Apokalypse - © Foto: iStock/Grandfailure

Arten des Weltuntergangs

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Neue Technologien könnten die Menschheit an den Rand der Selbstzerstörung bringen, diagnostiziert Zukunftsforscher Nick Bostrom. Doch auch die insinuierten Schutzmaßnahmen klingen dystopisch.

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Neue Technologien könnten die Menschheit an den Rand der Selbstzerstörung bringen, diagnostiziert Zukunftsforscher Nick Bostrom. Doch auch die insinuierten Schutzmaßnahmen klingen dystopisch.

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Dass der Datenschutz angesichts einer globalen Bedrohung rasch relativiert wird, hat sich im Zuge der Corona-Pandemie gezeigt. Gilt es doch, die Interessen der öffentlichen Gesundheit gegen jene der Privatsphäre abzuwägen. Dass der Datenschutz angesichts zivilisatorischer Verwundbarkeiten künftig überhaupt ein nachrangiges Argument werden könnte, glaubt Nick Bostrom.

In seinem neuen Buch „Die verwundbare Welt“ präsentiert er das beklemmende Szenario einer lückenlosen Echtzeit-Überwachung: „Alle Bürger und Bürgerinnen bekommen ein ‚Freiheitskettchen‘ – den Nachfolger von heute schon bekannten Überwachungsgeräten wie der Fußfessel, die in einigen Ländern als Alternative zur Haftstrafe genutzt wird; den von Polizisten getragenen Bodycams; den Funkarmbändern, mit denen einige Eltern ihre Kinder im Auge behalten; und natürlich dem allgegenwärtigen Smartphone“, das ohnehin schon als „persönliches Ortungsgerät“ fungiert. Das „Freiheitskettchen“ wäre aber noch fortschrittlicher, es wird um den Hals getragen und ist mit Kameras und Mikrofonen ausgestattet. „Verschlüsselte Bild- und Tonsignale werden unablässig vom Gerät in die Cloud hochgeladen und in Echtzeit interpretiert (...). Bei verdächtigen Aktivitäten werden die Daten an eine von mehreren Überwachungsstationen weitergeleitet – riesige, rund um die Uhr besetzte Bürokomplexe. Dort überprüft eine Freiheitsbeauftragte den Videofeed auf mehreren Bildschirmen und hört sich den Ton über Kopfhörer an.“ Allumfassende Kontrolle wäre gar nicht so schwer zu rechtfertigen, so Bostrom, wenn man dadurch globale Katastrophen effektiv verhindern könnte.

Werden allumfassende Überwachung oder präventive Inhaftierung angesichts einer drohenden Auslöschung künftig sogar gern in Kauf genommen?

Was zunächst klingt wie eine düstere Dystopie, sind die Argumente eines Philosophie-Professors an der Universität Oxford, der sich ein heiß umstrittenes Forschungsgebiet ausgesucht hat: die Zukunft. Bostrom ist Direktor des „Future of Humanity Institute“ sowie des „Programme on the Impact of Future Technology“. Dort denkt er über die technologische Optimierung des Menschen ebenso nach wie über gravierende Risiken, die den Untergang der menschlichen Zivilisation bedeuten könnten. Sein eiskalter Blick in eine abgründige Zukunft macht den Schweden für manche zum „gruseligsten Philosophen der Welt“ (Washington Post).

Glück im Kalten Krieg

Zugegeben, auch sein aktuelles Buch ist keine erbauliche Lektüre. Es widmet sich einer verwundbaren Welt, wo nicht nur die Klimakrise oder ein neues „Zeitalter der Pandemien“ bedrohlich am Horizont erscheinen. Auch Szenarien der menschlichen Selbstzerstörung werden hier analysiert. Denn Bostrom geht davon aus, dass die technologische Entwicklung unweigerlich auf einen kritischen Punkt zusteuert: Man müsse damit rechnen, dass unter den menschlichen Erfindungen gleichsam eine „schwarze Kugel“ auftaucht, deren globales Vernichtungspotenzial nicht mehr aus der Welt zu schaffen wäre.

Die Atombombe ist ein naheliegendes Beispiel für solch eine zerstörerische Technologie. Je niederschwelliger ihre Herstellung, desto gefährlicher wird es. Bostrom weist darauf hin, dass die Welt bislang Glück gehabt hat: So gehen manche Forscher davon aus, dass die nukleare Katas­trophe zur Zeit des Kalten Krieges oft nur knapp vermieden wurde. Eine aktuelle Schätzung basierend auf Daten von Zwischenfällen, bei denen es fast zum Krieg gekommen wäre, zeigt ein Risiko von über 50 Prozent.

Anschließend an historische Gedankenexperimente entwickelt der Philosoph eine Typologie von Schwachstellen, die künftig den Untergang der menschlichen Zivilisation bedeuten könnten – von einfachen Atombomben über gefährliche Kriegsanreize bis hin zu versteckten Technologierisiken und einer schlimmeren Erd-erwärmung als bisher prognostiziert (andere ökologische Risiken werden hier gar nicht erst erwähnt). Was aber folgt daraus?

Prinzipiell gebe es mehrere Möglichkeiten, eine verwundbare Welt zu stabilisieren, betont der Zukunftsforscher, der zunächst empfiehlt, sich auf leicht erreichbare Ziele zu konzentrieren, etwa im Hinblick auf weltweite Sicherheitsstandards für die Biotechnologie. Das große Problem aber seien zwei strukturelle Schwächen der aktuellen Weltordnung: erstens das Fehlen einer präventiven Polizeiarbeit, um Individuen oder Gruppen daran zu hindern, Katastrophen anzurichten; sowie zweitens das Fehlen einer „Global Governance“, um internationale Koordinationsprobleme zu lösen.

Schlüsselfertiges totalitäres System

Hier würde aber auch die Lösung zum Problem, wie der Autor selbst bemerkt: „Die Entwicklung eines schlüsselfertigen, potenziell totalitären Systems stellt ein Risiko dar, ob man den Schlüssel nun im Schloss drehen will oder nicht.“ Die von ihm angedachten Maßnahmen wie stärkere Überwachung oder präventive Inhaftierung werden in liberalen Demokratien äußerst kritisch diskutiert. Aber wird diese Diskussion angesichts zivilisatorischer Bedrohungen bald in neuem Licht erscheinen? Wird die Beschneidung bürgerlicher Freiheiten angesichts einer drohenden Auslöschung vielleicht sogar gern in Kauf genommen?

Entsprechende Reflexionen bleiben in Bostroms schmalem Buch abstrakt und bruchstückhaft – denn der Autor hämmert lediglich ein paar „makrostrategische Wegweiser“ in den brüchigen Boden der menschlichen Zukunftsaussichten. Gruselig sind sie allemal.

Die verwundbare Welt - © Suhrkamp Verlag
© Suhrkamp Verlag
Buch

Die verwundbare Welt

Eine Hypothese
Von Nick Bostrom
Suhrkamp 2020
112 S., kart.,
€ 12,40

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