Zwischen Armageddon und Gesundbeten

19451960198020002020

Häufigere und heftigere Wirbelstürme durch globale Erwärmung: Die Dramatik des jahreszeitlichen Temperaturausgleichs nimmt zu. Kippt das Klima? Was kann politisch, technisch, wirtschaftlich noch getan werden, um die Gefahr noch abzuwenden?

19451960198020002020

Häufigere und heftigere Wirbelstürme durch globale Erwärmung: Die Dramatik des jahreszeitlichen Temperaturausgleichs nimmt zu. Kippt das Klima? Was kann politisch, technisch, wirtschaftlich noch getan werden, um die Gefahr noch abzuwenden?

Werbung
Werbung
Werbung

Zuerst war jahrelang Klima-Armageddon angesagt. Der mythische Ort, an dem laut Offenbarung des Johannes die bösen Geister alle Könige der Erde für den großen Krieg versammeln, steht symbolisch für Katastrophen aller Art. Die Massenmedien sahen den deutschen Wald schon nach Skandinavien zurückweichen und die Deutschen auf Sylt unter Palmen baden. Hingegen warnen Ozeanographen vor einer dramatischen Abkühlung in Europa bis hin zu einer Eiszeit in den nächsten 50 Jahren. Und zwar als Folge der globalen Erwärmung.

Nun hat eine gegenläufige Tendenz eingesetzt, die im Fall eines sonst seriösen österreichischen Wochenmagazins geradezu an Gesundbeterei denken läßt. Auch zwei deutsche Buchautoren sind mit fliegenden Fahnen ins Lager der Klima-Abwiegler und Wachstums-Legitimierer übergegangen. Ist tatsächlich alles nur halb so schlimm? Die Mehrzahl der Naturwissenschaftler hält Abwiegeln für gefährlich, weil wir damit möglicherweise die letzte Frist zum Gegensteuern versäumen. Warum geistert trotzdem durch einen Teil der Medienlandschaft die "Parole Weitermachen"?

Es gibt dafür ein ganzes Bündel möglicher Motive. Die globale Erwärmung ist ein langsamer Prozeß. Medien leben von Neuigkeiten. Die Erwärmung wird langweilig, Entwarnung hat Newswert. Das Gegenteil dessen zu vertreten, was alle schreiben, bedeutet Profilierung. Es besonders dezidiert und aggressiv zu tun, bedeutet noch mehr Profilierung.

Die Botschaft, daß wir weniger Energie verbrauchen und womöglich hohe Energieabgaben zahlen sollen, ist unangenehm. Noch unangenehmer ist der Gedanke, die Rücksichtnahme auf das Klima könnte ein Wachstumsopfer fordern und zu noch mehr Arbeitslosigkeit führen. Hingegen ist die Botschaft, all das könnte sich erübrigen, eine angenehme Botschaft. Man darf annehmen, daß sie nicht nur den Käufern eines Mediums besser mundet als das ewige Gelaber vom Energiesparen, sondern auch den Inserenten. Identifiziert sich dann womöglich noch ein Technikfreak in der Redaktion besonders mit den optimistischen Nachrichten und zerpflückt die pessimistischen, macht er allen Freude.

Vor allem aber ließ die wirtschaftliche Entwicklung den Spielraum für Entscheidungen dahinschmelzen wie die Gletscher der Alpen. Ein besonders drastisches Beispiel sind die Folgen der Liberalisierung bei der elektrischen Energie. Das Wasser eines Flusses geht bekanntlich nicht für spätere Zeiten verloren, wenn es in einem Kraftwerk genutzt wird. In thermischen Kraftwerken werden nicht erneuerbare Ressourcen unwiederbringlich vernichtet, zugleich entsteht klimaschädliches CO2. Doch der Schaden für unsere Nachkommen und für das Klima geht nicht in den Preis ein. Daher kann das Erdöl so billig sein, daß die Vernichtung unersetzlicher Ressourcen in thermischen Kraftwerken die Wasserkraft mit ihren hohen Investitionskosten uninteressant macht. Die Liberalisierung macht ein Gegensteuern auf staatlicher Ebene unmöglich, bis sich die Europäer zusammengerauft haben, kann es noch lang dauern.

Auch eine Grüne im Österreichischen Nationalrat kritisierte keineswegs die politische Entwicklung, die dazu führte, daß das in ein Wasserkraftwerk investierte Geld nicht mehr verdient werden kann. Vielmehr schoß sie eine Breitseite gegen die E-Wirtschaft ab, die rechtzeitig hätte erkennen sollen, daß sich das Wasserkraftwerk in der Freudenau nicht mehr rechnen würde. Der Mensch glaubt halt im allgemeinen gern und leicht, was er glauben will.

Das Zwanzigste Jahrhundert liefert uns jede Menge Beispiele dafür, daß sich der Wahnsinn schneller durchzusetzen pflegt als die Vernunft. Man müsse Geduld haben, die ökologische Einsicht schreite zwar langsam, aber gerade in den europäischen Gremien auch sicher voran, versichern uns die Vorkämpfer der Solarenergie. Doch Hartmut Graßl vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg wies schon vor Jahren darauf hin, daß sich die kritischen Schwellen, an denen das Klima umkippt, nicht vorherbestimmen lassen. Habe der Übergang von einem Zustand in den anderen einmal begonnen, sei das ein Zug, "der 100 oder 200 Jahre fährt". Niemand könne ausschließen, daß die Menschheit einen solchen Übergang mit den Spurengasen, die sie freisetzt, bereits um das Jahr 1970 ausgelöst habe. Mit dieser Unsicherheit müßten wir leben.

Die Demokratie ist das effizienteste politische System, den Wahnsinn einzugrenzen und der Vernunft eine Chance zu verschaffen, das die Menschheit bisher erfunden hat. Auch darin geschieht viel, was nicht dem Willen der Mehrheit entspricht und Wahnsinn genannt werden darf, doch die Vernunft ist darin jedenfalls auf die Mehrheit angewiesen. Vernünftige Entscheidungen sind aber nur auf der Grundlage verläßlicher Fakten, von Argumenten und Gegenargumenten und unter Abwägung der hinter den Argumenten stehenden Interessen möglich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung