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Wirtschaftskommentar

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Die Dynamisierung der Renten, die in Österreich ab 1966 vollzogen wird, stabilisiert und perfektioniert österreichische Sozialpolitik in Bereichen, in denen sie bisher zwar beachtliche, aber doch keine systematischen Leistungen zu bieten vermochte. Gleichzeitig ist die Beschlußfassung über die Dynamische Rente auch ein nachträglicher Beweis für das Funktionieren der Koalition in einer sehr wesentlichen Sache, der nicht übersehen werden soll.

Die Massenkaufkraft der Aktiven hat eine Höhe erreicht, die noch vor 50 Jahren undenkbar gewesen wäre. Auch die Einkommen der Rentner sind laufend unter größten Opfern, vor allem für den Staatshaushalt, nachgezogen worden. Relativ stiegen die Renten sogar mehr als die Aktiveinkommen, ein Umstand, der jedoch zu keinen falschen Schlüssen führen darf, ist doch das sukzessive Nachzieverfahren bei den Renten auf einem bedenklich tiefen Ausgangsbetrag begründet worden und erfolgt zudem eher willkürlich; keinesfalls wies sich in den Sfeigerungsbefrägen eine funktionelle Beziehung zwischen der Entwicklung des Sozialprodukts und den Lebenschancen der Rentner aus. Die Folge war eine Art „relativer Verelendung” der Rentner, trotz einer beachtlichen absoluten Steigerung ihrer Einkünfte. Ab 1966 ist nun das Einkommen der Rentner an das beitragspflichtige Einkommen der Aktiven gebunden, wenn auch nicht synchron, sondern mit einer unvermeidbaren und vor allem der Stärkung der Kassenreserven dienenden zeitlichen Verzögerung. Gleichzeitig werden im Interesse • der Sicherung des laufenden Mehrbedarfes die Beiträge an die volkswirtschaftliche Produktivität adaptiert und die Höchstgrenzen der versicherungspflichtigen Aktiveinkommen dynamisiert, das heißt, laufend hinaufgesetzt.

Die Angleichung der Renten an das Aktiveinkommen, die übrigens bei öffentlich Bediensteten automatisch, also ohne spezifische Gesetzesakte, erfolgt (Pensionsautomatik), stellt für die Rentner eine geradezu kapitalisierbare steigende Einkommenshoffnung und eine Dynamisierung ihrer Konsumchancen dar. Die verbindlichen Zusagen an die Rentner, ihr Einkommen permanent, unter Be- dachtnahme auf die beitragspflichtigen Aktiveinkommen zu steigern, gehen freilich gleichzeitig von der Annahme aus, daß die Bedeckungschancen auf lange Frist im Maß des Ansteigens des Finanzbedarfes gesichert sind.

Die Zahl der Rentner steigt relativ, sei es infolge Herabsetzung des Alters, ab dem die Rente angesprochen werden kann (Altersnotstand), sei es wegen der Vermehrung der Zahl der Frühinvaliden („vorgezogener Altersnotsfand”). Auf der anderen Seite wird der Berufseintritt der jungen Menschen in unserem Land in einem bedenklichen Umfang verzögert. Die Folge ist, daß immer weniger für immer mehr sorgen müssen, was gleichzeitig bedeutet, davon aus- gehennd, daß die Je-Kopf-Produktivi- fät weiterhin gesichert ist. Dies hätte Beitragseinahmen zur Folge, die dem Ausgaben-Soll entsprechen würden.

Die versicherungstechnischen Bilanzen der westdeutschen Rentenversicherung (Siehe „Soziale Sicherheit”, Wien VIII/1965) sind auf den Erfahrungen der BRD mit der dynamischen Rente begründet und bilden als Rechenwerk die Basis für Voraus- schäfzung von Bedarf und Dek- kung bis 1986.

Deutsche Versicherungsmathematiker sind nun bei Interpretation der Zahlen der versicherungsfechnischen Bilanz der Ansicht, daß künftig die Belastung der Aktiveinkommen durch die Ausgaben für Rentner (bei einer Rentenhöhe von 60 Prozent des Aktivbezuges) bis auf 35 Prozent, wenn nicht höher, ansteigen wird (derzeit 14 Prozent plus 5 Prozent Staatszuschuß). Bei länger dauernder Massenarbeitslosigkeit könnten daher die bisherigen Rentenzusagen kaum in voller Höhe erfüllt werden, da die Renten zwar aus dem Durchschnitt der beitragspflichtigen Einkommen, jedoch ohne die Zahl der Einkommensempfänger und (daher) der Beifragszahler errechnet werden — sie sind also keine Produktivifätsrenten(l). Geht infolge größerer Arbeitslosigkeit die Zahl der Beitragszahler zurück, kann wegen der einseitgen Flexibilität der Löhne der Durchschnitfslohn trotzdem zumindest gleichbleiben. Die Renten müssen jedoch aus einem geringeren Beifragsaufkommen in gleicher Höhe bezahlt werden, unter Umständen an mehr Rentner, da bei großer Arbeitslosigkeit die älteren Arbeitslosen in einem steigenden Umfang versuchen („Sozialneurosen”), Rentenansprüche zu erhalten.

Für den Deckungsabschnitt 1967 bis 1976 erwartet man jedenfalls bereits infolge des Ansteigens der Zahl der Rentner eine Erhöhung der Ge- samtbelasfung einschließlich des Bundeszuschusses auf 22 bis 23 Prozent.

Die mit 1. Jänner 1966 erfolgte achte Rentenanpassung in der BRD, die zum Beispiel mit einer Erhöhung der Alfrenfen im Ausmaß von 8,3 Prozent verbunden ist, erfordert einen Mehraufwand von 1,9 Milliarden DM pro Jahr, welcher 9,4 Millionen Rentnern zufließt. Freilich wird nur ein Teil des Mehraufwandes als Realeinkommen auf die Rentner übertragen, da auch in der BRD die Preise als Folge der Prosperität erheblich angestiegen sind und zum Beispiel im Juli dieses Jahres um 4 Prozent höher waren als im Vergleichsmonaf des Vorjahres. Der Preisanstieg, den es wahrscheinlich im gegebenen Umfang bei Depression nicht gäbe, hat zur Folge, daß ein nicht unwesentlicher Teil der Mehrleistungen an die Rentner den Charakter von Teuerungszulagen hat, also lediglich der Stabilisierung der bisherigen Konsumchancen dient.

Die Renten betragen trotz aller und oft spektakulär avisierter Steigerungen nur einen Bruchteil des Einkommens der Aktiven; in der BRD die Hälfte, wenn man durchschnittliche Renfenhöhe und durchschnittliches Aktiveinkommen gegenüberstellt. Angesichts dieser Tatsache bedeutet eine Politik der Preisstabilisierung oder der Minimierung der Preiserhöhungen nicht nur Erfüllung wirtschaftspolitischer Forderungen, sondern hat auch eminenten sozialpolitischen Wert. Die dauernden Preissteigerungen, die freilich nicht selten subjektiv bestimmt sind und auch manchmal ein Allzuviel an Begehrlichkeit anzeigen, machen die Politik der Rentenanpassung vielfach zu einer nominellen, also fast illusionären Adaptierung an Konsumchancen, die in Wirklichkeit erheblich geringer sind als man anfänglich aus der Renfenhöhe vermutete. Mehr-Renten werden dann zu einem erheblichen Teil zu Renten-Illusionen. Wenn die Dynamisierung der Renten eine Dynamisierung der Lebens- und Konsumchancen sein soll, ist daher Preispolitik, besser Preisstabilisierung, ein Gebot der Sozialreform — wenn nicht der Nächstenliebe.

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