99,9 % Mensch und 0,1 % Kuh

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Letzte Woche wurde in Großbritannien über die Chimären-Forschung abgestimmt. Das Urteil löste einige Aufregung aus. Auch in Österreich - ganz kurz. Eine Analyse von Thomas Mündle.

Anfang 2006 machte Stephen Minger den Vorschlag, menschliches Genmaterial in Eizellen von Kühen einzupflanzen. Die Reaktion der britischen Regierung kam prompt: No way! Damals sei es leider nicht gelungen, den Menschen den Zweck seiner Forschung näher zu bringen, bedauerte der renommierte Stammzellforscher rückblickend in einem Gespräch mit der Furche (Nr. 24/07) im Juni 2007. Das wissenschaftliche Interesse an den Mischwesen - die übrigens "nur" kleinste Spuren an DNA von Kühen enthalten - begründete er so: "Wir möchten daraus Stammzelllinien mit speziellen genetischen Mutationen herstellen, die Krankheiten mit verursachen. Zum Beispiel ließe sich bei Alzheimer die Bildung der Plaques - eine fehlerhafte Anhäufung bestimmter Proteine - in der Petrischale beobachten. Die heutigen Tier-Modelle erlauben das nicht."

Wozu Genome mischen?

Und dass Kuh-Eizellen verwendet werden sollten, hatte einen einfachen Grund: Für die Gewinnung von menschlichen Eizellen müssten sich viele - allzu viele - Frauen einer physisch und psychisch belastenden Hormonbehandlung unterziehen. Die Eizellen von Kühen hingegen sind ein reichlich vorhandenes Abfallprodukt auf Schlachthöfen und bieten da einen pragmatischen (manche sagen sogar einen ethischeren) Ausweg.

Vergangenen Montag hat Minger am King's College London wohl die Korken knallen lassen. Nicht wegen eines wissenschaftlichen, sondern eines ethisch-legalen Durchbruchs (Kritiker würden freilich eher von einem Dammbruch sprechen). Mit einer großen Mehrheit - konkret 336 zu 176 Stimmen - wies das Londoner Unterhaus einen Antrag zurück, mit dem Forschung an Mensch-Tier-Hybriden generell verboten worden wäre. Damit könnte bereits 2009 auf dem Inselstaat ein Gesetz in Kraft treten, das diese Art Forschung ausdrücklich erlaubt. Dabei arbeiten bereits seit geraumer Zeit Forscher der Universität Newcastle an der Schaffung von Mensch-Kuh-Hybridwesen; ähnliche Versuche sind in Minger's Labor in London geplant. HEFA, die Kontrollbehörde für Embryonenforschung, hat die entsprechenden Genehmigungen ausgestellt. Den traditionell liberalen Umgang mit anderswo verbotenen Biotechnologien scheint der klare demokratische Entscheid im britischen Parlament damit nur bestätigt zu haben. Tatsächlich ist dem Votum eine heftige Kontroverse quer über die Parteigrenzen hinweg vorausgegangen. Der konservative Politiker Edward Leigh etwa sprach von einer "Frankenstein-Wissenschaft"; Gordon Brown hingegen schlug sich ganz auf die Seite der Wissenschafter, die eine "zutiefst moralische Anstrengung" unternehmen würden, die "tausende - und auf längere Sicht - Millionen von Menschenleben retten kann". Über die Bezeichnung Frankenstein hätte der besonnene Wissenschafter Minger wohl geschmunzelt, er war ja früher schon von katholischer Seite Vampir genannt worden. Aber ob ihm das Statement seines Premierministers nicht doch einen kleinen Schauer des Unbehagens über den Rücken hat laufen lassen? Millionen von Menschen das Leben retten? Die Stammzelllinien, die aus diesen Zell-Hybriden gewonnen werden, haben keinen direkten therapeutischen Nutzen. Sie bieten einen (mitunter einzigartigen) Weg, um gewisse polygenetische Krankheit modellhaft studieren zu können. Doch wahrscheinlich ging es Minger wieder besser, als er sich an die Zeitangabe des Premiers erinnerte: "auf längere Sicht". Brown hatte sicher mehrere Jahrzehnte gemeint, weil so lange dauert es auf jeden Fall noch - wenn es denn überhaupt mit den Therapien klappen sollte.

Reflexartige Empörung

Die ersten Reaktionen aus Österreich passten zu dem, was eine Studie über die Haltung Österreichs zur Stammzell-, beziehungsweise zur Chimärenforschung kürzlich in Erfahrung gebracht hatte: Die Österreicher zeigen sich im europäischen Vergleich besonders ablehnend gegenüber diesen beiden neuen Technologien - und sie wissen gleichzeitig relativ wenig über das Thema. So empörten sich denn auch vereinzelt Politiker und Journalisten. Vielfach war das ganze aber einfach kein Thema. Und wenn es von den Medien aufgegriffen wurde - wie etwa vom Kurier (25.5.08) - dann zeigte dies nur, dass hierzulande selbst die Wissenschaftssprecher der Parteien oft kaum bis gar nicht informiert sind.

Nicht-Debatte in Österreich

Die einzige qualitätsvolle Debatte initiierte der ORF, der dafür kurzerhand ein "kreuz&quer"-Diskussionsrunde zusammentrommelte. Die Biochemikerin Renée Schroeder und der evangelische Theologe Ulrich Körtner sprachen sich für mehr Forschungsfreiheit aus, wobei beide betonten, dass es sich bei den Hybridwesen um "Zellen"(© Schroeder), respektive "zellartige Artefakte"(© Körtner) handle (Verständlich, denn mit "Chimären" oder "Embryonen" hantieren zu müssen, ist unangenehmer).

Der Humangenetiker Markus Hengstschläger wollte als "bekennender Katholik" nicht über den Beginn des Menschsseins debattieren, da dies bekanntlich ein Kampfplatz für endlose Streitereien sei. Stattdessen argumentierte er rein wissenschaftlich: Es gäbe "sehr viele Alternativmethoden" und Zell-Hybride seien schon 1998 hergestellt worden - das sei also "ein alter Hut" und "nicht State of the Art" (Wobei es einiger Weitsicht bedarf, jetzt schon zu wissen, welche Experimente dereinst von Erfolg gekrönt sein werden). So war seltsamerweise (?) kein Vertreter der katholischen Kirche in der Diskussionsrunde präsent - stattdessen war von Deutschland aus der Philosoph Robert Spaemann zugeschaltet (Seine Meinung findet sich auch in einem kürzlich erschienenen Furche-Interview - siehe Ausgabe Nr. 19/08).

Nach diesem kurzen medialen Lichtblick ist es wieder still geworden um das Thema und das obwohl, wie Ulrich Körtner betonte, die embryonale Stammzell- und Chimärenforschung in Österreich weiterhin gesetzlich nicht geregelt ist. Eigentlich ein unhaltbarer Zustand. Eine Aussage der katholischen Kirche in England aufgreifend, meinte Körtner, dass nicht die Forschung, sondern die Debatte "monströs" verlaufen sei. Eine Woche später lässt sich in Abwandlung dazu über Österreich sagen: Hierzulande ist die Nicht-Debatte monströs.

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