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Wirtschaftspolitik in der Doppelzone

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Die „Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes” hat noch rechtzeitig genug Gestalt erhalten, um bei der Ausarbeitung des deutschen Teils des Marshall-Plans gehört zu werden. Die Sonderabteilung Planung der Verwaltung für Wirtschaft hat in Zusammenarbeit mit der Verwaltung für Ernährung und Landwirtschaft und der Verwaltung für Verkehr und in ständiger Beratung mit den Stellen der Besatzungsmächte Entwürfe ausgearbeitet, die von Länderrat und Wirtschaftsrat schließlich gutgeheißen wurden. Durch die Beteiligung am Marshall-Plan gewinnt die Wirtschaftsplanung der Doppelzone erstmals einen zusammenhängenden Charakter und wird der Außenhandel — im Prinzip wenigstens — wieder zu einer Einheit zusammengefaßt. Durch den Plan ist ein Rahmen für eine einheitliche Wirtschaftspolitik gezogen.

Das Ziel der Gesamtplanung ist die 25prozentige Erhöhung der gewerblichen Erzeugung gegenüber dem Stand von 1947, das heißt eine Erhöhung auf 50 Prozent des Standes von 1936. Daraus ist schon zu ersehen, welchen wirtschaftlichen Verfall der völlige Zusammenbruch Deutschlands nach einem größenwahnsinnigen Krieg zur Folge hatte. Während in den westlichen Ländern im Jahre 1947 großenteils wieder der Stand der Gütererzeugung der Vorkriegszeit erreicht wurde, hat die industrielle Produktion der Vereinten Zone 1947 im Jahresdurchschnitt erst 39 Prozent betragen. Das zweite Ziel ist die Schaffung der güterwirtschaftlichen Voraussetzungen für eine weitere Steigerung der Produktion der Kohle, von Stahl und Eisen sowie die Erweiterung des Verkehrsmittelparks der Eisenbahn.

Der Kohleplan rechnet mit einer Erhöhung der durchschnittlichen arbeitstäglichen Ruhrkohleförderung von rund 250.0 Tonnen im Jahr 1947 auf rund 310.0 Tonnen im Jahre 1948/49. Bemerkt sei, daß der höchste Stand der Ruhrkohlenförderung einst bei 390.000 Tonnen lag. Im Interesse der wirtschaftlichen Neukonstruktion Europas soll sie erheblich über den früheren Höchststand hinaus gesteigert werden. Der Eisenplan sieht bei ausreichender Kohlezuteilung und Erzeinfuhr für das Wirtschaftsjahr 1948/49 eine Rohstahlerzeugung von 5,5 Millionen Tonnen vor. Dies bedeutet, daß die Erzeugung von rund 3 Millionen Tonnen im Jahre 1947 auf eine Leistung gebracht werden soll, die einer Jahreserzeugung von 6,24 Millionen Tonnen entspricht. Damit wäre die Deutschland im Industrieplan des Jahres 1947 zugebilligte Erzeugung von über 11 Millionen Tonnen noch bei weitem nicht ausgeschöpft.

Der Verkehrsplan beabsichtigt, den Bestand einsatzfähiger Waggons von 235.000 Ende 1947 durch Rückführung im Ausland befindlicher Waggons und durch Reparatur- und Neubauprogramme auf 300.000 zu erhöhen. Hier sind besondere Schwierigkeiten zu überwinden. Zur Bewegung der höheren Produktion wäre an und für sich ein Waggonbestand von 330.000 im ersten Vierteljahr 1949 erforderlich. Das Defizit beläuft sich wahrscheinlich auf 30.000 bis 60.000 Waggons.

Im Energieplan wird ein Mindeststrombedarf von 19 Milliarden Kilowattstunden gegen 15 Milliarden im Jahre 1947 angenommen. Hier sind außer den Reparaturen längerfristige Bau- und Einrichtungsarbeiten erforderlich, die teilweise im Gange sind, vor allem bei den Steinkohlekraftwerken. Der Ausbau von Wasserkraftwerken dürfte längere Zeit erfordern.

Der Landwirtschaftsplan sieht durch höhere Erzeugung und auch Einfuhr von Düngemitteln und landwirtschaftlichen Produktionsmitteln eine Wiedererhöhung der Leistung auf 80 Prozent des Standes von 1938 vor.

Der Einfuhrbedarf wurde mit rund 1 Milliarde Dollar angesetzt. Hauptposten sind chemische Hilfsstoffe, Düngemittel, Textilrohstoffe, Stahl und Eisen sowie NE-Metalle, Ausrüstungen für den Verkehr, Konsumgüter und Genußmittel, Mineralöle und Eisenerze. Hierin sind manche einmalige Posten vorgesehen, die nur bis zum Anlauf der darniederliegenden deutschen Produktion eingeführt werden sollen.

Für die Ernährung ist ein Gesamteinfuhrbedarf von 950 Millionen Dollar veranschlagt, also fast ebensoviel wie für die gewerbliche Wirtschaft. Das Ziel ist, durch Eigenproduktion der Landwirtschaft und durch die Einfuhr eine Versorgung des Normalverbrauchers mit 1800 Kalorien täglich zu ermöglichen. Die errechnete Summe des Einfuhrbedarfes ist also 1,96 Milliarden Dollar, während im Jahre 1947 die Gesamteinfuhr aus den verschiedenen Quellen nur rund 0,7 Milliarden Dollar betrug. An sich müßte der Einfuhrbedarf höher veranschlagt werden, wenn die in Aussicht stehenden Deckungsmöglichkeiten groß genug wären.

Über diese Deckung hat es viel Verwirrung in der Öffentlichkeit, in Deutschland wie im Ausland, gegeben. Die Zahlenangaben widersprachen sich, weil die verschiedenen Bestandteile der vorgesehenen Deckung von manchen Publizisten nicht klar genug auseinandergehalten wurden. So wurde in der französischen Presse der Ge- amteinfuhrbedarf für identisch gehaltenmit dem deutschen Anteil am Plan. Wir unterscheiden drei Quellen der Finanzierung: 1. den eigentlichen Marshall-Plan- Kredit (vor kurzem vom Administrator Hoffmann auf 434 Millionen Dollar beziffert); 2. den schon seit Beginn der Besatzung gewährten Kredit aus den Heereshaushalten der Besatzungsmächte, hauptsächlich aus dem Etat der USA; 3. die eigenen Ausfuhrerlöse der Doppelzone. Bekanntlich konnten die Westzonen Deutschlands ihren Nahrungsmittelbedarf in den Jahren vor dem zweiten Weltkrieg nur zu etwa 55 Prozent selbst decken, den Rest führten sie aus der Ostzone, dem Gebiet östlich der Oder-Neiße, und aus dem Ausland ein. Mittlerweile ist der Flächenertrag infolge Düngemittelmangel und dergleichen erheblich zurückgegangen, die Esser sind infolge Aufnahme von Flüchtlingen usw. trotz der Kriegsverluste von 3 4 Millionen auf rund 42 Millionen in der Doppelzone gestiegen. Die amerikanische und auch die britische Besatzungsmacht haben sich infolgedessen genötigt gesehen, „um Hunger und Seuchen zu vermeiden”, einen recht großen Teil der Ernährung auf Kosten ihres Staatshaushaltes in die beiden Zonen einzuführen. Es war schon länger geplant, diese Einfuhr zu erhöhen, u m dem Normalverbraucher wenigstens 1 800 Kalorien geben zu können, da man einsah, daß eine Belebung der Produktion sonst nicht zu erreichen ist. Infolgedessen soll der Kredit für die sogenannte Kategorie A der Einfuhr von etwa 650 Millionen Dollar auf etwa 800 Millionen Dollar erhöht werden.

Die eigenen Ausfuhrerlöse der Doppelzone werden mit rund 700 Millionen Dollar veranschlagt, während sie im Jahre 1947 erst 225 Millionen Dollar betrugen. Die Fertigwarenausfuhr belief sich 1947 auf nur 37 Millionen Dollar, sie soll in dem ersten Planjahr auf 290 Millionen Dollar erhöht werden. Es wird also eine gewaltige Anstrengung erforderlich sein. Die Rohstoffausfuhr wird mit 350 Millionen Dollar veranschlagt, also auf über 50 Prozent der Gesamtausfuhr, während sie in der Vorkriegsstruktur des Außenhandels bei 10 Prozent lag.

Das gesamte Zahlungsbilanzdefizit, das aus ausländischer Hilfe gedeckt werden soll, beläuft sich auf rund 1.2 Milliarden Dollar. Rechnet man die Marshall-Plan-Kredite und die Notkredite aus den Heereshaushalten der Besatzungsmächte zusammen, so beläuft sich die Gesamthilfe an Europa auf 6,1 Milliarden Dollar; die Doppelzone erhält davon 1.2 Milliarden Dollar (rund 20 Prozent) und steht an zweiter Stelle nach Großbritannien und vor Frankreich. Bezieht man auch den Marshall- Plan-Kredit für die französisch besetzte Zone Deutschlands ein, so würden die drei Westzonen in der Hilfeleistung der USA etwa auf gleicher Stufe mit Großbritannien stehen.

Bei diesen Berechnungen und Überlegungen kann aber nicht genug betont werden, daß sämtliche anderen Staaten mit eigenen Mitteln — infolge ihrer besseren Konjunktur und weit höheren Ausfuhr — relativ bedeutend höhere Einfuhren tätigen können als die zwei Westzonen, so daß die errech- nete günstige Gesamtbeteiligung Deutschlands an der Amerikahilfe nur wie ein durchsichtiger Schleier seine außergewöhnliche wirtschaftliche Schwäche verhüllt.

Betrachtet man so die einzelnen Elemente des Planes, so wird offenbar, daß nur eine möglichst rasche Ankurbelung der Gesamtwirtschaft das Gelingen des deutschen Teilplanes verbürgt. Die Aussichten dafür sind bei dem schweren wirtschaftlichen Verfall, bei der Verworrenheit der wirtschaftlichen Ordnung, besonders im Geldwesen und bei dem Versagen des Bewirtschaftungssystems nicht allzu rosig. Zum Wirksamwerden des Planes sind noch viele, bald zu treffende und aufeinander abzustimmende Maßnahmen erforderlich. Eine Reform der Technik des Außenhandels hiebei scheint bevorzustehen. Die bisherige Handhabung durch die JEIA (Vereinigte Export-Import-Agentur der Besatzungsmächte) bot keine Möglichkeit, eine Fertigwarenausfuhr größeren Umfanges zu erzielen. Die deutsche Fertigwarenausfuhr ist so vielgestaltig, daß e i n Staatsmonop.ol nicht funktionieren kann. Die Währungsreform war unumgänglich. Ohne Verknappung des Geldes ist die allmähliche Normalisierung der Wirtschaftstätigkeit und eine wirksame Planung und Lenkung nicht zu erreichen. Der Bauer, der Arbeiter und der Fabrikant müssen wieder mit dem Geld als Tauschmittel rechnen lernen und von der ungeheuer vielgestaltigen, legalen und illegalen, behördlich eingeführten oder geduldeten Kompensation und von allen Sachanreizen radikal abgebracht werden.

Die wirkliche Wirtschaft Deutschlands sieht ganz anders aus, als sie amtlich aus- sehen sollte. Die Wirtschaft hat sich in der Hauptsache selbst geholfen, die freie Wirtschaft ist unter der Decke der Zwangswirtschaft mit erstaunlicher Kraft an die Oberfläche durchgebrochen. Eine überblickbare Wirtschaftsordnung läßt sich erst jetzt nach der Wiederherstellung eines knappen und gesunden Geldes einrichten. Der Weg dazu ist durch die beginnende Neuordnung des Preisgefüges bereits beschritten. Kohle- und Stahlpreise sind der erhöhten Kostenlage angepaßt worden. Es wurde damit begonnen, die bisherige vollständige Trennung der Reichsmarkpreise von den Devisenpreisen im Außenhandel aufzu- h”ė b e n. Die ausländischen Rohstoffe (nicht aber Lebensmittel) werden seit kurzem nach einem provisorischen festen Umrechnungskurs zu Weltmarktpreisen an die deutschen Verarbeiter verkauft, während diese bisher nur die festgefrorenen Preise der Kriegswirtschaft zu bezahlen hatten. Die Exporterlöse für Fertigwaren (nicht aber Kohle!) werden nicht mehr nach einem künstlichen Reichsmarkexportpreis, sondern voll — entsprechend dem Devisenerlös — in Reichsmark an die Exporteure ausgezahlt. Die bisherige Trennung des inländischen Preisgefüges von dem der Weltmärkte wird also schrittweise beseitigt, desgleichen werden auch gewisse Lohnkorrekturen zugelassen. Grundvoraussetzung für das Gelingen des deutschen Planes ist aber eine wirkliche Besserung der Ernährungslage, um die Leistungsfähigkeit der Bevölkerung zu heben.

Bedenkt man all dies, so kann wohl mit Recht gesagt werden, daß die Doppelzone sowohl der Washingtoner wie auch ‘der Pariser Verwaltung des europäischen Wiederaufbauprogramms noch manche Sorgen verursachen dürfte. Europa braucht die Ruhrkohle, sie kann aber nur in genügender Menge herausgeholt werden, wenn die deutsche Gesamtwirtschaft besser in Gang kommt als bisher. Europa braucht darüber hinaus zahlreiche Fertigwaren aus Deutschland, zahlreiche europäische Länder brauchen außerdem Deutschland als Absatzland für gewisse Überschüsse. Gesamtdeutschland hat vor 1938 einmal rund 20 Prozent der europäischen Einfuhr aus Europa geliefert, es stand damit an der Spitze des europäischen Binnenhandels. Von der Einfuhr der Marsh all-Plan-Länder aus den Marshall-Plan- Ländern selbst lieferte Deutschland allein 25 Prozent. Diese überragende Stellung ist mit der Ausgliederung wichtiger Gebiete dahingegangen; was an potentieller Kraft geblieben ist, ist aber für eine gesunde europäische Entwicklung, die nichts anderes als die Zusammenlegung aller europäischen Wirtschaftskräfte zum Ziele haben kann, wichtig genug.

Nach den ersten Beobachtungen der deutschen Sachverständigen in Paris dürfte es allerdings mit dieser Integration der europäischen Wirtschaft noch geraume Zeit dauern. Die anderen Marshall-Plan-Länder sehen die amerikanische Hilfe hauptsächlich vom Standpunkt der Entlastung ihrer Zahlungsbilanz aus an und richten ihre übrige Wirtschaftspolitik noch wenig auf die neuen Gegebenheiten ein. Die Entscheidungen über Umfang und Art der Hilfe fallen nicht sosehr in Paris als vielmehr in Washington. Nach anfänglich optimistischer Beurteilung neigt man in der Doppelzone zu der Ansicht, daß infolgedessen und infolge der bisherigen Verzögerungen im wirtschaftlichen und politischen Aufbau die Westzone hinter den anderen Ländern weiterhin nachhinken und daß die Realisierung des deutschen Teils des Marshall-Plans auf erhebliche Hindernisse stoßen wird.

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