Wo 500 Schilling wirklich helfen

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Trendwende in der Entwicklungshilfe: Nicht mehr bürokratisch gemanagte Großprojekte, sondern viele Kleinkredite sollen die Armut in der Dritten Welt vermindern.

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Trendwende in der Entwicklungshilfe: Nicht mehr bürokratisch gemanagte Großprojekte, sondern viele Kleinkredite sollen die Armut in der Dritten Welt vermindern.

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Was die Marktfrau auf ihrem winzigen Stand am Rand der mocambiquischen Provinzstadt Chimoio feilbietet, würde in Mitteleuropa keine neugierigen Blicke provozieren. Ihr ganzes Angebot besteht aus ein paar bunten Gemüsehäufchen, die auf zweieinhalb Quadratmeter ausgestreut sind. Dazwischen ragen eine Kanne mit Öl und ein Säckchen Salz heraus. Große Einkäufe sind den Kunden auch nicht möglich. Wir befinden uns in einer armen Umgebung, nicht mehr Land und noch nicht Stadt. Wer hier das Nötigste besitzt, kann sich glücklich schätzen. Auf dem Markt werden winzige Warenmengen verkauft: ein Löffel Öl, eine Tomate, eine Gurke.

Obwohl die Standinhaberin an diesem Tag nur wenig verdient hat, ist sie hochzufrieden. Sie blickt optimistisch in die Zukunft und ist sogar zum Scherzen aufgelegt. Seit einigen Wochen hat sie ihren Stand vergrößert, außerdem besitzt sie jetzt eine regensichere Behausung und sogar ein paar zusätzliche Kleidungsstücke. Doch am wichtigsten ist, daß für schlechte Zeiten ein Notgroschen bereitliegt. Ihre Kinder werden ohne Hunger aufwachsen.

So wie zahlreiche andere Frauen in Chimoio hat diese Frau den Weg aus der Armut durch Hilfe in Form von Kleinkrediten gefunden. Die noch immer unter den Folgen jahrzehntelangen Bürgerkrieges leidende ehemalige portugiesische Kolonie ist eines von sieben afrikanischen Ländern, wo von der Hilfsorganisation Care dieser neue Weg der Armutsbekämpfung unternommen wird.

Massive finanzielle Unterstützung für das Projekt in Chimoio kommt vom österreichischen Außenministerium. Geld wird hier nicht in große Projekte investiert, sondern direkt den Armen in Form eines Darlehens zur Verfügung gestellt. Die Höhe bewegt sich meist zwischen 500 und 1.000 Schilling. Mit diesem Geld solle eine wirtschaftliche Tätigkeit, beispielsweise Handel oder einfache gewerbliche Aktivitäten, wie Brot backen, nähen, Reparatur von Möbeln, kleinere Dienstleistungen begonnen werden.

Ein Großteil der Kreditnehmer sind Frauen. Wer für das Projekt in Frage kommt, wird von der Solidaritätsgruppe bestimmt, die auch für die Rückzahlung haftet. Dort wird auch darüber entschieden, was mit dem Darlehen geschieht. Grundsätzlich gibt es vom Geber jedoch keine Einmischung bezüglich der Mittelverwendung.

Die Bedingungen sind aber trotzdem beinhart: Das Darlehen wird zu marktüblichen Zinsen und außerdem nur für einen kurzen Zeitraum vergeben. In der Regel ist das eine Laufzeit von einem halben Jahr. Über die Verwendung müssen die Teilnehmer gegenüber der Gruppe Rechenschaft ablegen. Solange ein Gruppenmitglied mit der Rückzahlung im Rückstand ist, erhält kein Projektteilnehmer weitere Mittel. Das führt zu einer strengen gegenseitigen Kontrolle, die sicherstellt, daß die Kreditausfälle gering bleiben. Die Rückzahlungsquote liegt bei mehr als 90 Prozent.

Eine wirkliche Hilfe, vor allem für Frauen Streng genommen ist dieser Kredit ein Geschäft, das sich selbst tragen muß. Das räumt auch Barbara Lenz, die Projektkoordinatorin der österreichischen Sektion von Care ein: "Von normalen Bankkrediten unterscheiden sich unsere Projekte nur bezüglich des Zuganges. Unsere Teilnehmer würden von kommerziellen Banken wegen fehlender Sicherheiten niemals einen Kredit erhalten. Hier handelt es sich um Menschen, die wichtige Leistungen erbringen, aber formell nicht erfaßt sind. Es existiert kein Arbeitsverhältnis, kein Landtitel, kein Zugang zur staatlichen Bürokratie."

Vor allem Frauen seien für diese Form von Unterstützung geeignet: "Frauen in den sogenannten Entwicklungsländern sind oft in einem Teufelskreis gefangen: Armut, schlechte Schulbildung, frühe Schwangerschaft, noch mehr Armut ... Diesen Kreislauf wollen wir mit dem Projekt durchbrechen, ohne neue Abhängigkeiten entstehen zu lassen. Die Menschen sollen selber imstande sein, über ihr Schicksal zu entscheiden."

Diese Ideen klingen vernünftig und edel. Wie erfolgreich sind Kleinkredite bei der Bekämpfung von Armut tatsächlich? Um die Frage zu beantworten, muß man kurz auf die Entstehung dieser Projekte eingehen. Kleinkreditprojekte tauchten erstmals in den siebziger Jahren in Bangla Desh auf. Entwickelt wurde diese Methode von einem Wirtschaftsprofessor, Mohammed Yunus, der dazu eine eigene Bank gegründet hat. Spektakuläre Erfolge ließen die Experten für Entwicklungszusammenarbeit bald aufhorchen, und immer mehr Hilfsorganisationen entwickelten ähnliche Modelle.

Dieser Ansatz und die kommerziellen Rahmenbedingungen bewirken, daß nicht alle Armen für die Hilfe in Frage kommen. Nur wer über entwickelbares Humankapital in irgendeiner Form verfügt und in ein Sozialgefüge integriert ist, also zu einer Wirtschaftsleistung fähig ist, ist für Kleinkredite geeignet. Marginalisierten, also den "absolut Armen", kann damit nicht geholfen werden.

"Wer sehr hungrig oder krank ist, hat zu wenig Kraft, um einen Handel zu beginnen. Hier muß direkt, etwa mit Nahrungsmitteln, geholfen werden", umreißt die Entwicklungsexpertin Karin Reinprecht-Fruhmann, die auch als Konsulentin für das österreichische Außenministerium tätig ist, die Zusammenhänge.

Bei richtig gewählter Zielgruppe billigt sie den Kleinkrediten Effizienz zu. Das zeigten auch Untersuchungen. Mit Kleinkrediten müßten aber zusätzliche Hilfsangebote einhergehen, beispielsweise die hygienischen Gegebenheiten - insbesondere der Zugang zu sauberem Trinkwasser - und der Zugang zu Bildung verbessert werden. "Es ist gut, die Einkommensmöglichkeiten von Armen zu verbessern, aber sie werden es auf Dauer nicht schaffen, wenn nicht auch Anwendungswissen bereitgestellt wird. Mikrokredite zu vergeben und die Empfänger dann sich selbst zu überlassen, geht schief."

Um wirklich etwas zum Positiven zu verändern, müsse man aber Geduld haben. "Ein Kredit ist viel zu wenig. Man muß mit mehreren Darlehen rechnen, und dabei vergehen sicherlich einige Jahre."

Für Karin Reinprecht-Fruhmann liegt die Verbesserung in erster Linie darin, daß die Hungergefahr reduziert wird: "Wenn jemand selber Einkommen erwirtschaftet, kann er etwas auf die Seite legen oder ein Stück Land kaufen. Darauf kann er zurückgreifen, wenn es schwierig wird." In einem Zeitraum von zehn Jahren schaffe es etwa ein Fünftel der Projektteilnehmer, dauernd der Armut zu entkommen.

Auch international erleben Kleinkredite derzeit einen Boom. "Das wird jetzt enorm forciert", beurteilt Karin Reinprecht-Fruhmann die Situation. Fast alle Hilfsorganisationen arbeiten damit, und auch die Bürokratie der Weltbank hat dafür viel übrig.

Die Expertin sieht als Ursache dafür vor allem die Effizienz der Projekte. Außerdem seien die eingesetzten Mittel, zumindest in einem oberflächlichen Sinn, sehr leicht überprüfbar: "Man braucht nur zu schauen, ob der gewährte Kredit zurückgezahlt wurde oder nicht. Das macht die Sache für die Geber ziemlich einfach." Ein Grund für die Attraktivität der Kleinkredite sei auch, daß man hier mit relativ wenig Geld und geringem Verwaltungsaufwand viele Menschen erreichen könne.

Erfolgreich, aber kein Allheilmittel Auch in der österreichischen Entwicklungshilfe nehmen die Kleinkredite einen wachsenden Raum ein. Gegenwärtig machen die in diesem Sinn verwendeten Mittel etwa drei Prozent der Entwicklungshilfe aus. Von 800 Millionen Schilling jährlich, die Österreich für Entwicklungshilfeprojekte aufwendet - gemessen am Bruttoinlandsprodukt eine winzige Summe -, gehen 30 Millionen an Kleinkreditprojekte vor allem in Lateinamerika und Afrika.

Trotz der unbestreitbaren Erfolge, die Kleinkredite zu verzeichnen haben, sind sie kein Allheilmittel für die Not, unter der Milliarden zu leiden haben. Es darf nicht vergessen werden, daß alle diese Maßnahmen immer in einen breiteren sozialen Kontext eingebettet sind.

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