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Zuviel und zuwenig

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Wenn für die vordemokratische Zeit überhaupt von einer Steuerpolitik gesprochen werden kann, so fällt daran vor allem die ungleiche Verteilung der Steuerlasten auf. Bevölkerungsgruppen, deren Einkommen noch unter dem Existenzminimum ihrer Zeit lag, mußten den größten Teil des Steueraufkommens tragen. Die Steuerpolitik der Gegenwart will nun nicht mehr eine Demonstration von Willkür und obrigkeitlicher Ausbeutung sein, sie soll keineswegs allein d i e Form der Mittelaufbringung der Gebietskörperschaften darstellen, sondern sie will auch sozialpolitischen Zwecken, einer Neuaufteilung der Einkommen nach sozialen Gesichtspunkten dienen. Dieser neue Steuerzweck ist in Oesterreich vor allem seit 1938, seit der Einführung der deutschen Steuergesetzgebung, sichtbar.

Besteuerung nach sozialen Bestimmungsgründen bedeutet: Die Steuerlast darf nicht „gerecht" im Sinne einer mechanischen Gleichmäßigkeit verteilt werden, sondern so, daß die steuerliche Belastung, soweit möglich, jeden Steuerpflichtigen einer gleich großen subjektiven Belastung unterwirft. Ein Steuerabzug von 100 S belastet ein Einkommen von 2000 S drückender als ein doppelt so großes Einkommen.

Von 1945 bis 1952 war die Steuerpolitik in Oesterreich, soweit sie sozial belangreich war, uneinheitlich, da bis 1952 die Höhe des Steueraufkommens stark unter dem Einfluß der stufenmäßigen Geldentwertung gestanden war. Eine Erhöhung der Steuererträge rapßte nicht notwendig eine Erhöhung der Steuerlasten darstellen, während anderseits eine Verminderung der Besteuerung infolge der Progression der Steuersätze auf die vor allem infolge Geldverschlechterung steigenden Einkommen wieder keine spürbare Entlastung der Steuerträger darstellen konnte. Jedenfalls konnten bis 1952 die Steuerreduktionen nicht den Charakter echter Entlastungen annehmen, sondern waren überwiegend Anpassungen an die Geldwertverschlechterungen.

Ab 1952, mit dem Beginn der Stabilisierung, schien es geboten, die Besteuerten real zu entlasten, da die realen Einkommenszuwachse in einem allmählich leistungsmindernd wirkenden Umfang weggesteuert wurden.

Gegenüber der Vorkriegszeit ist das Bruttonationalprodukt auf das Doppelte gestiegen, vom Beginn der Stabilisierung von 50 auf etwa 120 Milliarden (1957) ohne Berücksichtigung der zwischenzeitlichen Preisänderungen. Nach einer Berechnung der Wiener Arbeiterkammer werden nun 40 Prozent des Volkseinkommens und 28 Prozent des Einkommens der privaten Haushalte weggesteuert. Wenn auch die Besteuerung gegenüber der Vorkriegszeit relativ gestiegen ist, bietet das nach den unterschiedlichen Abzügen verbleibende Resteinkommen trotzdem Wohlfahrtschancen, die erheblich höher sind als beim Durchschnittseinkommen vor dem zweiten Weltkrieg. Man kann daher, trotz des Ansteigens der Besteuerungssätze, nicftt gut von einer Verarmung der Besteuerten als Folge der Besteuerung sprechen.

Vom Standpunkt i einigermaßen gerechter Verteilung der Konsumchancen hat jedoch die Steuerpolitik in den letzten Jahren keine sonderlichen Fortschritte erzielt.

Die Familienverbände fordern eine spezifische steuerliche Entlastung an Stelle der allgemeinen Entlastung, wie sie bisher geübt wurde.

Die steuerliche Entlastung der unteren Einkommensgruppen ist nun so weit fortgeschritten, daß ihnen eine Ermäßigung der Steuersätze kaum noch Vorteile, das heißt eine Erhöhung ihrer Nettoeinkünfte, zu bringen vermöchte. Daher kann eine Besteuerung und eine Steuerreduktion nur noch dort wirksam sein, wo die Steuern noch erhebliche Teile des Einkommens direkt wegsteuern, also im Bereich des sogenannten Mittelstandes. Die steuerliche Entlastung des Mittelstandes wird vor allem deswegen gefordert, weil im Kurvenverlauf der Steuertabelle eine Art „Mittelstandsbauch“ sichtbar ist, eine relativ starke Belastung der mittelständischen Einkommen. Viel stärker ist freilich der in der Steuerprogression sichtbare „Familienväterbauch“. In der Zeit der Steuerermäßigungen von 1952 bis 1957 wurde beispielsweise die Einkommensteuer der Ledigen bei einem Jahreseinkommen von 30.000 S um etwa 4000 S reduziert, bei einem Familienvater mit einem Kind betrug die Steuerverminderung nur 3000 S (bei einem Jahreseinkommen von 90.000 S lauten die entsprechenden Zahlen 16.300 bis 15.400 S). 6ei den Versuchen, die Steuerquellen zu schonen, und ebenso bei der Festlegung des steuerlichen Existenzminimums wurden bisher weithin nur die Ledigen beachtet. So wurde in keiner Weise darauf Bedacht genommen, daß es auch ein Existenzmini- mum je Familie gibt. Man kann es freilich nicht in der Weise errechnen, indem man das Existenzminimum eines Ledigen mit der Zahl der Haushaltsangehörigen vervielfacht. Die moderne Konsumstatistik hat aber Kennzahlen geschaffen, die es durchaus ermöglichen, von den Durchschnittsaufwendungen einer Einzelperson auf die Aufwendungen eines Haushaltes mit mehreren Personen zu schließen.

Die bisherigen steuerlichen Entlastungen waren zu einem großen Teil mechanisch errechnet worden. Dadurch wurden über den Steuertarif Privilegierte und „Diskriminierte“ geschaffen. Ganz besonders drastisch zeigt sich dies bei der Festlegung der Neben einkunftsgrenze von Dienstnehmern, die immer noch, unabhängig von der Ein kommenshöhe und vom Familienstand, uniform 3600 S beträgt.

Eine andere sozial bedeutsame Frage im Bereich der Steuerpolitik ist die der P r o g r e s- s i o n bei der Einkommen- (Lohn) Steuer. In der letzten Zeit wurden Kritiken an der Steuerprogression laut — aber nicht am Verlauf der Progression (das heißt dem Maß des relativen Ansteigens der Steuersätze), sondern am Charakter der Progression selbst (siehe die Rede des Herrn Bundesministers für Finanzen in Bad Godesberg, wiedergegeben in „Steuer und konstruktive Wirtschaftspolitik“, Bonn, Heft 46 der Schriftenreihe des Instituts für „Finanzen und Steuern"). In seiner Rede ging der österreichische Finanzminister davon aus, daß die Progression lediglich das Ergebnis einer bestimmten historischen Situation sei. Nach Meinung des Finanzministers gebe es auch andere Methoden der Verteilung des Volkseinkommens als die indirekte über die Besteuerung. Die gegenwärtige Progression behindere die Kapitalbildung und damit das Ansteigen einer für die Erhöhung der Wohlfahrtschancen unvermeidbaren Produktivität.

Wie immer man sich zur Progression stellen mag, der Versuch, sie durch eine lineare Besteuerung zu ersetzen, ist politisch und sozial unreal. Alle Einkommensbezieher mit dem gleichen Prozentsatz besteuern, hieße zum Beispiel, .die EamiUfn und dj -.ßezäeh , klęįner Einkommen zu ,finem ’r .,aufr,deJ E: F orge- weg verweisen und die Besteuerung auf Methoden zurückführen, wie sie in den ersten Etappen der Sozialpolitik bestanden hatten.

Sicher kann der Verlauf der Steuerprogression in Einzelfällen das Prinzip der Steuergerechtigkeit verletzen. Anderseits wird dieses Prinzip auch in anderen Bereichen des Systems der Besteuerung verletzt. Man denke nur an die Handhabung der Steuergesetze bei der Duldung gewisser Betriebsausgaben (besser; betrieblicher Aufwendungen), die steuermindernd abgesetzt werden können. So werden etwa unter dem Titel der „Repräsentation“ Aufwendungen anerkannt (es sei nur an Betriebsjagden oder an die „Bewirtung“ von „Geschäftsfreunden“ erinnert), die „amtsbekannt" nichts mehr mit Investition, Repräsentation u. a zu tun haben, sondern durchaus privaten Charakter haben.

Aehnliches gilt auch für die Steuerpauschalierung bei bestimmten Gewerbetreibenden. Sie hat auf der Einkunftsseite wie auf der Seite der Betriebsausgaben eine Steuerbegünstigung geschaffen, an die der Gesetzgeber nicht im Traum gedacht hatte (man vergleiche die Ausführungen in der „Steuer- und Wirtschaftskartei“ vom 25. September 1956). Als Folge der Pauschalierung bei der Steuerbemessung wird für die Ermittlung der Höhe des zu besteuernden Einkommens lediglich die Zahl der Beschäftigten in Betracht gezogen und nicht auch die Ausstattung des Betriebes mit Maschinen und ähnlichem, welche die menschliche Arbeitsleistung in ihrer Einkommenswirkung vervielfachen kann. Man geht also bei der Bemessung der Einkommensteuer von Betriebsverhältnissen aus, wie sie im Mittelalter mit seinen im Wesen nur „hündischen“ Arbeitsleistungen bestanden hatten. Während eine Buchhaltung im pauschalierten Betrieb nicht mehr notwendig ist, muß ein Lohnkonto geführt werden, da man das Dienstnehmereinkommen — und nur dieses — exakt festgehalten haben will. Jedenfalls ist die Annahme gerechtfertigt, daß durch die Pauschalierung, die eine Rückkehr zu primitiven Verrechnungsmethoden des vorigen Jahrhunderts darstellt, in einigen Fällen nicht steuergerechte soziale Bevorzugungen entstehen.

Das Anwachsen des Sozialproduktes und der durchschnittlichen Konsumchancen je Staatsbürger haben in Oesterreich übersehen lassen, daß die Wohlfahrt zwar keine mechanisch gleiche je Person sein kann, daß es aber wider den Sinn der wirtschaftsfördetnden Maßnahmen wäre, jetzt, in einer Komfortgesellschaft, neuerlich, wie einst in der Arbeitsgesellschaft, Arme und Reiche geradezu künstlich zu schaffen.

Wenn die Steuerpolitik nicht allein als Instrument ; į r fsönjjinkturpolitik oder gar der Parteipolitik verstanden werden soll, kann sie viel dazu beitragen, daß es nicht allein zu einer Neuaufteilung von Einkommen an sich kommt, sondern zu einer sozial gerechten Neuverteilung, die bisher wohl in Ansätzen, aber ohne jede Systematik sichtbar gewesen ist.

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