Alkohol schädigt alle Organe

19451960198020002020

"In zu großen Mengen konsumiert, schädigt Alkohol praktisch alle Organsysteme." Reinhard Haller, Psychiater, Neurologe und Chefarzt im Krankenhaus Stiftung Maria Ebene - Behandlungszentrum für Suchtkranke in Frastanz bei Feldkirch - sprach in Salzburg über die "Droge Alkohol".

19451960198020002020

"In zu großen Mengen konsumiert, schädigt Alkohol praktisch alle Organsysteme." Reinhard Haller, Psychiater, Neurologe und Chefarzt im Krankenhaus Stiftung Maria Ebene - Behandlungszentrum für Suchtkranke in Frastanz bei Feldkirch - sprach in Salzburg über die "Droge Alkohol".

Werbung
Werbung
Werbung

Was körperliche Schädigung betrifft, ist Alkohol gefährlicher als anderen Drogen", faßt der Sucht-Experte Reinhard Haller zusammen. In Verbindung mit Vitamin-B-Mangel könne es zu Schädigungen der Mundschleimhäute, der Speiseröhre und des Magen-Darm-Traktes kommen. "Besonders bei Konsumenten harter Getränke treten häufig Zungen-, Rachen- und Speiseröhrenkarzinom auf."

Die möglichen Erkrankungen durch übermäßigen Alkoholkonsum betreffen den ganzen Körper: Fettleber-Hepatitis, Leberzirrhose, Entzündungen der Bauchspeicheldrüse (extrem schmerzhaft, oft tödlich verlaufend), Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre können die Folge sein.

"Die Herz-Kreislauf-Wirkungen des Alkohols sind schon lange bekannt, es sei nur an die klassische Erweiterungen der Hautgefäße, die Erhöhung des Blutdrucks oder an das ,Bierherz' erinnert", so Haller. Alkohol habe auf den Herzmuskel sowohl eine "direkt-toxische" als auch eine "indirekt-alimentäre Wirkung" (gesteigerter Vitaminbedarf und Vitaminmangel), die "letztlich zu beschleunigtem Herzschlag, Herzvergrößerung und Herzinsuffizienz führt."

Alkoholiker neigen vermehrt zu Infektionen der Luftröhre, was nicht nur mit dem meist gleichzeitig zu beobachtenden Tabakmißbrauch im Zusammenhang stehe, betont der Sucht-Spezialist. "Die relativ weite Verbreitung der Lungentuberkulose bei Alkoholsüchtigen ist symptomatisch." Weiters sind bei Suchtkranken festzustellen: Knochenmark-Veränderungen, die die Blutbildung unterdrücken, Schädigungen des Muskel- und des peripheren Nervensystems sowie "fast aller endokrinen Organe" (Schilddrüse, Nebennieren). Da Alkohol auch den "gonodalen Kreislauf" beeinträchtige, komme es bei Alkoholkranken häufig auch zu Sexualstörungen. "Die landläufigen Meinungen vom Potenzspender und Kraftmittel Alkohol sind ebenso relativ wie jene vom Rotwein, der dem roten Blut gut tut", betont Reinhard Haller.

Folgenschwer seien die Auswirkungen des Alkohols auf das zentrale Nervensystem. "Die Palette reicht von vorübergehenden, leichten Funktionsstörungen, wie sie sich im Rausch manifestieren, bis zu schweren Hirnabbau-Syndromen." Die Lipoid-Löslichkeit des Alkohols ermögliche seinen raschen Durchtritt durch die Blut-Hirn-Schranke, erklärt der Neurologe. Zu den psychiatrischen Störungen bei "weiter fortgeschrittenem Alkoholismus" gehören das Delirium Tremens, die Alkohol-Halluzinose und die Alkohol-Paranoia, besonders der Eifersuchtswahn. "Etwa ein Drittel aller chronischen Alkoholiker erleidet im Verlauf der Erkrankung zumindest einmal einen mehr oder weniger schweren epileptischen Anfall." Alkoholkranke unterliegen zudem einem um 200 Prozent erhöhten Risiko für Selbstmord.

Da Alkohol auch die Plazenta-Schranke passiert, "hat überhöhter Alkoholmißbrauch während der Schwangerschaft schädliche Auswirkungen auf das Kind". Hochsensibel sei die Phase vom zwanzigsten bis zum 35. Tag nach der Empfängnis. "Man rechnet, daß 40 Prozent der chronisch alkoholkranken Frauen eine Alkohol-Embryopathie aufweisen. Diese sei damit in Nordamerika und Europa noch vor der Trisomie 21 (Mongolismus) die "häufigste angeborene Schädigung". Die beobachteten Schädigungen an Säuglingen bestünden in Minderwuchs und Untergewichtigkeit, Verunstaltungen des Gesichts und Verkleinerungen des Hirnschädels, Mißbildungen des Herzens und des Urogenital-Systems sowie motorischer und geistiger Retardierung.

Kann die Alkohlsucht geheilt werden? Eine "ursächliche Heilung der Suchtkrankeit, wie etwa eine Blinddarmoperation, ist nicht möglich", betont Reinhard Haller. Auch könne es keinen "Zwangs-Entzug" geben, weil Entzug nur auf Freiwilligkeit basieren könne. Allerdings sei der Krankheitsverlauf "rasch, dafür aber voll reversibel". "Die Alkoholsucht ist eine der wenigen Krankheiten, bei der der Patient mitbestimmen kann, ob sie aufhört, oder nicht!"

In der Alkoholindustrie verdienen in Österreich mehr als 100.000 Menschen ihren Lebensunterhalt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung