
Anthropozän: Plastik statt Schalen
Fernab von großen Städten und Industriegebieten liefern Aufnahmen von Einsiedlerkrebsen eindrucksvolle Bilder für das Anthropozän, die neue „Epoche des Menschen“.
Fernab von großen Städten und Industriegebieten liefern Aufnahmen von Einsiedlerkrebsen eindrucksvolle Bilder für das Anthropozän, die neue „Epoche des Menschen“.
Okinawa, das „Hawaii Japans“, ganz im Süden der japanischen Inselgruppe: An einem schwülen subtropischen Vormittag kriecht ein drahtiger Mann mit einer massiven Spiegelreflexkamera durch das Unterholz in Strandnähe. Dieses Kriechen sieht nicht besonders angenehm aus. Zwischen den dornigen Ästen der Pandanuspalmen, den scharfen Korallenfelsen und den zerbrochenen Glasflaschen – Überbleibseln von Strandpicknicks – muss sich der Fotograf vorsichtig bewegen. Der Mann ist mein Tauchpartner Shawn Miller; ein erfolgreicher Naturfotograf, dessen Fotos auch schon in National Geographic erschienen sind. Seit Jahren verfolgt Shawn ein ungewöhnliches Projekt: Er dokumentiert Einsiedlerkrebse, die Plastikabfall als Behausungen verwenden.
Revolution des Erdmittelalters
Einsiedlerkrebse, also Krebse, die die Schalen von Weichtieren als Heime verwenden, sind eine evolutionär relativ neue Erscheinung, aus dem Erdmittelalter. Diese Krebse sind also nur etwa so alt wie Säugetiere. Der älteste als Fossil erhaltene Einsiedlerkrebs ist etwa 200 Millionen Jahre alt. Ein Einsiedlerkrebs aus der frühen Kreidezeit ist sogar komplett mit seiner Behausung als Fossil erhalten geblieben. Interessanterweise hatte dieser Krebs seinen Hinterleib mit der Schale eines Ammoniten geschützt, eines mittlerweile ausgestorbenen beschalten Verwandten der Kalmare. Es scheint, dass im Erdmittelalter der Druck auf die Tiere in den unteren Schichten des Nahrungsnetzes stark zugenommen hat. Raubtiere wurden damals häufiger und stellten ihrer Beute mit mehr Kraft und Schnelligkeit nach. Diese „Marine Revolution des Erdmittelalters“ hat wohl auch eine Entwicklungslinie der Krebstiere dazu gebracht, sich einen zusätzlichen Schutz zuzulegen – die Schalen toter Meeresschnecken. Eines ihrer Scherenbeine wurde im Laufe dieser evolutionären Wandlung zu einem dicht sitzenden Verschluss der Schneckenschale umgebildet, und der nun von einem Schneckenhaus geschützte Hinterleib verlor seine Panzerung.
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