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VOR DREIEINHALB MONATEN tauchte ein Silbervogel mit rot-weiß-roten Schwanzfedern und dem Zeichen einer neuen Fluggesellschaft über London auf — er erscheint seither täglich um die Mittagsstunde über der Themsestadt. Im Monat darauf nahmen die Flugzeuge der „Austrian Airlines“, kurz AUA genannt, den Verkehr nach Frankfurt und Zürich auf. Und wiederum einen Monat später den regelmäßigen Flug nach Paris mit einer kurzen Zwischenlandung in Stuttgart.

Vor kurzem startete eine AUA-Maschine zum Erstflug nach Rom. Die Propellerwirbel und die Abgasstrahlen aus den Turbinen peitschten das Regenwasser in seltsamen Figuren über die Betonpiste, wenige Minuten später stieß das Flugzeug durch eine dichte Wolkendecke in einen klaren blauen Himmel hinein. Leider muß man auch im Zeitalter der Direktflüge Umwege machen. Umwege, die der Verkehrsfliegerei hauptsächlich durch Grenzen, die sie nicht überfliegen darf, und durch militärische Sperrgebiete aufgezwungen werden. So führt der Weg der AUA nach Rom über bayrisches Gebiet, über Innsbruck und erst dann nach Süden. Trotzdem landet die Vickers Viscount, die dreimal in der Woche um 14.15 Uhr von Schwechat startet, schon um 16.55 Uhr auf dem Flugplatz Ciampino bei Rom.

DIE VIER MASCHINEN vom Typ Vickers Viscount 779 D, die der norwegische See- und Luftreeder Fred Olsen der AUA als Charterflugzeuge zur Verfügung gestellt hat und die mangels fertig -ausgebildeter . ,.. österreichischer Kräfte von norwegischen Flugzeug-. kapitänen geführt werden, zählen zu den schnellsten Verkehrsflugzeugen, die gegenwärtig im Einsatz stehen. Die bereits jetzt fast schon legendären Düsenflugzeuge der Typen Boeing 707, Douglas DC 8 und Caravelle werden ja erst in einiger Zeit für den Luftverkehr verfügbar sein. Unsere Vis-counts 779 D sind leichter und daher auch schneller als die neuen, mit den gleichen Turbinentriebwerken ausgerüsteten Vis-counts 8 80, die ungefähr seit einem halben Jahr fliegen. Diese fassen rund 60 Passagiere, unsere nur 48. Was an Gewicht für die größere und schwerere Kabine eingespart wird, kommt der Geschwindigkeit zugute — und damit sowohl dem Fluggast, der schneller am Ziel ist, als auch der Fluggesellschaft, für die kürzere Flugzeiten mit dem gleichen Triebwerk einen geringeren Treibstoffverbrauch bedeuten. Für eine junge Gesellschaft wie die AUA, die größere Flugzeuge ohnehin nicht ausnützen könnte, ist dies ein sehr günstiger Umstand.

Unsere Viscounts erreichen in einer Höhe von rund 7000 Metern, die sie aber, wenn es die Wetterlage erfordert, noch beträchtlich überbieten können, eine Geschwindigkeit von 400 bis 500 Kilometern in der Stunde. Sie haben eine Reichweite von 18 30 Kilometer, sind mit modernen Ortungsgeräten ausgerüstet und haben ein Startgewicht von maximal etwa 28.000 Kilogramm. Rechts und links des Mittelganges sind nur jeweils zwei Sitze in jeder Reihe angeordnet, gegenüber drei auf der einen und zwei auf der anderen Seite bei den meisten anderen Ausführungen. Jedes der vier Rolls-Royce-Triebwerke, die, ein besonderes Merkmal der Viscount, weit über die Flügelvorderkanten hinausragen, leistet 600 Pferdekräfte.

Der Turbinenantrieb ist ein außerordentlich rationelles Mittelding zwischen den Propelkr-flugzeugen mit Kolbenmotor und den reinen

Strahlflugzeugen ohne Propeller. Das Turbinentriebwerk ist ein Strahlantrieb, der seine Kraft in der Hauptsache über eine Turbine an eine Luftschraube abgibt. Die Nachteile des Kolbenmotors, seine Lautstärke und seine Untüch-tigkeit in größeren Höhen, fallen hier weg. Dafür vereinigte der Turbinenantrieb die Vorteile des Propeller- mit denen des Düsenantriebs: Die Viscounts können auch in geringer Höhe und damit auf kurzen Strecken rationell betrieben werden — und zwar mit dem Düsentreibstoff, der nur einen Bruchteil des Benzinpreises kostet und im Fall des Falles nicht so leicht entflammt. Sie fliegen unvergleichlich leise, ruhig und — billig.

WER HEUTE EINE FLUGGESELLSCHAFT AUF DIE BEINE STELLT, muß eben damit rechnen, daß das Geschäft zäh anläuft. Die AUA bemüht sich daher um einen möglichst sparsamen Betrieb. Tatsächlich ist keine einzige Fluggesellschaft der Welt beim Aufbau ihres Flugbetriebes mit so geringen Mitteln ausgekommen wie unsere österreichische. Dort, wo es um die Sicherheit geht, beim Flugbetrieb und am Material, wird nicht gespart. Wer aber die Generaldirektion der AUA in der Salesianer-gasse besucht, die in einigen Zimmern rechts und links eines Ganges untergebracht ist, wird vergeblich nach irgendwelchem Luxus und irgendwelchem Prunk suchen und nach irgendeiner unnötigen Anschaffung. Die AUA will nicht mehr scheinen, als sie ist. So ist es ihr gelungen, einen internationalen Billigkeitsrekord aufzustellen, der noch seine Früchte tragen wird.

Die Zahl der Fluggäste reicht ja im Durchschnitt noch nicht aus, um die Selbstkosten des Flugbetriebes zu decken. Europa verfügt heute über ein ausgebautes, auf jeder Strecke von mehreren Gesellschaften beflogenes Luftverkehrsnetz. Alle diese Fluggesellschaften sind zu einem internationalen Kartell mit besonders scharfen Bestimmungen zusammengefaßt, die es einem jungen Unternehmen unmöglich machen, sich durch ins Gewicht fallende Mehrleistungen oder gar durch irgendein „Entgegenkommen“ bei den Preisen gut einzuführen — man mag darüber denken, wie man will. Sogar die Breite der Sitze in den einzelnen Klassen ist streng vorgeschrieben und darf keinesfalls überschritten werden. Eine großangelegte Werbung für die AUA im Ausland wiederum kostet Summen, die der Gesellschaft heute nicht zur Verfügung stehen. Ein einziges Plakat, eine einmalige Ansage im Radio oder Fernsehen erreicht nicht viel. Ein rund zweimonatiger Werbefeld-zug allein im Fernsehen, allein in London, kostet nicht viel weniger als eine Million Schilling. Die AUA jedoch, die vier Maschinen im Wert von je 3 5 Millionen Schilling gechartert hat, arbeitet mit einem Aktienkapital von nur 60 Millionen Schilling. Wird die AUA jemals ihre Kosten decken können? Wird sie nicht immer ein Zuschußunternehmen . bleiben? Brauchen wir überhaupt eine eigene Fluggesellschaft? Diese Fragen werden in letzter Zeit oft gestellt.

BRAUCHEN WIR EINE FLUGGESELLSCHAFT? Man könnte mit einer Gegenfrage antworten. Braucht der Mensch eine Armbandoder Taschenuhr? Er braucht sie nicht und er braucht sie doch. Es gibt heute kaum einen Menschen ohne eigene Uhr mehr — und kaum einen Staat ohne eigene Fluggesellschaft. Sogar Luxemburg unterhält seine eigene LUX-AIR Ganz zu schweigen von überseeischen Kleinstaaten, die alle, so wie Nikaragua mit seiner insgesamt zwei Millionen Einwohnern, ihre eigenen Fluggesellschaften haben.

Sie alle wissen wohl, warum. Ganz abgesehen von den zahlenmäßig nicht erfaßbaren Vorteilen einer eigenen Fluggesellschaft, ist nämlich noch jede einzelne von ihnen ein gutes Geschäft geworden. Wir wollen von den Summen schweigen, die von den großen Unternehmungen verdient werden, von der Verzinsung ihres Aktienkapitals — sie haben es nicht gern, wenn man davon spricht. Wir wollen uns nur den Vergleich mit einer Fluggesellschaft erlauben, die vor einigen lahren, also ebenfalls verhältnismäßig spät, als ..Nachzügler“, begonnen hat und die ebenfalls mit Flugzeugen von der Type Vickers Viscount fliegt — mit Irlands AIR LIN-GUS. In den ersten Jahren war ihre Gebarung passiv. Im vierten und fünften warf sie bereits Gewinne ab. Keine einzige Fluggesellschaft konnte im ersten halben Jahr ihres Bestehens ihre laufenden Ausgaben hereinbringen. Anderseits ist keine, die mit einem Minimum an kaufmännischer und technischer Tüchtigkeit geführt wurde, ein Verlustgeschäft geblieben.

HEUTE SIND die Aussichten besser denn je. Der Flugverkehr ist das Geschäft der Zukunft. Das Flugzeug beginnt langsam, aber sicher das Verkehrsmittel für lange Strecken zu werden. Sogar in Europa sind die ersten Anzeichen dieser Entwicklung zu bemerken. Sie wird heute nur noch durch Flugpreise zurückgehalten, die, seien wir ehrlich, höher sind, als sie sein müßten. Eines Tages werden sich die Gesellschaften zusammensetzen und zu einer Senkung der Flugpreise durchringen müssen. Erst dann wird das Zeitalter des Flugverkehrs so richtig beginnen.

Bis dahin sollte auch die AUA ordentlich im Rennen um den Fluggast liegen. Mit ihrem Reklameslogan ,.The friendly Airline“ tat sie ja einen guten Griff. Freundlich zu sein genügt natürlich auch für die österreichische Airline nicht. Aber sie bietet einen Vorteil, der wohl mimer mehr Fluggäste veranlassen wird, ihre Maschinen zu wählen. Sie stimmt ihren Flugplan stets auf die österreichischen Gegebenheiten ab. Für den großen internationalen Luftverkehr ist Wien in erster Linie Umsteigestation — kann nicht mehr sein. Die Start-und Landezeiten müssen den Umsteigeverkehr begünstigen — wichr 4ig, j&t'daß die Fluggäste ihre' An Schlußmaschinen erreichen, ohne lange warten zu müssen. Für die AUA ist Wien die Haupt- und Kopfstation. Ihr Flugplan berücksichtigt in erster Linie die Interessen des österreichischen Reisepublikums und der Leute, die nach Oesterreich kommen. Für sie soll der Flugplan der AUA am bequemsten sein. Eine „Fahrplanpolitik“, die gute Chancen hat und bereits auf Erfolge hinweisen kann: Die AUA hat die erste direkte Flugverbindung von Wien nach Rom hergestellt, in eine Stadt, die mit der Bahn nur nach ungebührlich langer Fahrt zu erreichen ist. Stuttgart bekam durch die Zwischenlandung der AUA-Maschinen nach Paris die erste direkte Flugverbindung in die Stadt an der Seine. Und das tägliche AUA-Flug-zeug von Zürich nach Wien hat sich als besonders günstige Abendverbindung bewährt, als richtige „Blaue“.

Demnächst soll der Flugverkehr nach Warschau aufgenommen werden. Damit wäre der Maschinenpark der AUA voll ausgenützt, denn eine der vier Viscount muß stets zur Wartung oder als Reserve im Hangar stehen.

Was die nächste große Etappe beim Aufbau des AUA-Strecken-netzes bringen wird? Die ersehnte Flugverbindung über die Ostblockländer nach Istanbul? Hoffnungen sind keine Grenzen gesetz!

AUF DEM HEIMWEG fliegt unsere Viscount plötzlich über eine Wolkenlandschaft mit Küstenlinien und Inseln, über ein Packeis der Atmosphäre, einen Farbenrausch in Weiß, Rosa, Blau und Violett. Während die Stewardeß das Abendessen serviert, wird es draußen dunkler. Der Himmel nimmt ein Tiefblau an und der halbe Horizont erstrahlt in einem brennenden Rot, wie man es unten, 7000 Meter unter uns, nicht kennt. Die Frucht auf dem Teller scheint aus einer fremden Welt. Für den, der seine Augen offenhält, ist das Fliegen auch heute nicht ohne Visionen.

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