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200 Jahre „Tierärztliche”

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Wie viele Menschen werden in den nächsten Jahrhunderten ausreichend ernährt werden können! Wie kann in Zukunft genügend Eiweifj, das Grundnahrungsmittel des Menschen, sichergestellt werden, damit unsere Nachkommen nicht hungern!

Das sind heute die Hauptprobleme der Wissenschaftler jener Hochschule, die in den nächsten Tagen das Jubiläum des 200jährigen Bestandes feiert. Es sind elementare Fragen, die sich der Veterinärmediziner des 18. Jahrhunderts nicht im Traum hätte einfallen lassen.

Damals wurde die Wiener tierärztliche Schule aus militärischen Gründen als „Kayserlich-königliche Pferde-Curen- und Operationsschule’ errichtet. Sie sollte die Basis der damaligen Kriegsführung, das Pferd, sicherstellen. Es ging in jener Zeit nur um das richtige Beschlagen der Tiere, um Pferdeseuchen, um Operationen bei Verwundungen, kurz um alles, was das Pferd betraf.

Als. Geburtsstunde der Wiener Tierärztlichen Hochschule ist der 24. März 1765 anzusprechen. An diesem Tage richtete die Kaiserin Maria Theresia ein Handschreiben an den Hofkriegsratspräsidenten Graf Chotek, das beginnt: „Ich habe beschlossen, hier eine Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten errichten zu lassen …” •

Am 23. August 1766 wurde der 1. Studienplan von der Kaiserin genehmigt, die Eröffnung der „Pferdekur- und Operationsschule” erfolgte am 12. Jänner 1767 in der ehemaligen „Kaiserlichen Stallmeisterey” im Lobkowitzgarten auf der Wieden (heutiges Areal Ecke Gußhausstraße- Favoritenstra ße).

Unsere Hochschule ist damit die drittälteste tierärztliche Ausbildungsstätte der Welt. Unter den 16 Hohen Schulen Österreichs rangiert die Tierärztliche Hochschule, ihrem Gründungstag entsprechend, an 5. Stelle.

Hochschulprofessor Dr. R. SUPPERER Rektor der Tierärztlichen Hochschule

Die Tierärztliche Hochschule in der Gegenwart

Die Tierärztliche Hochschule in Wien ist die einzige Ausbildungsund Forschungsstätte ihrer Art in Österreich. Sie hat heute den tierärztlichen Nachwuchs heranzubilden und für seine vielfältigen Aufgaben vorzubereiten. Darüber hinaus gehört die Forschung zu den wesentlichsten Aufgaben der Tierärztlichen Hochschule.

An der Tierärztlichen Hochschule sind derzeit 323 Studierende inskribiert, wovon 252 (78 Prozent) Inländer und 71 (22 Prozent) Ausländer sind. In diesem Studienjahr sind insgesamt 94 Studierende neu eingeschrieben worden, davon sind 84 in das laufende 1. Studienjahr aufgenommen worden. Die Gesamtzahl an Tierärzten in Österreich liegt bei 1600.

Das tierärztliche Studium dauert insgesamt neun Semester. Drei Staatsprüfungen mit insgesamt 23 Prüfungsgegenständen sind abzulegen, und zwar die erste nach dem fünften Semester, die zweite und dritte nach dem neunten Semester. Zur Ausbildung der Studierenden stehen 17 Institute und vier Kliniken, also insgesamt 21 Lehrkanzeln zur Verfügung. Für weitere 14 Lehrfächer bestehen Lehraufträge.

Eine umfassende Studienreform ist in Ausarbeitung. Das Studium soll durch Einschränkung der Lehrveranstaltungen gestrafft und den Studierenden auch während des Semesters Zeit für selbständiges Studium gesichert werden. Es ist beabsichtigt, das Studium in fünf Studienabschnitte zu je zwei Semestern zu gliedern. Jeder Studienabschnitt endet mit Prüfungen. Bei diesen Reformen wird übrigens Bedacht darauf genommen, daß auch künftig das zeitweise Studium ausländischer Studenten an der Wiener Tierärztlichen Hochschule ermöglicht wird.

Die Wiener Tierärztliche Hochschule ist schon heute in der Lage, jenen persönlichen Kontakt zwischen Professoren und Studierenden zu sichern, der immer wieder zur Verbesserung der akademischen Ausbildung gefordert wird. Aus diesem Grunde hat die Tierärztliche Hochschule auch für ausländische Studenten eine besondere Anziehungskraft, die neben dem persönlichen Kontakt zwischen Lehrern und Studierenden auch besonders die günstigen Arbeitsmöglichkeiten schätzen.

Um den guten Ruf der Wiener Schule in aller Welt zu erhalten, ist neben der Neuordnung der Studien die bauliche Neugestaltung der Hochschule ein dringendes Erfordernis. Mit der Renovierung und Modernisierung des Hauptgebäudes ist erst ein Beginn gesetzt, dem der Neubau von zahlreichen Instituten und aller Kliniken folgen muß.

Durch Übertragung von Grundstücken von seiten der Gemeinde Wien im Bereich der Hochschule und durch das Land Niederösterreich in der Nähe der Südstadt (33.000 Quadratmeter) wurde die Grundlage für die erforderliche Neugestaltung geschaffen. Schon im Jahre 1910 sollte die Hochschule auf der Schmelz neu gebaut werden. Vielleicht gelingt es unserer Generation, diesen bald 60jährigen Rückstand aufzuholen.

Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Tiermedizin

Dem Tierarzt obliegt die Gesunderhaltung unserer Nutztierbestände. Die jährliche Nutztierproduktion in Österreich beläuft sich auf nahezu 18 Milliarden Schilling, das ist mehr als die Produktivität der Eisen- und Stahlindustrie.

Die Aufgaben des Tierarztes konzentrieren sich nicht nur auf die Behandlung einzelner kranker Tiere, sondern es liegen auch Schwerpunkte bei der Bekämpfung und Tilgung von Tierseuchen, bei den vorbeugenden Maßnahmen zur Verhinderung von Tierkrankheiten und bei der Leistungssteigerung unserer Tierbestände.

Wenn die Kunst züchterischer Maßnahmen das Kuheuter zum größten Produzenten eines hochwertigen Nahrungsmittels entwickelt hat, so ist dieser empfindliche Organismus zu einem speziellen Objekt tierärztlicher Betreuung geworden, um die Gewinnung gesunder Milch und gleichzeitig die Leistungsfähigkeit durch Verhinderung von Erkrankungen zu gewährleisten.

Ein Beispiel tierärztlicher Effektivität in wirtschaftlicher Hinsicht ist auch die Einführung der künstlichen Befruchtung, durch die zunächst einmal die Geschlechtskrankheiten der Nutztiere praktisch getilgt werden konnten. Noch vor wenigen Jahren waren diese Geschlechtskrankheiten bei Rindern weit verbreitet und haben infolge der Sterilität der Kühe schwere wirtschaftliche Schäden verursacht. Durch die künstliche Befruchtung konnten aber auch die modernen tierzüchterischen Erkenntnisse rasch in die Praxis umgesetzt werden, da ein nach neuesten genetischen Gesichtspunkten selektiertes Vatertier durch die künstliche Befruchtung tausende leistungsfähige Nachkommen zeugen kann.

Weitere Schwerpunkte tierärztlicher Forschung und Praxis sind die Tierernährung zur Verbesserung der Ertragsleistung bezüglich Milch, Fleisch, Eier und Geflügel, wobei besonders spezielle Wirkstoffe zu überprüfen sind; ebenso die Lebensmittelhygiene, die neben dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung auch der Verhütung von Verderb und damit von volkswirtschaftlichen Schäden dient. Aber auch die Erarbeitung neuer technologischer Methoden, insbesondere biologische Verfahren, sind Gegenstand tierärztlicher Forschung und Praxis. Dazu gehört auch die Verbesserung der Schlachthygiene und der Schlacht- technik, der Kühlung und des Transportes sowie der Verarbeitung von Lebensmitteln tierischer Herkunft.

Tiermedizin und Volksgesundheit

Daß der Tierarzt auch mit Volksgesundheit etwas zu tun haben soll, mag vielen Nichteingeweihten als weit hergeholt erscheinen. Tatsächlich ist aber die Erhaltung der Volksgesundheit eines der Hauptziele der Tiermedizin.

Schon die primäre Aufgabe des Tierarztes, Tiere von Krankheiten zu heilen, ist nicht unbedeutend für die Volksgesundheit, da viele Menschen in einer mehr oder weniger engen Lebensgemeinschaft mit Tieren leben und dadurch die Möglichkeit für die Übertragung von Krankheiten vom Tier auf den Menschen gegeben ist. Es gibt eine große Anzahl von spezifischen Krankheiten, die vom Tier auf den Menschen übertragen werden können. Milzbrand, Tuberkulose, Tollwut, Rotz, Psittakose, Brucellose, Aktinomykose, Tularämie, Listeriose oder die parasitären Krankheiten, wie Toxoplasmose, Bandwurmseuche und Trichinose sind einige dieser zum Teil sehr gefährlichen Krankheiten, die wegen Übertragbarkeit auf den Menschen auch als Zoonosen bezeichnet werden.

Bestimmte Seuchen, die früher auch unter den Menschen nicht selten verheerende Epidemien ausgelöst haben, sind dank der tierärztlichen Seuchenbekämpfung kaum noch bekannt. Diese Seuchen sind allerdings nicht völlig verschwunden, sie sind lediglich unter Kontrolle gehalten und es bedarf des ständigen Einsatzes der Tierärzte, um diesen Zustand zu erhalten. Durch den wachsenden Personen-, Tier- und Warenverkehr wird aber die Gefahr der Seucheneinschleppung stetig erhöht. Die Einschleppung der sogenannten Affenseuche in die Bundesrepublik Deutschland, die auch Todesopfer gefordert hat, brachte die Notwendigkeit wirksamer Schutzmaßnahmen auch in der Öffentlichkeit wieder in Erinnerung. Die Tatsache, daß immer mehr Tierarten als Haus- und Nutztiere gehalten werden, stellt den Tierarzt bezüglich der Seuchenbekämpfung vor immer neue und schwierige Aufgaben.

Da der Tierarzt den Gesundheitszustand der Tiere und die von diesen ausgehenden Gefahren am besten kennt, ist er auch dazu berufen, die Lebensmittel tierischer Herkunft hygienisch zu betreuen. Auf dem Gebiete der Fleischhygiene ist dieses Prinzip in Österreich vor allem durch die tierärztliche Schlachttier- und Fleischuntersuchung verwirklicht. Die lückenlose Untersuchung des Fleisches der Schlachttiere rechtfertigt das heutige allgemeine Vertrauen des Konsumenten.

Die Tiermedizin ist aber auch bestrebt, die Grundlagen dafür zu schaffen, daß alle Einflüsse von Haustieren ferngehalten werden, welche den von diesen gewonnenen Lebensmitteln eine gesundheitsschädliche Beschaffenheit verleihen könnten. Die tiermedizinische Forschung und Praxis ist auch der Hygiene bei der Behandlung von Lebensmitteln tierischer Herkunft zugewandt. Eine umfassende Ausbil dung auf dem Gebiete der Hygiene bei Lebensmitteln tierischer Herkunft erhält derzeit nur der Studierende der Tiermedizin.

Man kann schließlich sagen, daß die Tiermedizin einen wesentlichen Bereich der Gesamtmediizin betreut zum Zwecke der Gesunderhaltung von Tier und Mensch.

Hochschulprofessor Dr. O. PRÄNDL Vorstand der Lehrkanzel für Fleischhygiene, Fleischtechnologie und Lebensmittelkunde

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