Auf dem heiklen Weg zum TECHNO-DOPING

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"Die sozialen Folgewirkungen der transhumanen Ambitionen könnten zu einer aufklaffenden Zwei-Klassen-Gesellschaft führen."

VORDENKER DES TRANSHUMANISMUS

Nick Bostrom

Der schwedische Philosoph an der Universität Oxford zählte 1998 zu den Gründern der "World Transhumanist Association". Er argumentiert für die Vorteile einer "posthumanen" Existenz.

Julian Huxley

Der Evolutionsbiologe und Bruder des berühmten Schriftstellers Aldous Huxley prägte in seinem Buch "New Bottles for New Wine"(1957) erstmals den Begriff des "Transhumanismus"(s. u.).

Ray Kurzweil

Der futuristische Autor hat mit "The Singularity Is Near" (dt. "Menschheit 2.0") einen Klassiker des Transhumanismus verfasst. Darin prophezeit er eine revolutionäre Umwälzung für das Jahr 2045.

"Transhumanisten fantasieren bereits davon, auf den störanfälligen Körper ganz zu verzichten und das digitalisierte Bewusstsein in eine 'Cloud' einzubringen."

"Enhancement"

Die Haut ist einer der vielen Ansatzpunkte für die technische Optimierung des menschlichen Körpers.

Es gibt Menschen mit einem erstaunlichen Instinkt für künftige Entwicklungen. Manchmal liegt dieser Instinkt sogar in der Familie. Der englische Schriftsteller Aldous Huxley etwa entfaltete sein Gespür für die großen Zukunftsthemen in zwei weltberühmten Romanen, einer düsteren Dystopie ("Schöne neue Welt", 1932) und einem utopischen Vermächtnis ("Eiland", 1962). Aber auch sein Bruder Julian, ein Biologe, Philosoph und Schriftsteller, machte sich tiefsinnige Gedanken über das Schicksal der Menschheit. "Bis jetzt war das menschliche Leben 'gemein, brutal und kurz' (...)", schrieb er in einem 1957 veröffentlichten Essay. "Doch die menschliche Gattung kann, sofern sie das wünscht, über sich hinauswachsen -nicht nur sporadisch, ein Individuum hier auf diese Art, ein anderes dort auf andere Weise, sondern als Menschheit insgesamt." Der Titel des Essays war wegweisend: "Transhumanismus".

Damit prägte Julian Huxley einen Begriff, der mittlerweile eine erstaunliche Karriere gemacht hat. Er umfasst heute eine Reihe von Zukunftsszenarien, die sich die fantasiebegabten Huxley-Brüder wohl nicht einmal in ihren kühnsten Träumen ausmalen hätten können. Auf Medizin-Kongressen ist das Thema schon häufig präsent. In Wien fand letzte Woche wieder der jährliche "Menopause, Andropause, Anti-Aging"-Kongress statt, und auch dort gab es einen Vortrag über Transhumanismus. Der Gynäkologe Bernd Kleine-Gunk, zurzeit Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging, skizzierte, wie aus einer zunächst eher esoterisch geprägten Denkrichtung eine "durchaus ernstzunehmende philosophische Strömung" entstanden ist. Dies habe nicht zuletzt auch Auswirkungen auf die Medizin. Was aber wollen die Transhumanisten? Welche Vorstellungen haben sie davon, wie die Menschheit über sich hinauswachsen soll?

Neuartige Neuroprothesen

Im Vordergrund stehen die menschliche Optimierung und eine radikale Lebensverlängerung. Und zu optimieren gäbe es vieles, wie Kleine-Gunk erläuterte: Die Haut zum Beispiel könnte mit Biosensoren und somit zusätzlichen Wahrnehmungsfunktionen versehen werden. Eine künstliche Außenschicht könnte je nach Bedarf für Sonnenschutz mit variabler Textur und Spannkraft sorgen. Im Körperinneren könnten winzige Nanoroboter allerlei Aufgaben übernehmen; und dem Gehirn könnte durch neuronale Schrittmacher und Hirn-Computer-Schnittstellen eine Fülle an neuen Möglichkeiten eröffnet werden.

Die kognitive Leistungsfähigkeit durch solche Neuroprothesen zu potenzieren, ist eines der Hauptanliegen des Transhumanismus. Die Informationsübertragung zwischen Computerchips auf Nervenzellen gehört teils schon zum medizinischen Alltag, wie der deutsche Facharzt berichtete. So ermöglichen Cochlea-Implantate schwerhörigen Menschen, bei denen ein traditionelles Hörgerät keine Besserung mehr bringt, ein weitgehend normales Hören. Auch Netzhaut-Implantate sind bereits in klinischer Erprobung. "Ist das Problem der Informationsübertragung von Computerchips auf Nervenzellen erst einmal gelöst, sind auch völlig andere Formen von Neuroprothesen denkbar", so Kleine-Gunk: zum Beispiel "Memory-Chips", die quasi unendliche Mengen an Informationen speichern, oder auch die direkte Verbindung von Gehirn und Internet, wie sie unlängst vom US-Konzern Facebook angekündigt wurde.

Und das Altern soll am besten gleich abgeschafft werden: Der Bioinformatiker Aubrey de Grey von der Universität Cambridge sieht es bereits als Krankheit, die es zu bekämpfen gilt.

"Mind Uploading"

In seinem Bestseller "Niemals alt!" geht er davon aus, dass die Biotechnologien, die den körperlichen Verfall rückgängig machen können, bereits in Reichweite sind. Die Lebensspanne soll damit auf mehrere Jahrhunderte ausgedehnt werden. Die Lösungen dafür lägen etwa in der Gen-und Stammzelltherapie, in der Injektion von Wachstumsfaktoren gegen den schleichenden Zellverlust oder im Einsatz neuer Medikamente, die unerwünschte Proteinverbindungen des Alterungsprozesses gezielt aus dem Körper entfernen. Auch Erbgut-Veränderungen in den Kraftwerken der Zellen, den Mitochondrien, könnte man begegnen, indem man Mitochondrien-Gene kopiert und in den schützenden Zellkern schleust. Die Energieversorgung der Zellen bliebe damit gesichert.

"Doch der Transhumanismus strebt noch weitergehende Ziele an", so Kleine-Gunk. "Auf seiner Agenda steht nicht zuletzt die Überwindung bisheriger menschlicher Grenzen, also überhaupt die Befreiung der Gattung Mensch von den Fesseln der Biologie." Geht man davon aus, dass das Gehirn nicht mehr als eine komplexe biologische Maschine ist, die sich im Computermodell vollständig simulieren lässt, ist die Idee nicht mehr weit, menschliches Bewusstsein als "digitales Gehirn" auf ein Speichermedium zu übertragen.

Im Todesfall könnte es wie die Software von einem Computer auf ein neues biologisches Medium hochgeladen werden -Transhumanisten sprechen hier schlicht von "Meatware". Oder sie fantasieren davon, auf den so störanfälligen Körper gleich ganz zu verzichten und das digitalisierte Bewusstsein in eine "Cloud" einzubringen, wo es sich mit anderen körperlosen Existenzformen austauschen kann. Ein bisschen unheimlich -dann aber wäre der Übergang vom organischen Leben hin zu einer "Silizium-basierten Existenz" perfekt. Ist Transhumanismus also lediglich schlechte Science-Fiction? Bei der stark steigenden Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts ist bei dieser Aussage Vorsicht angebracht, gibt Kleine-Gunk zu bedenken. Ist Transhumanismus dann die gefährlichste Idee der Welt, wie der US-Politikwissenschafter Francis Fukuyama meint?

Falsches Menschenbild?

"Auch die größten Chancen sind mit Gefahren verbunden ( ). Nur dann, wenn wir uns Gefahren aussetzen, können wir wachsen und die Fülle des Lebens erfahren", schreibt Stefan L. Sorgner im Buch "Transhumanismus" (Herder, 2016). Eine Gruppe namhafter Wissenschafter um Georg Franck und Sarah Spiekermann hingegen hat heuer ein warnendes Manifest "Wider den Transhumanismus" publiziert: Denn die neue Denkströmung setze auf ein "falsches Menschenbild"; seine "Priester und Auguren" hätten bereits prominente Forschungslabors, Universitäten, globale Unternehmen und politische Institutionen besetzt. Transhumanismus lasse sich "am blinden Vertrauen in wissenschaftliche Heilsversprechen erkennen und an einer empathielosen Verachtung derjenigen Eigenschaften, die uns als Menschen auszeichnen: unserer Verwundbarkeit, unserer Sterblichkeit, unseres Empfindungsvermögens, unserer Selbstwahrnehmung und unseres Bewusstseins, leibhaftige Personen (und nicht Objekte) zu sein"(NZZ, 19.6.2017).

Zu beachten sind auch die sozialen Folgewirkungen der transhumanen Ambitionen. Sie könnten zu einer aufklaffenden Zweiklassen-Gesellschaft führen, getrennt entlang der Frage, ob man sich die Optimierung leisten kann oder nicht. Doch der Transzendenz-Möglichkeiten gibt es viele: Vielleicht erscheint bald eine zutiefst humanistische Variante des Transhumanismus am Horizont.

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