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Ärztewahl mit Zucker

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Der Juni wird in Wien zum Kampfmonat gegen die Zuckerkrankheit erklärt werden. So will es die Wiener Ärztekammer, die eben mit großem Aufwand eine Frtiherken- nungsaktion vorbereitet. Die eigentliche Kampagne wird sich auf das Wochenende vom 22. und 23. Juni beschränken. Nach den Plänen der Organisatoren wird die Bevölkerung der Bundeshauptstadt zwei Wochen vor diesem Termin im Zuge einer groß angelegten Aufklärungswelle genaue Instruktionen erhalten.

Auf tausend Plakatflächen Wiens wird die Ärztekammer mit dem Schlachtruf „Es geht um Eure Gesundheit“ an die Wiener appellieren, sich an dieser kostenlosen Fernuntersuchung zu beteiligen. Kleinere Plakate gleichen Textes sollen in allen Geschäften, in den ärztlichen Ordinationen, den Apotheken und in Ämtern zum Aushang kommen.

Uber die Telephonnummer 17 33

werden überdies nähere Informationen zu erfahren sein.

Unkomplizierter Test . m .....

Verblüffend einfach ist die Untersuchung selbst. Vor einigen Jahren haben Chemiker ein Teststreifchen entwickelt, das sich verfärbt wenn es mit dem Ham eines Zuckerkranken in Berührung kommt. Die Untersuchung breitester Bevölkerungskreise ist damit nur mehr zu einer Frage der Organisation und Finanzierung geworden. Eine im Besitz des Teststreifens befindliche Person kann die Untersuchung ohne Arzt auf einfachste Art selbst vornehmen, der Mediziner wird dann erst für die Auswertung benötigt.

Mit ihrer Juni-Kampagne beschreitet die Wiener Ärztekammer freilich kein Neuland. So haben die deutschen Ärzte bereits vor Jahresfrist nach dieser Methode in München eine Aktion zur Diabetesfrüherkennung erfolgreich gestartet, bei der 1,1 Millionen Münchner Teststreifchen ins Haus gesandt bekamen. Die österreichische Premiere fand gleichfalls im Vorjahr in Vorarlberg statt. Organisator war dort die Vorarlberger Landesregierung, die auch die Erfassung aller Haushalte im Ländle organisierte.

Gigantischer Aufwand

Von diesen Aktionen unterscheidet sich die kommende Untersuchungswelle der Wiener Ärztekammer vor allem durch den riesigen Propa- gandaaufwand und durch die alle Haushalte erfassende Breite.

Allein der Portoversand an 810.000 Wiener Haushalte kostet 121.000 Schilling. Indessen sind die Erwartungen hinsichtlich der Beteiligung der Bevölkerung keineswegs allzu hoch gesteckt, rechnet man doch nur mit 20.000 Rücksendungen.

Ohne Teststreifchen rechnet man in der Ärztekammer mit Kosten von 823.000 Schilling. Die Teststreifchen selbst, man will 1,7 Millionen Stück bestellen, kosten weitere 561.000 Schilling. Alle diese Kosten will die Ärztekammer vorerst aus eigenen Mitteln bestreiten. Wie hiezu aus gut unterrichteten Kreisen verlautet, dürfte die Kampagne nahezu die gesamten Reserven der Kammer aufzehren.

Kritische Stimmen

Obwohl in Ärztekreisen die positiven Aspekte dieser Initiative im Dienste der medizinischen Prävention voll anerkannt werden, ist das Einverständnis keineswegs lückenlos. So empfinden es die praktischen Ärzte als argen Mangel, daß die Auswertung der rückgesandten Teststreifchen zwar unter fachlicher Aufsicht, aber in technischer Hinsicht von einem Adressenbüro vorgenommen werden soll. Nach Ansicht dieser Kreise würde die Aktion weit wirkungsvoller verlaufen, hätte man die Bevölkerung aufgefordert, im Falle einer positiven Reaktion unverzüglich mit dem Teststreifchen den Arzt aufzusuchen. Die Behandlung könnte dann nämlich weit schneller einset- zen als dies jetzt möglich ist.

Nach dem Organisationsschema der Wiener Ärztekammer wird der als zuckerkrank erkannte Einsender nämlich erst in einer weiteren Postsendung entsprechende Veriialtens- empfehlungen zugesandt bekommen. Dies erscheint knapp am Beginn der Urlaubszeit äußerst problematisch, weil durch Verzögerungen die Behandlung erschwert wird. Unter den Ärzten herrscht auch keine übereinstimmende Meinung bezüglich der Übernahme der Kosten durch die ärztliche Standesvertretung. Es könne, so wird argumentiert, nicht ausschließlich Sache der Kammer sein, eine solche Großaktion im Dienste der Volksgesundheit allein zu tragen.

Die Kritiker halten es auch für keinen Zufall, daß der Zeitpunkt ziemlich genau mit der Wahl zum Präsidenten der österreichischen Ärztekammer zusammenfällt Der Präsident der Wiener Ärztekammer, Doktor Daume, hat sich schließlich schon mehrmals vergeblich bemüht, an die Spitze der gesamtöstemedchi- sohen Ärzrbevertretung vorzustoßen.

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