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Lesen gehört zu den am meisten unterschätzten Fähigkeiten überhaupt, man meint, sobald man es einmal gelernt hat, geht es von selbst. Das mag stimmen, doch Lesen ist auch etwas, das man trainieren und verfeinern kann. Dazu braucht es Literatur, die einen fordert, die neue Wege einschlägt und den Leser zwingt, es ihr gleichzutun. Das ist zu Beginn etwas anstrengend, aber es lohnt sich. In einer Zeit, in der Algorithmen unseren Geschmack vermessen und uns immer mehr vom Gleichen servieren -Musik, Filme und eben auch Bücher -wird man immer seltener mit Neuem konfrontiert, mit Dingen, die man nicht schon zumindest dem Muster nach kennt. Möglicherweise liegt es auch daran, dass formal innovative Literatur momentan nicht gerade Konjunktur hat. Jetzt gerade ist eher Netflix gefragt und dem will man seinerseits großes Erzählen entgegensetzen. In diesem Kontext ist Gabriele Petriceks Buch "Die Unerreichbarkeit von Innsbruck" eine der interessantesten deutschsprachigen Neuerscheinungen. Worum es geht, ist schwer zu sagen, in einzelnen Kapiteln werden Verfolgungsrituale zelebriert, wobei man nie genau weiß, wer hier wen verfolgt und zu welchem Zweck. Hat man sich dann gerade orientiert, dreht die Autorin den Spieß um, der Verfolgte ist jetzt Verfolgerin, glaubte man sich gerade noch in London, ist man plötzlich in Melk. Einmal wird eine Beerdigung gecrasht, dann folgt man den Spuren Rolf Dieter Brinkmanns in England, als nächstes verpasst man es, den Zug in Innsbruck zu verlassen, und landet in Italien. Das kann zunächst irritieren, doch sobald man sich vom zwanghaften Wunsch zu verstehen verabschiedet hat, beginnt die Freude am sprachlichen und ästhetischen Spiel, und plötzlich findet man sich doch zurecht. Zugegeben, das ist literarisches Höhentraining und eignet sich nicht unbedingt als Entspannungslektüre. "Statisten. Spielfiguren. Alle. Meine Köder liegen aus", heißt es einmal und so muss man sich diesem Text nähern, spielerisch Fährten folgend. Der Verweis auf Max Frischs "Stiller" und "Mein Name sei Gantenbein" ist auch einer auf das literarische Konzept des Perspektivenwechsels und der sprachlichen Selbsterkundung, das Petricek hier sehr überzeugend auslotet.

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