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Alles „rennet46, rettet, flüchtet

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Es wird unserem Blatt wohl kaum jemand nachsagen können, daß es nicht Verständnis für die Technisierung und den Fortschritt hat. Ja es gibt der modernen Entwicklung im Verkehrswesen seit nunmehr fast eineinhalb Jahren in einer eigenen Beilage Raum. Gerade darum aber fühlen wir uns auch berechtigt, an gewissen „motorisierten Auswüchsen“ ernste Kritik zu üben.

Vor einiger Zeit wurde hier über Motorrennen gesagt, daß sie, im Gegensatz zu den wirklich sinnvollen Erprobungen früherer Zeiten, der Entwicklung des Kraftfahrzeuges nicht mehr nützen. Sie dienen fast nur noch den finanziellen Interessen der Veranstalter und der Befriedigung der Sensationslust der Zuschauer. Dies erwies sich wieder einmal beim letzten Internationalen Höhenstraßenrennen in Wien. Wieder gab es eine ganze Reihe von Verletzten, ja Schwerverletzten unter den Zuschauern.

Die Entwicklung im modernen Kraftfahrzeugbau geht heute kaum mehr in Richtung Höchstgeschwindigkeit. Die Geschwindigkeiten mo derner Rennwagen sind praktisch uninteressant geworden. Es ist doch vollkommen gleichgültig, ob mit einem Automobil 200, 300 oder 400 km/h gefahren werden können. 150 km/h sind auf den bestausgebauten Autobahnen schon die äußerste Geschwindigkeitsgrenze; was darüber liegt, besitzt keinen praktischen Wert. Wichtig ist vielmehr einzig und allein, daß der moderne Kraftwagen schnell beschleunigt und verzögert werden kann und dadurch gute Durchschnittsgeschwindigkeiten zuläßt, die doch immer wieder das wichtigste sind. Wenn man jedoch wirklich der Ansicht sein sollte, daß hohe und höchste Geschwindigkeiten absolut erforderlich sind und auf diesem Gebiet weitere Erkenntnisse im Automobilbau gewonnen werden Sollen — was wir bestreiten —, dann sollen diese Geschwindigkeiten eben außerhalb des Verkehrs und ohne jedes Publikum gefahren werden. Man erprobt ja schließlich auch moderne Düsenjägermaschinen nicht über Großstädten.

Beim Wiener Höhensträßenrenfieir, das an sich nicht einmal als allzu schnelles Rennen an gesprochen werden kann, war der Tribut, der in letzter Zeit nun schon bei fast allen Rennen bezahlt werden muß, ein Verletzter beim Training und sieben zum Teil schwer Verletzte bei der Veranstaltung selbst, darunter drei Kinder zwischen neun und zwölf Jahren. Wenn sich die verletzten Zuschauer auch an einem Platz befanden, der an sich als gefährlich gesperrt war — allerdings in einer Weise, daß sich dort trotzdem Zuschauer ansammeln konnten —, so bedeutet dies nicht, daß sie allein an ihr gi Unfall schuld sind. Bei den Kindern trifft vor allem die Eltern die Verantwortung. Es ist klar, daß sie sich (und nicht nur sie allein) über die Gefahr eines solchen Rennens keine Rechenschaft geben und daher imAer eine Stelle suchen, wo sie möglichst gut sehen. Dabei beachten sie aber nicht, daß dies meist gleichzeitig die gefährlichste ist.

Da in den letzten Jahren bei Rennveranstaltungen fast regelmäßig auch Zuschauer zu Schaden kommen, drängt sich die Frage auf: Muß man denn Gefahrenquellen künstlich schaffen, um die Zahl der Unfälle noch weiter zu steigern? Hat denn die moderne Zeit dem Menschen nicht Spannung genug auf anderen Gebieten oder in anderer Form zu bieten, so daß es nicht unbedingt noch zusätzlicher Aufregungen bedarf, die unter Umständen mit dem Leben bezahlt werden müssen?

Geldverdienen bedeutet hier nicht selten: über Leichen gehen. Es ist geradezu eine Herausforderung des Schicksals, wenn zwischen zwei Menschenmauern hindurch Kraftfahrzeuge, namentlich in Kurven, mit fast unkontrollierbaren Geschwindigkeiten hindurchrasen. Jeder Sportoder Rennfahrer, der anständige Zeiten herausfahren und gegenüber der Konkurrenz bestehen will, ist gezwungen, sein Fahrzeug besonders in .Kurven bis an die Grenze physikalischer Möglichkeiten, was Radhaftunjr - nd Zentrifugalkraft anbelangen, zÜ’fanren. Wenn man sich nun überlegt, daß auf einer Länge von rund 2,7 km rund 50.000 Menschen placiert sind, wie es zum Beispiel beim Höhenstraßenrennen der Fall war, dann kann man sich ungefähr vorstellen, welche Formen hier auch der kleinste Unfall bereits annehmen muß.

Die Bilanz des Höhenstraßenrennens: Sieben zum Teil schwer verletzte Menschen, viel Glück, daß nicht noch wesentlich mehr passierte, denn es gab einige sehr bedenkliche Situationen, die zu weiteren schweren Unfällen hätten führen können, mehrere beschädigte Fahrzeuge, 8000 zertrampelte, frisch gepflanzte Rosenstöcke, erheblicher Flurschaden, darunter die im Aufblühen begriffenen Bäume, die von Zuschauern voll „besetzt" waren, mangelhafter Ordnungsdienst, schlechte Organisation, aber — relativ gute Einnahmen. Denn jede Zuschauerkarte kostete 12 S

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