"Zur Veränderung braucht es eine kritische Masse“

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Was von einer Frauenquote zu erwarten ist und warum die Quote nur einen Tropfen auf den heißen Stein bedeutet, erklärt die Sozialforscherin Birgit Buchinger.

* Das Gespräch führte Sylvia Einöder

Was kann eine Quote bewirken? Welche Probleme kann sie nicht lösen? Die Historikerin und Politologin Birgit Buchinger im FURCHE-Interview. Sie ist Leiterin von "Solution”, einer Agentur für Sozialforschung und Organisationsentwicklung.

Die Furche: Kann man Chancengleichheit per Gesetz verordnen?

Birgit Buchinger: Wir haben bereits eine rechtliche Gleichstellung. Auf der formalen Ebene hat sich sehr viel getan - faktisch ist noch vieles zu tun. Erst wenn ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis in den Führungsriegen erreicht ist, könnten sich Frauen und Männer hier als gleichwertige Konkurrenten begegnen.

Die Furche: Ist eine Quote das geeignete Instrument?

Buchinger: Die Quote ist vor allem als symbolische Maßnahme zu verstehen. Im Prinzip haben wir nach wie vor eine sehr umfassende strukturelle Benachteiligung von Frauen, aber auch von Menschen mit Migrationshintergrund oder mit Behinderung. Insofern ist die Quote eine sehr aktuelle Forderung und als Übergangslösung sinnvoll.

Die Furche: Wäre also auch eine Quote für soziale Kategorien wie Nationalität oder Alter denkbar?

Buchinger: Ja. Je diverser die Teams zusammengesetzt sind, umso kreativer die Lösungen. Die Zusammensetzung des Managements sollte die Mitarbeiter-Strukturen im Unternehmen wiederspiegeln.

Die Furche: Welche Maßnahmen wären geeignet, Frauen wirklich alle Chancen zu eröffnen?

Buchinger: Es bräuchte viel mehr politischen Druck zum Aufbau von Gender- und Diversitätskompetenz im Management. Noch immer bauen Männer Männer auf - und zwar jene, die dem vorherrschenden Männlichkeitsbild entsprechen. Männer mit körperlicher Behinderung oder Migrationshintergrund haben genauso wenig Chancen. Noch ausschließender funktioniert dieses System gegenüber Frauen, wie diverse Zahlen und Bilder in Manager-Magazinen zeigen.

Die Furche: Wieso eigentlich bleiben viele Männer in der Chefetage lieber unter sich? Was haben sie davon?

Buchinger: In den engen Netzwerken von Unternehmen und Organisationen ist die Loyalität unter Männern eine wesentliche Basis. In vielen Branchen sind etwa Bordellbesuche auf Geschäftsreisen üblich. Wenn man nicht mitzieht, wird es auch für Männer schwierig: Ist man dann noch loyaler Bündnispartner? Es braucht eine kritische Masse von mindestens 30 Prozent, damit sich die Unternehmenskultur ändert.

Die Furche: Mehr Frauen an der Spitze: Welche Erwartungen schwingen da mit?

Buchinger: Ziel ist es, Frauen dort hinzubringen, wo sie wegen ihrer Qualifikation hingehören. Studien belegen, dass Unternehmen mit mehr Frauen an der Spitze erfolgreicher sind. Doch mit geschlechterspezifischen Zuschreibungen wie "Frauen sind vorsichtiger, kooperativer, kommunikativer“ muss man aufpassen.

Die Furche: Viele Leute meinen, eine Frauenquote könnte Männer diskriminieren.

Buchinger: Bislang dominiert eine Männerquote von 85 bis 90 Prozent in den Entscheidungsgremien. Nun gibt es einen Aufschrei, die Männer seien in Gefahr, überrannt zu werden. Durch die Quote würden Männer lediglich ihren historisch gewachsenen und als normal empfundenen Geschlechterbonus verlieren.

Die Furche: Eine Frauenquote für Aufsichtsräte betrifft ja nur eine winzige Elite.

Buchinger: Es gibt nicht nur Bildungsgewinnerinnen: 15 Prozent der Männer, aber ganze 24 Prozent der Frauen hatten 2011 nur einen Pflichtschulabschluss.

Die Furche: Wo müsste man ansetzen, um die Masse der Frauen im Arbeitsleben zu unterstützen?

Buchinger: Bei prekären Beschäftigungen, Teilzeit, schlechter bezahlten "Frauenbranchen“, mangelnder Kinderbetreuung und Pflege. Ein guter Ansatz wäre eine verkürzte Vollzeit von 30 Wochenstunden für alle.

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