Architekt für Frieden und Demokratie

Werbung
Werbung
Werbung

So viele bewundernde Stimmen erheben sich. Bronisaw Geremek erntet postum Lob und Anerkennung von allen politischen Seiten. Das Mosaik, welches sich dabei entpuppt, besteht immer wieder aus denselben Steinchen - eine große politische Klasse, Großzügigkeit, Konsequenz, Ironie und Selbstdistanz - anstatt Aggression. Dies sind Elemente seines politischen Stils. Was den politischen Inhalt angeht, so war das eine Politik der Werte und der Visionen, die die Welt ändern wollte, statt politischen Kuhhandel zu betreiben.

Jahrelang habe ich seine Arbeit als Vorsitzender einer parlamentarischen Fraktion beobachtet. Weil man dort ständig den linken Flügel tadeln musste, hatte die rechte Seite der Fraktion auch immer wieder etwas zu hören bekommen - ohne dabei schuldig zu sein. Diese elegante und wirkungsvolle Symmetriemethode habe ich später im eigenen Ausschuss gern kopiert. Gern würde ich auch etwas anderes kopieren: Die große Ruhe in jeder Krise, die Fähigkeit, sich allen Argumenten zuzuwenden und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er war jedoch kein Roboter, die großen Emotionen waren sehr wohl da. Eine Begegnung mit ihm in Wien habe ich heute noch vor Augen: Als polnischer Außenminister kam er spät am Abend aus Brüssel, wo Polen die EU-Verhandlungen damals führte. Am nächsten Morgen um acht Uhr begann die Sitzung der OSZE, wo er eine Debatte führen sollte. Der Professor, wie ihn alle nannten, wollte von uns ein umfangreiches Briefing, das um zwei Uhr in der Nacht endete. Am Tag darauf beobachtete ich mit Faszination, wie präzise er unsere Bemerkungen angewendet hat, zusätzlich beantwortete er die Fragen der Delegierten in den entsprechenden Sprachen: Russisch, Englisch, in tadellosem Französisch, nur Deutsch nicht.

Ich glaubte, er kannte auch diese Sprache gut, öffentlich hat er sie aber nie gesprochen. Erst 1998, bei der Verleihung des Karlspreises in Aachen, sagte er voller Emotionen, dass er jetzt zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg wieder deutsch sprechen könne. Nach der Flucht aus dem Ghetto, wo seine gesamte Familie ermordet worden war, wurde er in der Region Großpolen versteckt. Ausgerechnet dort ist er am 13. Juli bei einem Autounfall gestorben.

Einmal habe ich mich im Zusammenhang mit seinem neuen Doctor-honoris-Causa-Titel scherzhaft beklagt, dass man normalerweise dem eigenen Chef in der Karriere folgen sollte, aber in seinem Fall wird das schlicht unmöglich, was höchst unfair gegen uns, seinen Schülern, sei. Er hatte versprochen sich künftig etwas zu beschränken …

In jungen Jahren überzeugter Kommunist, gehörte er in den 70er Jahren zu den regimekritischen Kreisen, übernahm aber erst mit der Gründung der unabhängigen Gewerkschaft Solidarno´s´c eine führende Rolle. Bei den Gesprächen am Runden Tisch wurde er als Architekt des friedlichen Übergangs zur Demokratie bekannt. Polen hat einen großen Verlust erlitten - Lech Waesa, heute danach gefragt, was er von Geremek gelernt habe, meinte sinngemäß, dass er nicht in der Lage war von Geremek zu lernen, so vollständig und kohärent war er. Irena Lipowicz

Die Autorin war polnische Botschafterin in Österreich, Sonderbotschafter für die deutsch-polnischen Beziehungen, Abgeordnete im Sejm und Mitglied der Solidarno´s´c.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung