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„Zuwanderung allein kann nicht unser Pensionsproblem lösen"

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Das Laxenburger Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) warnt vor den Folgen der Überalterung.

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Das Laxenburger Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) warnt vor den Folgen der Überalterung.

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FURCHE: Seit Jahren wird über die drohende Überalterung der österreichischen Bevölkerung und der damit verbundenen ünfmanzierbarkeit des Pensionssystems diskutiert. Geschehen ist wenig. Alles in Wirklichkeit gar nicht so schlimm? CHRISTOPHER PRINZ: In den nächsten zehn Jahren wird die Bevölkerungsentwicklung noch relativ günstig verlaufen. Daher haben es heute die Politiker leicht, das Problem der Pensionsfinanzierung noch vor sich herzuschieben. Aber schon heute müßten die Weichen für die Zukunft gestellt werden, um gewappnet zu sein. Nehmen Sie die betrieb-hche Pensionsvorsorge her: Gerade sie müßte Jahrzehnte vorher gestartet werden, damit sie bei Bedarf effektiv ist (siehe Dossier, Anm. der Redaktion).

FURCHE: Was müßte jetzt schon schnellstens geschehen? PRINZ: Es müßten die private Vorsorge und die betriebhche Pensionsvorsorge ein Teil des gesamten Pensionssystems werden. Jetzt haben die die Österreicher nur das Gefühl, Eigenvorsorge wird halt auch propagiert, weil es irgendwie notwendig ist, für seinen Lebensabend selbst vorzusorgen.

Die einzigen, die über die Notwendigkeit der Eigenvorsorge heute informieren, sind die Versicherungen. Deren Informationen wirken aber nur wie Werbung und werden daher als nicht sehr glaubwürdig empfunden.

Die Notwendigkeit der Eigenvorsorge müßte von staatlicher Seite besser organisiert und propagiert werden.

Ein Schritt wäre beispielsweise, daß die Möglichkeit von Betriebspensionen nicht nach Lust und Laune in einem Unternehmen in Anspruch genonimen, sondern nach ganz klar festgelegten Kriterien vorgeschrieben wird. Sie müßten sozusagen eine „Muß "-Bestimmung werden. Es müßte genau vorgesehen werden, wer wieviel, wann und in welcher Form zur betrieblichen Vor-, sorge beizutragen hat.

Das ist die erste wichtige Voraussetzung. Denn die meisten Österreicher sind leider nicht vernüftig genug, von sich aus vorzusorgen.

FLTVCHE: Wann kommt gemäß Ihren jüngsten Berechnungen der Bevölkerungsentwicklung der kritische Zeitraum?

PRINZ: Der Sprung in diese Situation, daß wir nämhch weniger Arbeitskräfte und mehr Pensionisten als heute haben werden, beginnt im Jahr 2010 dramatische Formen anzunehmen. Der deutlichsten Anstieg steht uns dann zwischen 2020 und 2030 bevor.

FURCHE: Ist diese Entwicklung nicht ' mehr aufzuhalten?

PRINZ: Nein. Diese Entwicklung können wir heute in keiner Weise mehr beeinflußen. Wir werden daher vor folgender Situation stehen: heute sind etwa 20 Prozent der Bevölkerung über 60 Jahre, dann werden wir etwa 40 Prozent haben. Dazu kommt, daß die Menschen älter werden können. Es gibt Anzeichen dafür, daß die Sterblichkeit der etwa über 80jährigen in den nächsten Jahrzehnten ganz massiv zurückgehen könnte.

Eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang ist, ob es ein „Limit of hfe" gibt. Das heißt, ob es tatsächlich so ist, daß jede einzelne Zelle vorprogrammiert ist auf ein bestimmtes Lebensalter und danach abzusterben beginnt. Oder ob - wie das viele Studien bereits nachweisen -die alternden Zellen von anderen ersetzt werden können. Nach diesen Studien existiert dann überhaupt kein biologisches Limit.

Jedoch ist noch nicht geklärt, ob dieses längeres Leben auch mit Lebensqualität einhergeht, das heißt, ob wir dabei auch gesund leben können.

Für die weitere Zukunft ergibt sich daraus sicher auch die Konsequenz: Die Lebensarbeitszeit muß verlängert werden. Es spricht nämlich überhaupt nichts dagegen, daß die Menschen länger arbeiten.

FURCHE: Durch den Zuwachs älterer Menschen und besonders der über 90jährigen steigt der Bedarf an Pflegepersonal ...

PRINZ: ...den wir sicherlich nur mit ausländischen Arbeitskräften abdecken können. Wir brauchen allein schon aus diesem Grund eine vernünftige Einwanderungspolitik, um Arbeitskräfte für diesen wichtigen Dienstleistungsbereich der Zukunft zu bekoimnen.

FuRCHE: Es heißt ja auch immer wieder, durch verstärkte Hereinnahme von ausländischen Arbeitskräften und damit mehr Aktiven im Arbeitsleben könnten auch die Pensionen der Österreicher in der Zukunft gesichert werden.

PRINZ: Diese Überlegung: hier die Pensionisten, dort genügend aktive In- und Ausländer, die die Pensions-r beitrage bezahlen, stimmt nur theoretisch: Sie läßt nämlich nicht den Schluß zu, daß durch gezielte Steuerung der Einwanderung die Finanzierung der Pensionen gelöst werden kann. Denn diese Menschen wechseln ja in der Folge auch auf die andere Seite und sind Pensionsbezieher. Die Rechnung könnte nur dann aufgehen, wenn man die Ausländer im pensionsfähigen Alter wieder nach Hause schickt und ihnen keine Pensionen zahlt.

Aber das ist in einem Sozialstaat einfach unmögUch. Das heißt, für die Pensionsproblematik ist die Zuwanderung sicher keine Lösung. Die Probleme können nur vorübergehend verschoben werden.

Das Gespräch

führte Elfi Thiemer.

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