Die vergangene Silvesternacht ist vielen Menschen mit einem sehr negativen Beigeschmack in Erinnerung geblieben. Hunderte von jungen Frauen in Köln und weiteren Städten Deutschlands wurden in jener Nacht Opfer von sexuellen Übergriffen durch junge Männer mit ausländischem Hintergrund. Nun steht die nächste Silvesternacht vor der Tür. Die Polizei ist alarmiert und rüstet schon jetzt auf, was auch richtig ist. Mich beschäftigt jedoch die Frage, wie unsere Gesellschaften präventiv die Werte des gegenseitigen Respekts zwischen Männern und Frauen vermitteln können. Eines steht fest: Werte werden nicht dadurch vermittelt, dass man sie predigt, sondern die Betroffenen müssen sie sich selbst aneignen; Werte müssen erfahren und gelebt werden. Und dies geschieht, wenn man die betroffenen jungen Männer mit patriarchalen Einstellungen als Subjekte und nicht als Objekte der Wertevermittlung wahrnimmt und entsprechend behandelt: Sie sollten also nicht einfach als leere Gefäße betrachtet werden, in die man Werte der Gleichberechtigung eintrichtert, sondern als Individuen, die Empathie entwickeln und sich selbst zu verantwortungsvollen Individuen bestimmen können.
Diese jungen Männer brauchen Begegnungen mit Werten des Respekts, damit sie diese kennenlernen und die Möglichkeit haben, sich diese anzueignen. Sie selbst sind meist in patriarchalen Familien sozialisiert worden und kennen keine anderen Bilder. Empathiebildung braucht aber Fingerspitzengefühl von allen. Ziel der Gesamtgesellschaft soll ja sein, den Wandel der Wertevorstellungen dieser jungen Männer zu unterstützen und nicht, sie zu kriminalisieren. Die gegenwärtigen Diskussionen polarisieren jedoch oft, indem sie Gruppen pauschal verdächtigen und diese zu Kriminellen stigmatisieren. Niemandem ist geholfen, wenn es am Ende heißt: "Diese Männer belästigen Frauen, weil sie Muslime sind."
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster
