Zauberwelt des Shareholder Value

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Das kapitalistische Unternehmen soll ein Sozialgebilde sein, das die verschiedenen Interessen derer, die sich in dem Unternehmen engagieren, bündelt.

Shareholder Value wird meist eine Form der Unternehmenssteuerung bezeichnet, die sich an der Vergrößerung des Vermögens der Aktionäre, insbesondere an der Steigerung des Börsenwerts eines Unternehmens ausrichtet. Um dieses Ziel zu erreichen, bemühen sich die Manager um eine zielgerichtete Unternehmensstrategie, nämlich die Kapitalrendite einzelner Geschäftseinheiten zu erhöhen, sich auf ein so genanntes "Kerngeschäft" zu konzentrieren, die Informationen über das Unternehmen auf die Anteilseigner auszurichten und überdurchschnittliche Kapitalrenditen in Aussicht zu stellen.

In der Betriebswirtschaftlehre hat sich seit längerem ein Paradigmenwechsel der Unternehmenssteuerung vollzogen. An die Stelle der güterwirtschaftlichen Kategorien, die in der Betriebsrechnung eine Rolle spielen, nämlich Kosten und Leistung, und an die Stelle der handels- und steuerrechtlichen Kategorien, die in der Buchhaltung bedeutsam sind, nämlich periodisierter Aufwand und Ertrag, sind die finanzwirtschaftlichen Kategorien getreten, nämlich Veränderungen im Bestand flüssiger Mittel: "Auszahlungen und Einzahlungen". Mit diesem Paradigmenwechsel zu Zahlungsströmen ("Cash flows") als strategischer Orientierungsgröße der Unternehmenssteuerung sind folgende Innovationen verbunden: erstens die betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Vernetzung, zweitens die Verortung des Unternehmens in einer Geldwirtschaft und drittens die Überwindung der Einperioden-Perspektive (Gewinn). Indem zukünftige, riskante Zahlungsströme zum Erfolgsausweis eines Unternehmens erklärt werden, klingt es plausibel, den Gegenwartswert dieser Zahlungsströme (Unternehmenswert) zum Ziel der Unternehmensführung zu erklären.

Die Shareholder Value-Orientierung wird damit gerechtfertigt, dass sie eine optimale Allokation des knappen Produktionsfaktors Kapital gewährleiste und damit der wirtschaftlichen Vernunft entspreche. Allerdings setzt diese Hypothese vollkommene und vollständige Finanzmärkte voraus. Zweifellos klingen die Hinweise auf die segensreichen Wirkungen der gemäß dem neoklassischen Modell idealtypisch konstruierten Finanzmärkte plausibel, dass sie die Interessen der Sparer und Investoren weltweit vermitteln, Wachstumspotenziale ausschöpfen, die Risiken einer Kapitalanlage verteilen und dorthin lenken, wo sie getragen werden können und wollen. Leider zeigen die real existierenden Finanzmärkte der letzten 25 Jahre eine Ambivalenz, wenn nicht gar eine Menge von Funktionsdefiziten, etwa kurzfristiger, subjektiver Erwartungen, wachsender Tendenzen der Abkopplung der monetären Sphäre von der realwirtschaftlichen Sphäre sowie erheblicher Informations- und Machtasymmetrien. Deshalb wäre es höchst erstaunlich, wenn sich die Hypothese empirisch bestätigen ließe, dass diejenigen Unternehmensleitungen, die ihre Entscheidungen am Shareholder Value orientieren, höhere Börsenkurse erreichen.

Der Gegensatz der verschiedenen im Unternehmen wirksamen Interessengruppen lasse sich in der Orientierung der Unternehmenssteuerung am Shareholder Value aufheben, wird neuerdings erklärt. Man verweist auf Tendenzen in der US-amerikanischen Öffentlichkeit, denen gemäß die institutionellen Anteilseigner und die Analysten bei der Bewertung von Unternehmen darauf achten, ob das Management mit der Belegschaft kommunikativ umgeht, Umweltbelange berücksichtigt, Frauen in die Firmenleitung akzeptiert und soziale Verantwortung auf kommunaler Ebene ernst nimmt. Zweifellos ist die Tendenz zum umwelt- und sozialverträglichen Shareholder Value begrüßenswert. Ob jedoch der Appell an zivilgesellschaftliche Solidarität und Barmherzigkeit jene Lücke schließen kann, die durch das marktradikale Credo und den Verzicht auf eine progressive Besteuerung, auf sozialstaatlich garantierte Grundrechtsansprüche sowie auf gesetzlich sanktionierte Umweltauflagen entstanden ist, darf bezweifelt werden.

Von der Shareholder Value-Orientierung wird eine gesteigerte organisatorische und wirtschaftliche Effizienz der Unternehmen insbesondere der einzelnen Geschäftseinheiten erwartet. Die Zergliederung eines Konzerns in dezentrale Einheiten ist die Voraussetzung dafür, dass diese relativ autonom ihre Investitionsziele und ihren Finanzierungsbedarf anmelden können. Die Konzernleitung entscheidet definitiv über die Investitionen und teilt den Geschäftseinheiten die Finanzmittel zu. Geschäftseinheiten, die auf Dauer eine von der Konzernleitung vorgegebene Mindestrendite verfehlen, werden desinvestiert. Eine solche Konzernstrategie läuft Gefahr, einen suboptimalen Unternehmenswert zu erzielen. Wozu soll die Konzernspitze einen angeblich funktionsfähigen Kapitalmarkt simulieren? Warum werden Verbundeffekte wie die Loyalität der Mitarbeiter beziehungsweise der Firmenname oder Kooperationsgewinne preisgegeben und systematisch ausgeschaltet?

Die Shareholder Value-Orientierung sei, so wird behauptet, eine zeitgemäße Reaktion auf die Globalisierung der Finanzmärkte, insofern nicht die immobilen Produktionsfaktoren "Arbeit und öffentliche Infrastruktur", sondern der global mobile, regional und lokal jedoch knappe Faktor "Kapital" zur Schlüsselgröße von Managemententscheidungen geworden ist. Es stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Vorentscheidung im "Zeitalter des Arbeitsvermögens" (Cohen) aufrecht erhalten werden kann. Die rasanten technischen und organisatorischen Veränderungen in den Betrieben (Abkehr vom Taylorismus) sind wahrscheinlich kein Naturereignis, sondern den gestiegenen Kompetenzen und Ansprüchen der so genannten Wissensarbeiter zuzuschreiben. Wenn es zutrifft, dass die in Zukunft verstärkt nachgefragte und knappe Ressource das Wissen ist, müssen die Unternehmensleitungen den Wissensarbeitern sichere Arbeitsplätze und Aufstiegschancen versprechen und diese Versprechen einlösen. Sonst können sie das in den Erwerbstätigen verkörperte Wissen nicht zur Steigerung des Marktwerts des Unternehmens bilden, pflegen und nutzen.

In der Shareholder Value-Orientierung scheinen sich jene Eigentumsansprüche der Aktionäre zu verkörpern, die nicht zuletzt durch die bürgerlichen Verfassungen europäischer Demokratien legitimiert sind. Die Absicht, den Wert des Unternehmens zu maximieren, vereint wohl die Vermögensinteressen aller Aktionäre, unabhängig davon, ob sie mit der Strategie der Unternehmensleitung zufrieden sind oder nicht. Nun ist die Aktiengesellschaft, die als Publikumsgesellschaft betrieben wird, eine juristische Person, die keine Eigentümer hat. Die Aktionäre sind Eigentümer der Aktien und Mitglieder der Gesellschaft. Im Unterschied zum Staat und zur Belegschaft tragen sie formell zwar das Verlustrisiko und sind an den Gewinnchancen beteiligt, aber sie haben keine oder nur eine beschränkte Verfügungsmacht über unternehmerische Entscheidungen. Ihre Eigentumsansprüche sind rechtlich beschnitten.

Damit kommt in der Vorentscheidung über die Shareholder-Value-Orientierung der Unternehmensleitung eine normativ-ethische Dimension ins Spiel, die aus der europäisch-kontinentalen Unternehmenskultur resultiert. Gemäß dieser wird das kapitalistische Unternehmen, das in eine demokratische Gesellschaft eingebettet ist, als ein Sozialgebilde begriffen, das sich aus den souveränen Subjekten von Arbeitsvermögen und Kapitalvermögen zusammensetzt. Oder als ein Vertragsnetz, das die verschiedenen Interessen derer, die sich dauerhaft in dem Unternehmen engagieren, bündelt. Die Aufgabe der Unternehmensleitung besteht dann darin, immer wieder einen Interessenausgleich unter "fairen" Vertragsbedingungen herzustellen, die sich darin äußern, dass einzelne Interessengruppen in prekären Situationen vor der Übermacht und den Informationsvorteilen anderer geschützt sind. Eine solche Shareholder Value-Orientierung würde dann den Vermögenswert aller Interessengruppen berücksichtigen, die mit dem Unternehmen dauerhaft verbunden sind.

Der Autor ist Professor für Sozialwissenschaft an der Theologischen Hochschule St. Georgen/Frankfurt.

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