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Wozu spart die Welt?

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Als nach dem ersten Weltkrieg das Internationale Institut für Sparwesen in Mailand die Anregung einer weltweiten Sparförderung — der erste Weltspartag wurde Ende Oktober 1925 begangen — vortrug, da dachte man damals weniger an die vielfältigen volkswirtschaftlichen Reflexe, die mit der Funktion des Sparens auf allen Ebenen der Wirtschaft verbunden sind. Damals galt es vor allem, der durch die Inflation in vielen Staaten gesunkenen Sparmoral entgegenzuwirken und die staatsbürgerlichen Tugenden der Eigenverantwortlichkeit, der Mäßigung und der Selbstdisziplin von neuem zu erwecken.

Wenn heute in allen Kulturstaaten der Weltspartag jedes Jahr von den verantwortlichen Männern der Politik und der Wirtschaft einer breiten öffentlichkeit immer wieder nähergebracht wird, dann sind wohl die grundsätzlichen moralischen Aspekte die gleichen, die Differenziertheit der Kapitalbildung aber mit den Zielsetzungen der einzelnen Volkswirtschaften komplexer geworden.

Der Weltspartag hat die Eigenverantwortlichkeit des Sparers zu einem gesellschaftlichen Prinzip erhoben; sie dehnt sich nicht minder in die Sphäre der öffentlichen Haushalte in die Richtung einer wohlabgewogenen politischen und wirtschaftlichen Gesamtverantwortung. Die Einhaltung dieses Grundsatzes wird mit den steigenden öffentlichen Aufwänden in der Praxis nicht immer leicht. Hier handelt es sich nicht nur um die Mittelbeschaffung allein, sondern um eine vielseitige Aufgabenerfüllung im Rahmen der Finanzpolitik, die mit den zusätzlich übernommenen wirtschaftlichen und sozialen Aufgaben des Staates auch die Durchsetzung allgemeiner wirtschafts- und gesellschaftspolitischer Ziele anstrebt Diese Vielschichtigkeit der Zwecke und Aufgaben, die aus der politischen Sphäre fließen und ihren Niederschlag in der Struktur, im Volumen, aber auch in der Art der Durchführung des öffentlichen Haushaltes haben, verlangen — gerade weil sie Ausdruck einer politischen Gesamtverantwortung sind — nicht zuletzt die Anerkennung und Anwendung jener Grundsätze, wie sie in der tiefsten geistigen Schicht des ursprünglichen Gedankens des Weltspartages gelagert sind. Zu dieser politischen Gesamtverantwortung gehört die Zurückdrängung von Gruppeninteressen, um Überspannungen der gegebenen Mittel zu vermeiden und über dem Gegenwärtigen nicht Zukünftiges aufs Spiel zu setzen. Das Prinzip der Mäßigung wird nicht nur zum währungspolitischen Postulat, sondern auch zur Vorsorge für künftige Erfordernisse.

Kernstück der Wirtschaftspolitik

In seiner stufenmäßigen Ausprägung ist der Gedanke des Weltspartages vor allem engstens mit dem Problem der volkswirtschaftlichen Kapitalbildung verbunden. In einer hochindustrialisierten Welt, deren einzelne Volkswirtschaften nicht nur einander ergänzen, sondern auch im Wettbewerb miteinander stehen, ist die Investitionspolitik und mit ihr die Möglichkeit des wirtschaftlichen Wachstums neben der Währungspolitik das Kernstück der Wirtschaftspolitik überhaupt; dies um so mehr, als mit dem technischen Fortschritt der kapitalmäßige Aufwand pro Arbeitsplatz in allen Wirtschaften zusehends wächst. Bei den Investitionen handelt es sich aber nicht nur um solche des Anlagevermögens, sondern ebenso um die vielleicht schwerer nachweisbaren Investitionen für Forschung und Entwicklung und für die Ausbildung eines qualifizierten Füh-rungs- und Facharbeiternachwuchses. Tatsache ist, daß zur Sicherung eines hohen Beschäftigungsgrades und eines stetigen Konjunkturverlaufs für die weitere Entwicklung der Wettbewerbsfähigkeit und des wirtschaftlichen Wachstums eine bestimmte und laufende Investitionshöhe ausschlaggebend ist.

Die Deckung der hiezu notwendigen Mittel erfolgt — insoweit es sich nicht um öffentliche Investitionen handelt — entweder durch Selbst- oder durch Fremdfinanzierung. Beide Finanzierungsformen haben einander organisch zu ergänzen, und es wird Sache der Wirtschaftspoliitk sein, durch Ausschöpfung der Möglichkeiten einer volkswirtschaftlich rationellen Kreditpolitik, einer zeitgemäßen Abschreibungspolitik und insbesondere der Förderung einer angemessenen Kapitalbildung die notwendigen — langfristigen — Mittel bereitzustellen.

Das individuelle Sparen

Die notwendige Flexibilität einer modernen Volkswirtschaft, die auf einer marktwirtschaftlichen Ordnung ruht, kann aber die ergänzende Ersparnisbildung der privaten Haushalte — das individuelle Sparen in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, des liquiden, des Wertpapier- und des Versicherungssparens — nicht entbehren. Wird durch das unternehmerisch« Sparen die Anreicherung des Eigenkapitals teils mit dem Ziel der Schaffung erhöhten Produktivkapitals und Steigerung der Produktivität, teils aber auch als vorsorgende Rücklage zum Ausgleich von Liquiditätsspannungen bei ^Konjunkturschwankungen und wohl auch zur Abschirmung gegenüber dem stetig vor sich gehenden wirtschaftlichen Strukturwandel angestrebt, so liegen dem individuellen Sparen ebenso persönliche wie gesamtwirtschaftliche Zwecke zugrunde. Die private Vermögensbildung tritt der öffentlichen Vermögensbildung ergänzend und fruchtbar gegenüber. Sie wird zu einem Medium einer gesunden Vermögens-Umverteilung und damit auch zu einem sozialpolitischen Faktor ersten Ranges. Wenn auch das liquide Sparen — das Sparbuch und das Kontensparen — als das Fundament der Vermögensbildung zu jeder Zeit seine besondere Bedeutung beibehält, so zeigt sich doch in den letzten Jahren mit zunehmender wirtschaftlicher Konsolidierung und Einkommensbildung, daß der Begriff des sogenannten „Notgroschens“ und sonstiger kurzfristiger Rücklagen nicht mehr die einzige Betrachtungsweise ist und sich das Sparbuch immer weiter in die echte Zukunftsvorsorge, die langfristige Bindung des Spargeldes, in verschiedener Anlageform dehnt.

Mit den Sparzielen haben sich auch die Sparzeiten gewandelt, Spargeld wird fester gebunden. Damit wird allerdings zugleich gesagt, daß das ökonomisch wichtige Problem der Transformierung von Spargeldern in die Wertpapieranlage, besser gesagt: die Aufgabe dieser Transformierung, ständig an Bedeutung gewinnt. In der Tat sind immer größere Teile dieser Geldkapitalien in die Wertpapieranlage oder in das Versicherungssparen geflossen. Hier handelt es sich geradezu um ein Kardinalproblem der zukünftigen wirtschaftlichen und geldwirtschaftlichen Entwicklung. Die breite Eigentumsstreuung ist in den Vordergrund getreten. Die Möglichkeiten hiezu grenzen auch das Volumen der öffentlichen und der privaten Vermögensbildung voneinander ab und berühren damit aufs engste die Grundsatzfragen der Wirtschaftsordnung selbst.

Das Aktiensparen

Auch in Österreich hat in den letzten Jahren das Wertpapiersparen immer größeren Eingang in den breiten Bevölkerungsschichten gefunden. Uber eine vielfältige Fächerung von Rentenwerten, von öffentlichen und energiewirtschaftlichen Anleihen, von Industrieobligationen, Pfandbriefen und Kommunalschuldverschreibungen wurden in zunehmendem Umfang beachtliche Mittel für die verschiedenen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Zwecke aufgebracht. Wenn — von den Emissionen von Volksaktien vielleicht abgesehen — der Aktienerwerb mit dem Ziel, Anteilseigner am Produktivkapital zu werden, in Österreich gegenüber anderen Staaten noch etwas nachhinkt, so liegt dies nicht nur an den steuerlich diskriminierenden Bestimmungen (Doppelbesteuerung) gegenüber der Aktie, sondern im wesentlichen an dem Fehlen manoher notwendiger gesetzgeberischer Maßnahmen, wie sie insbesondere im Bündel der zweiten Stufe der Kapitalmarkt- und Wachstumsgesetze vorliegen. Im Hinblick auf die zunehmende Kapitalintensität einzelner Produktionen, vor allem auf dem internationalen Feld, die steigenden Investitionsanlagen auch amerikanischer Großunternehmungen im europäischen Markt, gewinnt wohl in naher Zukunft die Überleitung liquider Mittel in produktive Kapitalmarktanlagen erhöhte Bedeutung, wenn man die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Industrie erhalten und den Anpassungsprozeß an neue industrielle Schwerpunkte und Strukturen reibungslos gestalten will.

Deflatorisch — neutralisierend

Die gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Sparens und die Sicherung eines angemessenen Sparaufkommens, dessen Höhe ebenso wie die Eigenkapitalgrundlagen der einzelnen Banken und Industrieunternehmungen auch ein Maßstab zur Bewertung der internationalen Kreditwürdigkeit ist, bedarf natürlich von seiten des Staates besonderer

Pflege, wobei es allerdings weniger um eine punktuelle Förderung, sondern tun die Koordinierung gesamtwirtschaftlicher Voraussetzungen geht. Hier wird auch die Ausgewogenheit der Inanspruchnahme der Kapitalmarktmittel zwischen dem öffentlichen und dem privatwirtschaftlichen Bedarf ebenso notwendig sein wie — die Grundlage jedes Sparens — die Sicherung der Stabilität des Geldwertes; in weiterer Folge die Festigung des Vertrauens in die wirtschaftspolitische und politische Zielsetzung der Staatsführung. In wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht wird es hier insbesondere um die Koordinierung der Finanz-, Kredit- und Einkommenspolitik gehen. Auch wird man bei der Förderung des Sparens auf die währungspolitischen Effekte des Sparvorganges nicht vergessen dürfen. Wenn im Konjunkturverlauf, und wie es in den letzten Jahren vielfach der Fall war, bei aufsteigender Konjunktur die Produktionsund Arbeitsreserven stark angespannt sind und mit dem Steigen der Nachfrage auch Spannungen im Preis- und Lohngefüge zu verzeichnen waren, dann wird es durch vermehrtes Sparen besonders wichtig, der inflatorischen Übernachfrage entgegenzuwirken. Denn das Sparen ist, gesamtwirtschaftlich gesehen, ein deflatorischer oder vielleicht besser gesagt neutralisierender Akt.

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