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Wer gezielt einkaufen will, ist heillos überfordert. Gesundheitspsychologin Hanni Rützler empfiehlt, nicht nur auf die Optik und den Preis zu schauen.

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Wer gezielt einkaufen will, ist heillos überfordert. Gesundheitspsychologin Hanni Rützler empfiehlt, nicht nur auf die Optik und den Preis zu schauen.

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DlEFliRCHE: Wie gesund sind die österreichischen Lebensmittel HANNI RüTZLER: Bis zum EU-Beitritt hatte Osterreich geschützte Grenzen und konnte eine sehr eigenwillige Lebensmittelpolitik betreiben, die man als protektionistisch bezeichnen kann: Der Konsument wurde sehr stark geschützt. Das äußert sich in einem starken Lebensmittelkodex. Dieser legt die Nahrangsmittelqualität in Form von Rezepturen fest. So wird beispielsweise festgelegt, daß bei einer Fertigsuppe ein bestimmter Anteil von Fleisch verarbeitet sein muß und ähnliches.

Das österreichische System ist in dieser Weise einmalig. Auf EU-Ebene gibt es keinen vergleichbaren Kodex, weil jedes Land eine andere Tradition hat. Deshalb gilt in der Europäischen Union das Prinzip der gegenseitigen Anerkennung. Jedes Nahrungsmittel, das in einem EU-Land rechtmäßig zugelassen ist, muß in jedem anderen Land auch erlaubt sein.

dieFurche: Ist es nach dem EU-Beitritt noch möglich, diese Art der Lebensmittelpolitik zu betreiben? RüTZLER: Durch den EU-Beitritt kommen auch Produkte von anderen Ländern nach Österreich. Wir können uns zwar dagegen nicht schützen, aber es ist möglich, weiterhin eine eigene Lebensmittelpolitik zu betreiben. Wir können die Gesetzmäßigkeit, nach denen in Österreich produziert werden muß, weiterhin selber festlegen. Der Lebensmittelkodex klingt ganz toll, hat aber auch Schattenseiten. Die Nahrungsmittelindustrie wurde innovationsfaul; es hat wenige innovative Produkte gegeben. Wir waren daher generell ein bißchen hinten nach. Zum Beispiel hat das Schlagobers bei uns noch immer 36 Prozent Fett, während schon vor fünf Jahren in Deutschland Schlagobers mit zehn oder 15 Prozent auf den Markt gekommen ist und trotzdem schlagbar ist. Außerdem hat man wenig Wert auf die Lebensmittelkennzeichnung gelegt. Der Österreicher hat seine Produkte gekannt, da mußte nichts gekennzeichnet werden. Kurzum: Wir haben einiges an Entwicklungen verschlafen, haben aber sehr strenge Gesetze und einen Konsumenten, der es nicht gewohnt ist, sich mit anderen Qualitäten auseinanderzusetzen.

DIEFURCHE: Wie kann er das auch, angesichts der Fülle des Angebotes, des Bombardements der Werbung? BÜTZI.ER: Die Kriterien, die für die Konsumenten heute noch immer zählen, sind die Optik und der Preis. Aufgrund von Studien sehen wir, daß beispielsweise die Nährwertkennzeichnung noch nicht so angenommen wird wie erwartet. Wir wissen aber auch, daß die Konsumenten aufgrund der Umweltskandale immer mehr an der Qualität ihrer Nahrungsmittel zweifeien. Die Konsumenten sollten daher lernen, sich in den Geschäften und auf den Märkten genauer umzusehen. Nicht nur der Preis sollte ihre Entscheidung beeinflußen.

Die Werbung spielt natürlich eine massive Rolle, sie prägt auch die Vorstellung davon, wie ein Produkt auszusehen hat. Aber man muß vermehrt auf die inhaltlichen Bestandteile eines Nahrungsmittels achten, bevor man es kauft.

DIEFURCHE: Wer hat schon die Zeit, durch den Supermarkt zu schlendern und die Inhaltsstoffe genau zu studieren? ,

RüTZLER: Das ist sicher ein Problem. In Wien sind beispielsweise derzeit 65 Tomatensugos zu bekommen. Man kann aber praktisch schon zwei, drei nebeneinander legen und das Inhaltsverzeichnis vergleichen. Man wird sehen, daß bei einigen die Liste an Zusatzstoffen länger ist. Man wird weiters sehen, daß die Reihenfolge unterschiedlich ist und kann aufgrund dessen leichter seine Wahl treffen.

Das Problem ist aber sicher, daß der Konsumentenschutz in Österreich

viel zu wenig -

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gefunden hat, um den Konsumenten den EU-Beitritt leichter zu machen. Da haben wir sehr viel verschlafen. Ich glaube, daß heute fast jeder überfordert ist, wenn er versucht, bewußt einzukaufen.

DIEFURCHE: Das fängt schon bei der Fülle von Bio-Produkten an. Ist die naturnahe Landwirtschaft den Österreichern eigentlich ein echtes Anliegen? RüTZLER: Wir haben im Rahmen einer Ernährungskultur-Studie festgestellt, daß noch immer eine große Verwirrung herrscht bezüglich der entsprechenden Kennzeichnung. Aber

ich glaube, daß das Bedürfnis nach solchen Bio-Produkten echt ist. Es gibt auch neuere Studien auf EU-Ebene, denenzufolge 80 Prozent der Konsumenten die naturnahe Produktion am Herzen liegt, und zwar von Portugal bis Griechenland. Die Konsumenten in ganz Europa scheinen sich eine frische, naturnahe Qualität zu wünschen.

DIEFURCHE: Sind diese auch bereit, dafür mehr Geld auszugeben? • RüTZLER: Da geht die Forschung erst los. Aber man sieht bereits, daß die Konsumenten williger werden, mehr Geld auszugeben für gute Grundnahrungsmittel.

DIEFURCHE: Welche Entwicklungen zeichnen sich in der Nahrungsmittelproduktion selbst ab? RüTZLER: Die internationale Nahrungsmittelindustrie versucht immer noch, möglichst billig und schnell zu produzieren. Die wollen sicherlich niemanden gesundheitlich gefährden, aber Qualitätsaspekte wie „regional und frisch”, „reich an Aromastoffen” und ähnliches sind für die noch keine Kriterien. Man arbeitet also derzeit noch ein bißchen an den Wünschen der Konsumenten vorbei.

DIEFURCHE: Ist mit noch mehr Produkten und noch mehr Vielfalt zu rechnen?

RüTZLER: Ja. Es gibt immer wieder Nischen, man kann neue Bedürfnisse schaffen. Dieser Trend geht in Richtung noch mehr Fertige und noch mehr Tiefkühlprodukte. Der andere Trend ist der Wunsch nach naturnahen Produkten. Da scheint mir der Konsument aber fast schizophren zu sein. Er kann nämlich nicht ein Fertigprodukt haben, das ewig haltbar ist, dazu noch ausgepro-chen billig und noch dazu aus natürlichem Anbau stammt. Das widerspricht sich. Derzeit ist das Verhalten so, daß der Konsument gleichzeitig verschiedenen Bedürfnissen frönt. Einmal geht er zu McDonald's, dann wieder kocht er sich eine Fertigsuppe, ein andermal ißt er japanisch oder kauft sich beim Bioladen die Bio-Produkte.

DIEFURCHE: Mehr Fertigprodukte hier,

mehr Bio-Produzenten dort Läßt sich beides nicht vereinbaren? RüTZLER: Ich wünsche mir, daß es vermehrt tiefgekühlte Speisen auf der Basis von Bio-Produkten gibt. Dieser Markt wird überhaupt noch nicht erschlossen. Ich finde es aber übrigens sehr positiv, daß die Bio-Produkte jetzt in die großen Handelsketten wie „Billa” und „Spar” reinkommen. Das eröffnet ganz andere Zielgruppen.

diefurche: Nach welchen Kriterien kaufen Sie selber ein? RüTZLER: Ich bin keine typische Supermarkt-, sondern eine typische Wo-chenmarktkäuferin. Ich gehe gern auf den Wiener Naschmarkt und schaue mir die Sachen an, schnuppere an ihnen und kaufe dann, was mich sozusagen anspringt. Im Supermarkt, wo fast alles verpackt ist, fällt es mir sehr schwer, die Qualität zu beurteilen. Ich finde es ermüdend, zwischen hunder-ten von Produkten zu wählen. Außerdem kann ich mich da nicht beschweren, während ich am Naschmarkt schon meine Standl und Verkäufer habe. Denen sage ich dann schon meine Meinung, wenn etwas nicht geschmeckt hat. So macht das Einkaufen mehr Freude und nur mit schönen Ausgangsprodukten macht es auch Spaß, zu kochen. Ich betreibe es wie ein Hobby, es geht sich nur nicht jeden Tag aus.

dieFurche: Was können Sie Konsu-meten raten, die bewußt einkaufen wollen?

RüTZLER: Generell wünsche ich mir, daß der österreichische Konsument sich nicht primär am Preis orientiert, sondern schaut, woher die Produkte kommen. Es ist, langfristig gesehen, ökologisch ein Wahnsinn, die Grundnahrungsmittel quer durch F,uropa zu führen. Da stimmt doch etwas nicht, wenn zur Hauptsaison die Trauben aus dem fernen Ausland wesentlich billiger sind als die heimischen. Leider scheint das derzeit einfach noch absolut Sinn zu machen. Ich habe den Eindruck, daß hier eine mangelnde Preiswahrheit gegeben ist. Ich glaube, daß die unspektakuläre Empfehlung „regional” und „saisonal” zu kaufen, wieder viel mehr in den Mittelpunkt gerückt werden müßte. Frische Ausgangsqualität ist eines der wichtigsten Qualitätskriterien bei der Nahrung.

dieFurche: Neue Unsicherheiten für die Konsumenten tauchen in Form genmanipulierter Nahrungsmittel auf. Wzrden Sie bald unser herkömmliches Essen ersetzen?

Rützler: Das Angebot der Gentechnik und der Nahrungsmittelimitate wird sieherlich zunehmen. Es gibt überhaupt den Trend, die landwirtschaftliche Erwerbstätigkeit von der Nahrungsmittelproduktion abzukoppeln. Ich rechne aber mit einem Gegentrend, der Bio-Produktion. Wir haben in Osterreich mit 23.000 die höchste Dichte an Bio-Bauern. Diese arbeiten mit der Natur und nehmen dafür eine Minderung ihrer Erträge in Kauf. Die Bio-Produktion wird sicher noch größere Anteile erobern.

dieFurche: Und womit werden uns die gentechnischen Labors überraschen? RüTZLER: Ich rechne damit, daß mit herbizid-restistenten Pflanzen und gen technisch hergestellten Nahrungsbestandteilen der Markt geöffnet werden wird. Ist die Akzeptanz durch die Konsumenten einmal da, dann werden veränderte Mikroorganismen und - langfristig gesehen -auch gentechnisch veränderte Pflanzen und Tiere auf den Markt kommen.

Das Gespräch führte

Elfi Thiemer. Von Hanni Rützler ist kürzlich auch ein Ratgeber zur Lebensmittelqualität erschienen: „Bewußt essen - Gesund leben.” Eine kritische Anleitung zur vollwertigen Ernährung, Verlag Ueberreuter, öS 198,-.

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