volkes auch in Wahl- und Vorwahlzeiten absolute Priorität genießen.

Im einzelnen sieht dieses Konzept zur Belebung des Kapitalmarktes folgende Maßnahmen vor:

Die Kosten der Emission sollen durch Ermäßigung oder Aufhebung der Gesellschaftssteuer verbilligt werden.

Weiter sollen Maßnahmen auf dem Gebiet der Körperschaftssteuer getroffen werden.Hier wurden zwei Varianten zur Diskussion gestellt. Eine generelle Ermäßigung der Körperschaftssteuer oder ein „Splitten“ des Körperschaftssteuersatzes, je nachdem, ob es sich um einen ausgeschütteten oder einbehaltenen Gewinnanteil handelt; ein ausgeschütteter Gewinnanteil sollte demnach niedriger besteuert werden.

Korrespondierend zu diesen Maßnahmen soll die Steuerbegünstigung der öffentlichen A n-leihen modifiziert werden, um die privilegierte Stellung der öffentlichen Hand am Kapitalmarkt abzubauen.

Daneben sieht dieses Konzept, in dem ja die Kapitalmarktmaßnahmen nur einen Abschnitt darstellen, weitere Maßnahmen zur Förderung der Kapitalbildunig vor allem im mittelständischen Bereich vor, auf die aber an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll — z. B. die Begünstigung nichtentnommener Gewinnanteile bei Einzelunternehmungen und Per-sonenigesellschaften, um von der staatlichen Wirtschaftspolitik her auch diesen Unternehmungen eine Hilfe für die Bewältigung der kommenden Aufgaben zu gewähren.

Gerade anläßlich der Wiener Herbstmesse, die eine der wichtigsten und bedeutendsten Leistungsschauen der österreichischen Wirtschaft darstellt, ist es nicht unangebracht, zu mahnen, auch wenn dies keine sehr angenehme Rolle ist. Wir sollten in Österreich die vor uns liegenden Aufgaben nicht zu gering einschätzen. Wir werden in den kommenden Jahren vielleicht viele wirtschaftliche Dinge nüchterner sehen müssen, als wir es heute tun, und wir sollten zur Kenntnis nehmen, daß es vor allem auf uns ankommen wird, wie wir die Zukunft meistern werden. Wirtschaftspolitische Auseinandersetzungen, die den Interessentenoder Parteienstandpunkt in den Vordergrund stellen und nicht die sachliche Lösung, werden unsere Wirtschaft nur schwächen.

Wir sind in Österreich wirtschaftspolitisch an einem Wendepunkt angelangt. An uns wird es in erster Linie liegen, ob die Neigung unserer Wirtschaftskurve weiter nach aufwärts zeigt oder nicht. Unsere Wirtschaftspolitik muß elastischer, anpassungsfähiger werden und ihr Instrumentarium vergrößern und ausbauen. Die Belebung des österreichischen Kapitalmarktes ist nur eine von verschiedenen Maßnahmen, die notwendig sind, um die Konkurrenzfähigkeit der österreichischen Wirtschaft zu sichern.

Wirtschaftswachstum ist mit einer Zunahme des Kapitals in einer Volkswirtschaft verbunden. Wir wissen, daß die Kapitalausstattung der öster- 1 reichischen Wirtschaft noch erheblich unter dem Durchschnitt der westlichen entwickelten Industriestaaten liegt, obwohl wir in den letzten Jahren ein überaus rasches Wirtschaftswachstum verzeichneten. Eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Aufgaben liegt daher eben darin, die Kapitalbildung auf einem möglichst hohen Niveau zu halten, wenn möglich sogar auszuweiten. Die Früchte einer derartigen Politik werden der gesamten österreichischen Bevölkerung zugute kommen. Wohlstandsvermehrung ohne Verbesserung der Kapitalausstattung ist schlechterdings unmöglich. Die Belebung des österreichischen Kapitalmarktes ist daher nichts anderes als der Versuch, die Kapitalbildungsmöglichkeiten in Österreich zu verbessern und dadurch beizutragen, den weiteren Aufstieg der österreichischen Wirtschaft zu sichern.

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