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Wo bleibt unser „Kriegsschatz?

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In jenem Maß, in dem die Abgabenansprüche an das Sozialprodukt wachsen, werden die Abgaben in ihrer unterschiedlichen Form, ihrer Höhe, ihrer Verwendungsart und Verwendungszeit zu einem immer bedeutsameren Instrument der Wirtschaftspolitik.

Der Entzug der Abgaben führt nicht nur zu einer Kürzung der Mittel beim Abgabenträger (etwa dem Einkommensteuerpflichtigen) und damit seiner Kaufkraft, sondern bestimmt auch die sogenannte öffentliche Nachfrage. Dazu einige Ziffern: Die öffentlichen Haushalte nahmen 1957 42 Milliarden Schilling ein (um 14 Prozent mehr als 1956) und gaben unter anderen 17,2 Milliarden für öffentlichen Konsum und 14,7 Milliarden für Transferzahlungen (Renten u. ä.) sowie für Subventionen 2,1 Milliarden aus. Von den Investitionen wurden 75 Prozent auf dem Sektor des Wohnungsbaues durchgeführt. Je Kopf der Bevölkerung wurden 5700 an Abgaben, Umlagen und Beiträgen zur gesetzlichen Sozialversicherung eingehoben, das war, gemessen am Bruttonationalprodukt, etwa ein Drittel. Zwanzig Jahre vorher war ein Viertel des damals noch erheblich geringeren Nationalproduktes für Abgaben usw. abzuzweigen. Gegenüber dem Wachsen des Bruttonationalproduktes sind jedenfalls die Abgabenleistungen übermäßig gestiegen.

Mehr denn je ist die Abgabenpolitik auch eine Form der Neuverteilung von Einkommen, wobei dieser Verteilung sowohl fiskalische (lediglich der Einnahmenerzielung dienende) wie soziale Gesichtspunkte zugrunde liegen können.

Nun soll aber die Abgabenpolitik nicht allein einheben und wieder verteilen, sondern auch ein Instrument der staatlichen Konjunkturpolitik sein, wie sich das auch im österreichischen Zehnjahrplan zeigt, der freilich weniger „Ptan" ist, mehr allgemeines Konzept.

Damit die Abgabenerträgnisse entsprechend der Konjunkturlage eingesetzt werden können, werden neben den gesetzlich gebundenen Mitteln

(Beamtengehältern) von der öffentlichen TJänd aus den erwarteten Eingängen yorweg. Dispos;:

tiohsfönds1 gebil’ilėt, Reserven, lįŽ dehieh je' hfch der Konjunkturlage zeitgerecht Beträge eingesetzt werden können.

Dadurch, daß nun die öffentliche Hand überhaupt nachfragt bzw. ihre Nachfrage erhöht oder reduziert, wird vor allem die Beschäftigungslage beeinflußt. In einer Zeit der Depression, in der bei den Banken die liquiden Mittel wachsen, kann sich der Staat überdies auf dem Anleiheweg in Ergänzung seiner Eigenmittel Beträge verschaffen, um mit ihnen den Wirtschaftskreislauf in Gang zu halten oder zu setzen. Bis jetzt und gerade in den letzten Jahren wurde auch in Oesterreich bewiesen, daß es möglich ist, durch den Einsatz von Budgetmitteln ein Absinken in den unheilvollen und politisch lebensgefährlichen Zustand der Depression zu vermeiden.

Die Einflußnahme des Staates auf die Konjunkturlage ist um so leichter, je beeinflußbarer eine Volkswirtschaft für öffentliche Mehr- oder Weniger-Nachfrage ist. Während bei - einem Agrarstaat durch die begrenzte Aufnahmefähigkeit der öffentlichen Hand für Agrarprodukte die Wirkung der öffentlichen Nachfrage beschränkt ist, vermag bei einem Industrieland der Staat durch seine Nachfrage einen ungemein starken Einfluß auszuüben, sicherlich mehr durch Nachfragesteigerung als durch Nachfragezurückhaltung. Das zeigt sich am Beispiel Oesterreich. Vor dem zweiten Weltkrieg hatte unser Land eine gemischt agrarisch-industrielle Wirtschaft. Heute ist Oesterreich ein vorwiegend industrielles Land. Im Jahre 1937 kamen auf einen Arbeiter der Land- und Forstwirtschaft 3,1 Arbeiter im industriell-gewerblichen Bereich, 1957 war das Verhältnis 1:9,7. Nur noch 10 Prozent der Arbeitnehmer Oesterreichs sind in der Land- und Forstwirtschaft tätig, deren tragende Betriebsorganisation die des Familienbetriebes ist.

Die Abgabenerträge innerhalb eines bestimmten Rahmens im Interesse einer bestmöglichen Gestaltung der Konjunktur verwenden, heißt, wie schon angedeutet, sie bisweilen gerade wegen der beabsichtigten Konjunkturbeeinflussung nicht oder nur zurückhaltend einsetzen, wie dies 1956 geschah, als das Produktionsvolumen des Bundes eingeschränkt wurde.

Seit einem Jahr scheint aber der Bund nicht mehr so viel Mittel verfügbar zu haben, daß die Konjunkturspritzen von ihm ausreichend und zeitgerecht gefüllt werden könnten, und dies trotz dem angestiegenen Nationalprodukt. Weil nun das Volkseinkommen hoch ist und vor allem die private Nachfrage ausreichend eingesetzt wurde, ist die breite Oeffentlichkeit dieser Tatsache nicht recht bewußt geworden.

Die beiden letzten Budgets wiesen höhere Einnahmeschätzungen aus, als dann die tatsächlichen Erträgnisse einbrachten. Im Jahre 1959 scheint es ähnlich zu sein. Dazu kommt, daß immer mehr Teile der erwarteten Einnahmen vorweg, auf Grund gesetzlicher Bestimmungen, gebunden werden. Geht die Entwicklung weiter, hat das Budget in Hinkunft kaum eine andere Funktion als voraus fixierte Ausgaben gerade zur Not durch in ihrer Höhe ohnedies nur zu schätzende Einnahmen zu decken. Derzeit können nicht viel mehr als 10 Prozent der geschätzten Einnahmen als frei verfügbar bezeichnet werden. Dabei kommt Oesterreich noch zugute, daß es im Vergleich zu anderen Ländern relativ wenig für die Landesverteidigung und für den Staatsschuldendienst ausgeben muß. Wie es aber dann sein wird, wenn wir einmal nicht über die saisonbedingte Arbeitslosigkeit des Winters in die Vollbeschäftigung des Sommers hineinfinden, ist noch undenkbar und leider auch nicht Gegenstand ernsthafter Erörterungen bei einem großen Teil der Verantwortlichen. Wir sind gewohnt, unser Leben, unser persönliches Verhalten als Konsument und das des' Staates als Nachfrage- und Ausgabeeinrichtung, so zu gestalten, als ob es in unserem Land kaum mehr so etwas zu geben vermöchte wie eine Krise.

Jedenfalls sind nicht wenige Politiker in Oesterreich, getrieben von Interessentengruppen und Presse, darauf aus, die bisherige Abstimmung zwischen dem Wachsen des Sozialprodukts und dem Anstieg des Budgetvolumens aufzugeben und unabhängig davon, ob der Zuwachs des Nationalproduktes sich verlangsamt oder nicht„ die Ansprüche an den Staat und damit auch an das Bruttonationalprodukt weiter zu steigern, nach dem, Motto „Der Vater (lies der Staat) wird’ . isihon. zahlen." . Bisher- war die obęn« wahnte; Abstimmung jedenfalls, einer der Gründe für die erstaunliche Prosperität der österreichischen Wirtschaft und für die Stabilität: Zwischen 1952 und 1957 stieg das Haushaltseinkommen des Bundes um 60 Prozent und das Bruttonationalprodukt um 58 Prozent, also ungefähr gleichförmig. Wurden die Mehrausgaben in den letzten Jahren im Wesen durch die Wirkungen der Expansion gedeckt, werden beginnend ungefähr mit 1958 und — wenn man die Androhungen verwirklicht — auch künftig die Mehrausgaben ohne Beachtung des Wachstums jenes Fonds, aus dem sie schließlich gedeckt werden müssen, angesprochen. Dabei wir« völlig übersehen, daß man für 1959 — entgeger 195 8 — mit einem Zahlungsbilanzdefizit rechnet!

Was aber dann, wenn wir einmal beispielsweise 100.000 Arbeitslose über den Jahresdurchschnitt (zirka 5,3 Prozent) hinaus zu versorget haben? Wir haben zwar eine ausgezeichnet« Studie des Institutes für Wirtschaftsforschung aus der wir entnehmen können, welche Wirkungen auf die Beschäftigungslage eine zusätzlicl vom Staat ausgegebene Milliarde Schilling haber könnte: Eine Vermehrung u. a. der Zahl der Beschäftigten um etwa 18.000 Personen. Wohei aber soll die besagte Milliarde kommen, um be: Krise und anschließender Depression der Wirtschaft den erforderlichen neuen Treibstoff zuzuführen? Sicher gibt es die Möglichkeit, im Ausland Anleihen aufzunehmen, haben wir docl nur zirka 2 Milliarden Auslandschulden, davor 1 Milliarde aus der Zeit vor 1938. (Das Nominale der Staatsschuld betrug Ende 1958 zirk; 3 Milliarden: 1958 + zirka 1,6 Milliarden.' Dazu kommen noch 1,6 Milliarden, die zui Finanzierung von E-Werks-Bauten aufgenommei wurden. Die Kreditgewährung durch das Aus land bedeutet aber, daß wir da und dort in di« Gefahr einer wirtschaftlichen Ueberfremdunį kommen und die Führung der wirtschaftlicher "Belange in die Hände von Personen gelangt denen an der österreichischen Wirtschaft ak Ganzes soviel liegt wie am Staate Oesterreich nichts.

Die demokratischen Spielregeln sind jedenfalh in den letzten Jahren Anlaß zu einem politisch-parlamentarischen Gesell schaftsspiel gewesen, das so aussieht

1. ist man für die Verminderung der Steuer liehen Belastungen, insbesondere beim „kleiner Mann": keinesfalls jvill man sie erhöhen;

2. ist man gleichzeitig für die Erhöhung de: Ausgaben des Staates, wobei das Wort „Aus gaben" durch eine Reihe von Umschreibungen wie „Zurverfügungstellung“ und „Widmung“ umschrieben wird;

3. sind alle für die Stabilität der Währung und

4. ist jedermann gegen ein Defizit im Staatshamshqltv.

Wenige aber scheinen-so recht dafür zu sein daß wir uns endlich einmal .einen Kjie.g.S; schätz" anlegen. Das würde freilich bedeuten daß man bei Schaffung der entsprechenden gesetzlichen Grundlagen dazu übergeht, erspart« Mittel über ein Budgetjahr hinaus zu reservieret und sie dann in Notzeiten einzusetzen.

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