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Hat der Wissenschaftsminister seinen Doktor erschlichen? Ein Verweis auf wichtigere Fragen.

Der Plagiatsjäger hat wieder zugeschlagen. Und diesmal hat es niemand geringeren als den Wissenschaftsminister selbst erwischt. Stefan Weber wirft Johannes Hahn "seitenweises unzitiertes Abschreiben" in dessen Dissertation vor. Hahn wies die Anschuldigung umgehend zurück: Er "habe ordentlich zitiert". Grund für Webers Attacke sei wohl, dass sein Antrag für eine Studie über Plagiate in Österreich kürzlich vom Ministerium abgelehnt wurde. Weber interpretiert die Ablehnung anders: "Am Ende wäre noch rausgekommen, dass auch Wissenschaftsminister Hahn seitenweise unzitiert … abgeschrieben hätte."

Hat er oder hat er nicht?

Hahns Alma Mater kündigte nun an, Klarheit in das argumentative Wirrwarr bringen zu wollen. Die inkriminierte Doktorarbeit wird zurzeit von der Universität Wien geprüft. In den nächsten zwei Wochen soll entschieden werden, ob ein Verfahren gegen den Wissenschaftsminister eingeleitet wird. Damit steuert das Thema Plagiate unweigerlich seinem medialen Höhepunkt entgegen - und die wirklich unwichtigen Fragen rücken einmal mehr in den Vordergrund: Hat er oder hat er nicht abgeschrieben, der Herr Minister? Und: Will sich der Plagiatsjäger mit seinen Aufdeckaktionen bloß am universitären System rächen, das ihm - trotz herausragender wissenschaftlicher Leistungen - keine Stelle gegeben hat?

Als Medienwissenschafter hätte Weber diese Reaktion wohl voraussehen können. Einer breiten Diskussion um Plagiate an den Universitäten scheint sein neuester Vorstoß kaum förderlich. Gleichzeitig ist es Webers alleiniger Verdienst, auf die Copy-Paste-Unkultur an den Universitäten mit großem Nachdruck hingewiesen zu haben. Die Entscheidung, die Debatte in den Medien auszutragen, hat er mit dem Schweigen seitens der Universitätsverantwortlichen begründet. Für kurze Zeit brachten die Pressemeldungen dem selbst ernannten Plagiatsjäger tatsächlich die gewünschte Aufmerksamkeit - und zwangen die Universitäten, Stellung zu beziehen.

Das Resultat: Mehrere österreichische Universitäten haben im vergangenen Jahr spezielle Computersoftware gekauft, um alle zukünftigen (und eventuell auch bereits eingereichten) Diplom- und Doktorarbeiten auf Plagiatsverdacht zu prüfen. Kritiker halten zwar die detektivischen Qualitäten dieser Programme für gering und monieren, dass sich daraus ein digitales Wettrüsten zwischen Universitäten und technisch versierten Studenten entwickeln könnte. Aber immerhin scheinen die Universitäten den Ernst der Problematik erkannt zu haben. Oder doch nicht?

In Wahrheit stellt die Plagiatssoftware doch lediglich ein Mittel zur Symptombekämpfung dar. Ein Computerprogramm mag einige Studenten abschrecken, fördert damit aber nicht eine redliche Haltung. Auch der Quantensprung von der plagiierten Textkollage zum originellen Gedanken lässt sich durch den Kauf von einem Stück Software nicht vollbringen. Und damit ginge es doch eigentlich in der Plagiatsdebatte: die Redlichkeit von jungen Nachwuchswissenschaftern und die Qualität der Ausbildung (deren materielles Endprodukt immerhin die Diplom-, respektive Doktorarbeit ist).

Hohe Qualität …

Auch Weber weiß das. An der Diplomarbeit über Wicki und die starken Männer etwa hat er nicht nur bemängelt, dass große Teile aus dem Internet kopiert wurden, sondern auch, dass die Arbeit inhaltlich sehr dünn ausgefallen ist. In Webers Worten: Es handelt sich um "ein unglaubliches Beispiel von Bagatelle-,Forschung'". Trotzdem - und das ist mindestens genauso erschreckend - hat die Verfasserin eine der wenigen Assistentenstellen an der (Heim-) Universität ergattert und sich dabei gegen rund 30 Bewerber aus mehreren Ländern durchgesetzt.

Dass eine solche Fehlbesetzung an Österreichs Universitäten keine Seltenheit ist, scheint auch dem Wissenschaftsrat nicht entgangen zu sein. In seiner vor wenigen Tagen erschienenen Empfehlung zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses in Österreich hat er ausdrücklich dazu aufgerufen, wirklich nur die Besten zu fördern. Konkret und äußerst sachlich heißt es dort: "Laufbahnstellen müssen in einem objektiven und transparenten Verfahren ausgeschrieben und besetzt werden, das für den nationalen und internationalen Wettbewerb offen ist. Hürden für auswärtige Bewerberinnen und Bewerber - ob offen oder verdeckt - müssen ausgeschlossen sein."

… und große Redlichkeit

Einen weiteren Aspekt des Plagiatsthemas eröffnet die Antwort jenes Professors für Kirchengeschichte, der im August 2006 von Weber des angeblichen Plagiierens überführt wurde: An dem Lexikon, aus dem er Passagen übernommen hatte, habe er ursprünglich als ungenannt gebliebener Autor mitgewirkt. Warum sollten wir dem Angeklagten eigentlich nicht glauben?

Ungenannt bleiben viele junge Akademiker, die ihr Fachwissen auf mannigfache Weise unter Beweis stellen: Sie kreieren Powerpointpräsentationen, mit denen sich der Professor bei der nächsten Konferenz schmückt. Sie reichen innovative Forschungsanträge ein -, natürlich unter dem Namen eines Professors, weil sonst geht der Antrag nicht durch. Etc.

Eine besonders dreiste Form des Ideenklaus ist dabei in den Naturwissenschaften gang und gäbe: die Co-Autorenschaften. Der Co-Autor ist zumeist ein hochrangiger Professor, der genau gar nichts zur Publikation beigetragen - ja, sie vielleicht noch nicht einmal gelesen hat. Und es geht noch übler: Manche Diplomanden müssen vor Antritt ihrer Diplomarbeit ein Dokument unterzeichnen, wonach sie sich einverstanden erklären, im Falle einer (großen) Publikation auf eine namentliche Nennung zu verzichten. Erst dann dürfen die Laborsklaven loslegen: 40 Stunden und mehr pro Woche.

Man mag diese den Jungforschern nicht zuerkannten Leistungen als Kleinlichkeiten abtun. Und doch handelt es sich um Raub von geistigem Eigentum durch ältere Wissenschafter. Und was könnte wichtiger sein für junge Wissenschafter als originelle Ideen? Das ganze Wissenschaftssystem lebt schließlich davon.

Patient: Massenuni

Die Qualität der Uni-Ausbildung hängt letzten Endes nicht allein von den Bemühungen engagierter Menschen ab. Auch die strukturellen Rahmenbedingungen müssen passen. Eine intensive Betreuung beispielsweise verbessert zweifelsohne die Qualität der wissenschaftlichen Arbeit. Das haben einige Universitäten inzwischen erkannt und Doktorandenkollegs eingerichtet, um den Forschernachwuchs gezielt zu fördern. Durch die enge Zusammenarbeit wird Plagiieren eher unwahrscheinlich. Auch können sich diese Jungwissenschafter dank Stipendium voll und ganz der Wissenschaft widmen - ein seltener Luxus in Österreich.

Denn von den 16.000 offiziellen Doktoranden (die Dunkelziffer dürfte weit höher sein) werden lediglich 1200 vom FWF finanziert. Viele müssen also nebenher noch Geld verdienen. Die Folge: Trotz anfänglichem Idealismus sind viele nach einiger Zeit frustriert. Warum also nicht gleich Vollzeit arbeiten und die ersehnte Dissertation einkaufen? Ein Ghostwriter ist zwar teuer, aber das Ergebnis enttarnt weder eine Software noch ein Plagiatsjäger.

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