Akupunktur entmystifiziert

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In Graz wird Akupunktur mit wissenschaftlichen Methoden überprüft. Ein Laborbesuch von Thomas Mündle.

Der Besucherlift im Landeskrankenhaus Graz hält im neunten Stock. Und so muss ich den letzten Stock zu Fuß hochgehen, um zum erst kürzlich gegründeten TCM-Forschungszentrum Graz zu gelangen. Genauer gesagt zu einem der Leiter: Professor Gerhard Litscher, der hier Hightech-Akupunkturforschung betreibt. Ich finde das Büro ganz am Ende des Ganges, die allerletzte Türe links.

"Schön, dass sie es zu uns geschafft haben", werde ich von einem Mann, der in Weiß gekleidet ist, freudig empfangen. Professor Litscher - in seiner Kleidung hätte ich ihn kaum wiedererkannt. Die Internetfotos zeigen ihn nur im Anzug. Ich trete ein. Das Büro ist relativ klein. Litscher meint: "Meine Kollegin kommt in ein paar Minuten. Dann gehen wir runter ins Labor. Aber bis dahin: Setzen Sie sich bitte hier neben mich. Ich erzähle Ihnen ein wenig von unserer Forschung."

Hohe Akzeptanz der TCM

Eine bunte Powerpointfolie erscheint am Bildschirm. Laut einer Studie genießt die Traditionelle Chinesische Medizin (kurz: TCM) in der Bevölkerung eine große Wertschätzung: 80 Prozent befürworten sie. Ich bin nicht beeindruckt und denke mir, dass bei einer Umfrage zur Akzeptanz anderer alternativer Heilmethoden vielleicht ähnlich hohe Prozentzahlen erreicht würden. "Wenn die Österreicher die TCM wünschen, sollte dies auch als Auftrag an die Unis verstanden werden, auf diesem Gebiet zu forschen." Ich stimme ihm zu.

Doch wie kommt man dazu, die Mechanismen der Akupunktur aufklären zu wollen? "Das war reiner Zufall", antwortet Litscher. Vor rund zehn Jahren habe er an der Objektivierung von Biosignalen bei Schwerverletzten gearbeitet. Biomedizinische Technik ist sein Fachgebiet. Ein Anästhesist, der sich mit Akupunktur beschäftigte, habe ihn eines Tages angesprochen: Ihr habt doch diese tollen Apparaturen. Warum schaut ihr nicht einmal, was passiert, wenn man eine Akupunktur-Nadel sticht? "Ich habe gesagt, das lohnt sich nicht." Trotz großer Skepsis habe er dann doch ein Experiment gemacht - und sofort erste Effekte gemessen.

Ab ins Labor

Es klopft an der Tür. Die Kollegin, Dr. Lu Wang, ist da. Zeit, das Labor zu besichtigen. Und während wir einen Stock tiefer gehen, frage ich noch die jung aussehende Chinesin, was sie studiert hat: Westliche Medizin in Graz, östliche Medizin in Peking, kommt die kurze Antwort. Und welche Medizin wird in Chinas Spitälern praktiziert? "Westliche und östliche Medizin existieren gleichwertig nebeneinander. Aber meist wird zuerst nach den Regeln der traditionellen chinesischen Medizin behandelt."

Endlich im Labor. Und es ist kaum größer als das Büro zuvor. Eine einfache Liege und zahlreiche modernste Apparaturen, die den Raum so richtig ausfüllen. Wir stehen. Der Professor zeigt auf ein technisches Equipment und beginnt zu erklären: "Das ist etwa ein Ultraschallgerät. Damit können wir die Blutströmungsgeschwindigkeit messen." Zur Demonstration hält er sich die Sonde an den Kopf. Ein Rauschen ist zu hören. Am Monitor blinkt es farbig und ein paar Zahlen tauchen auf. "Das ist das Strömungsprofil einer Arterie im Kopf in rund fünf Zentimeter Tiefe."

Dann zeigt er auf zwei Infrarot-Spektroskopie-Apparate. Mit denen können Veränderungen des Sauerstoff-Metabolismus im Gehirn ermittelt werden. Dann stehen da noch moderne EEG-ähnliche Geräte, mit denen sich Hirnströme aufzeichnen lassen.

Ich höre nur noch halb zu. Fasziniert starre ich auf ein elektronisches Gerät mit langen Kabeln, an deren Enden rot leuchtende "Stäbchen" angebracht sind. Der Professor hat wohl meinen gebannten Blick bemerkt und meint nun: "Ja, und das sind die Laserakupunkturnadeln. Sie können sie gerne ausprobieren." Frau Wang fixiert eine Lasernadel am Handrücken - zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich muss wohl auf das Spontanexperiment ein wenig verdattert reagiert haben. Denn Litscher beeilt sich, hinzuzufügen: "Keine Angst. Die Lasernadeln werden nicht in die Haut gestochen, sondern nur aufgeklebt. Das macht sie auch für den Einsatz bei Kindern so attraktiv."

Tatsächlich, man merkt keinen Schmerzreiz. Aber auch sonst verspüre ich nichts. Ich erkundige mich bei der Akupunktur-Expertin, ob Hightech-Akupunktur und traditionelle Akupunktur tatsächlich gleich wirken. Wang antwortet: "Manchmal haben wir nur den halben Effekt der Metall-Nadeln, manchmal den Doppelten. Aber prinzipiell sind die Lasernadeln, nadeläquivalent'."

Doch die Laserakupunktur ist in anderer Hinsicht auch höchst interessant. Sie erlaubt erstmals Doppelblindstudien - die in der Medizin als Goldener Standard gelten. Denn: Der Patient weiß nicht, wann eine Lasernadel aktiviert wird, und auch der Arzt bleibt - durch eine Zufallsprogrammierung des Computers - darüber im Dunkeln. Der Professor dazu: "Wir haben solche Experimente gemacht. Zum Beispiel gibt es einen Punkt am kleinen Zeh - Blase 67 - der laut TCM mit dem visuellen Zentrum zusammenhängen soll. Tatsächlich konnten wir bei der Aktivierung dieses Punktes mittels Ultraschall Veränderungen im Sehzentrum im Gehirn messen."

Der kleine Zeh & das Sehen

Der kleine Zeh und das Sehzentrum sollen irgendwie zusammenhängen? Seltsam. Mich interessiert, ob man mehr über die Verbindung weiß. "Um ehrlich zu sein: Nein. Die Chinesen sprechen von Meridianen, aber wir können zurzeit über deren Verlauf im Detail nur wenig sagen", bekennt der Professor offen. Trotzdem: ich bin beeindruckt von der messbaren Fernwirkung.

Doch ließen sich auf diese Weise alle bisher untersuchten Akupunktur-Punkte verifizieren? "Wir haben auch einige Negativ-Studien, in denen wir keine biophysikalische Wirkung feststellen konnten", gibt Litscher zu und meint weiters: "Aber wir publizieren das genauso. Natürlich in schulmedizinischen Fachzeitschriften. Einige Leute haben mit solchen Ergebnissen zwar keine Freude. Aber als Wissenschafter glaube ich nun einmal nur an Daten, Fakten, Zahlen."

Zurück im Büro im zehnten Stock. Und bevor ich mich verabschiede, will ich nur noch eine Frage loswerden: Was hält der Biomediziner von den Gerac-Studien (siehe Kasten), laut denen eine Scheinakupunktur genauso wirkt wie die richtige? Er zuckt bloß mit den Schultern. "Ach, das haben wir und andere Forschergruppen vielfach widerlegt." Sagt's, greift nach mehreren Fachzeitschriften im Regal (Crit Rev Biomed Eng, Part 1-7, 2006-2007) und schwenkt sie, wie zum Beweis in der Luft. "Das steht hier, hier und hier. Man kann nicht einfach irgendwo stechen."

Die Nadel & die kalten Finger

Doktorin Wang nickt und bestätigt: "In einer Studie haben wir einen Punkt namens Neiguan gestochen. Nach den Regeln der TCM hilft das gegen kalte Finger. Wurde punktgenau gestochen, so kam es zunächst zu einer ganz kurzen Durchblutungsreduktion der Finger - weil sich die Gefäße zusammenziehen. Dann aber konnten wir mittels Laser-Doppler-Imaging tatsächlich eine höhere Durchblutung messen. Stach man hingegen ein paar Zentimeter daneben, trat dieser Effekt nicht ein."

Die Zeit ist um. Litscher und seine Mitarbeiterin bringen mich mit wenigen Schritten zu einem andern Lift, der offensichtlich nur von Medizinern und sonstigem Personal verwendet wird. So weit abseits vom Mainstream scheint seine Forschung doch nicht zu sein, denke ich mir, während der Lift nach unten fährt. Die Tür öffnet sich und ich stehe tatsächlich am Haupteingang.

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