Bakteriell genährte Hoffnung

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PET-Flaschen treiben sonst über Jahrhunderte im Meer. Das Enzym braucht nur ein paar Tage, um den Plastikabbau in Gang zu setzen.

Frühere Studien haben gezeigt, dass auch manche Pilze in der Lage sind, PET-Flaschen zu zersetzen. Doch für den industriellen Einsatz im großen Maßstab sind Bakterien weit besser geeignet.

Bakterien sind zähe Zeitgenossen -und daher so gut wie überall zu finden. Sie kolonisieren unsere Haut und bevölkern unseren Darm. Sie machen es sich auch am tiefen Meeresgrund bequem, überleben Jahrzehnte gefroren im Eis und können selbst weit unter der Erde gedeihen. Das tun sie übrigens schon seit Jahrmillionen -und sie werden es weiter tun, wenn wir vielleicht schon längst verschwunden sind. Ihr Ruf ist nicht der beste, denn sie stehen für Krankheit, Tod und Verwesung. Sie vermehren sich rasant, fressen an Holz und Metall, und selbst in der modernen Medizin sind sie verantwortlich für ein großes Schreckgespenst, die Antibiotika-Resistenz.

Doch Bakterien sind auch Partner für die Wissenschaft: Schon lange versuchen Forscher, sich die vielseitigen Talente dieser Mikroorganismen nutzbar zu machen. Dass es dabei auch zu überraschenden Durchbrüchen kommen kann, zeigt eine aktuelle Studie einer internationalen Forschergruppe im Fachjournal Proceedings of the National Academy of Sciences. Ihr Projekt wurde angetrieben von der Entdeckung des ersten Bakteriums, das auf natürlichem Weg eine besondere Fähigkeit entwickelt hat: Es kann Plastik abbauen, genauer gesagt PET-Flaschen, die heute für rund 20 Prozent der globalen Plastikproduktion verantwortlich sind. Diese Entdeckung erfolgte 2016 in einer Abfallanlage in Japan. Wie sich herausstellte, ist das Geheimnis hinter dieser Fähigkeit ein bestimmtes Enzym -also ein vom Bakterium hergestellter Wirkstoff, der komplexe Moleküle in einfachere Bestandteile zerlegen kann.

Optimierung der Enzyme

Seine Struktur wurde von den Forschern nun enthüllt, indem sie es mit der "Diamond Light Source" nahe Oxford durchleuchteten. Das ist ein Bündel hoch intensiver Röntgenstrahlen, mit dem sich sogar einzelne Atome darstellen lassen. Während PET-Flaschen ansonsten über Jahrhunderte in den Ozeanen treiben, benötigt das Enzym nur ein paar Tage, um den Plastikabbau in Gang zu setzen. Als die Forscher das Enzym experimentell veränderten, staunten sie nicht schlecht: Die Fähigkeit zum Plastikabbau wurde dadurch sogar noch verbessert. "Das ist unglaublich", freute sich Forschungsleiter John McGeehan von der Universität Portsmouth in England. "Es zeigt uns, dass das Enzym noch lange nicht optimiert ist. Wir können nun die jahrelang erprobte Technologie der Enzym-Entwicklung heranziehen, um aus dem bakteriellen Wirkstoff ein superschnelles Verfahren herzustellen."

Industriell hergestellte Enzyme spielen etwa in der Produktion von Waschpulver oder Biotreibstoff eine große Rolle. Ihre Effektivität wurde in wenigen Jahren um das bis zu Tausendfache gesteigert. Einen ähnlichen Zeitplan hat McGeehan jetzt für das plastikzersetzende Enzym vor Augen. Das Enzym in besonders widerständige, "extremophile" Bakterien zu transplantieren, die auch hohen Temperaturen standhalten können, wird derzeit als Optimierungsstrategie erforscht. Denn ab einer Temperatur von 70 Grad Celsius wird das PET-Material zähflüssig, wodurch der Abbau um das Zehn-bis Hundertfache schneller erfolgt.

Frühere Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass auch manche Pilze in der Lage sind, PET-Flaschen zu zersetzen. Doch für den industriellen Einsatz im großen Maßstab sind Bakterien weit besser geeignet. Auch andere Plastiktypen könnten von Bakterien zerlegt werden, die derzeit auf natürlichem Weg in der Umwelt entstehen. Die Suche danach läuft auf Hochtouren. Hat die Enzym-Technologie also das Potenzial, um mit dem grassierenden Plastikproblem zurecht zu kommen? Kann die globale Plastikkrise gelöst werden, indem durch Bakterien erstmals nachhaltiges Recycling ermöglicht wird?

"Durchaus möglich, dass wir in den nächsten Jahren ein industriell durchführbares Verfahren haben, PET und möglicherweise andere Kunststoffe wieder in ihre ursprünglichen Bausteine zu zerlegen, damit sie nachhaltig wiederverwertet werden können", hofft McGeehan. "Das bedeutet, wir müssen nicht mehr Öl für die Plastikproduktion zutage fördern, und vor allem sollte es die immense Plastikmenge in der Umwelt reduzieren." Bakterien könnten etwa auf die großen Plastikinseln in den Weltmeeren gesprüht werden, um diese effektiv zu beseitigen.

Talente der Bakterien

Doch manche Forscher geben zu bedenken, dass die Entwicklung des Enzyms als mögliche Lösung gegen die große Plastikverschmutzung noch in einem zu frühen Stadium sei. Die Chemie-Ingenieurin Adisa Azapagic von der Universität Manchester, die zu nachhaltigen industriellen Systemen forscht, betonte den Wert der Entdeckung, fügte aber kritisch hinzu: "Eine Bewertung des ganzen Lebenszyklus wäre erforderlich, um sicherzustellen, dass diese Technologie nicht das eine Umweltproblem -Plastikmüll -auf Kosten anderer löst, etwa durch zusätzliche Treibhausgas-Emissionen." Als "sehr aufregend" bezeichnete Oliver Jones, Chemieexperte an der Universität Melbourne in Australien, die neue Forschungsarbeit. "Enzyme sind ungiftig, biologisch abbaubar und können in großen Mengen von Mikroorganismen produziert werden. Es ist wohl noch ein weiter Weg zu gehen, bevor große Mengen an Plastik enzymatisch recycelt werden können; aber das ist sicherlich ein Schritt in eine positive Richtung."

Das ist freilich nicht das einzige Talent der Bakterien, das derzeit massiv gefördert wird. Die Mikroorganismen könnten auch Beton produzieren, und das ganz ohne klimaschädliche Emissionen, wie Experten hoffen. Denn die CO2-Emissionen, die bei der Verbrennung von Kalkstein in der industriellen Beton-Produktion entstehen, sind in Zeiten des Klimawandels problematisch. Auch in der Medikamenten-Entwicklung setzt man große Hoffnungen auf Bakterien. So wie das Forschungsprojekt INBioPharm, das bislang unbekannte Mikroorganismen aus den Meeren und Fjorden der norwegischen Küste im Hinblick auf pharmazeutisch wertvolle Eigenschaften untersucht. Aber auch Biomasse aus der Forstwirtschaft könnte durch bakterielle Enzyme weiterverwertet werden. Bakterien sind die "neuen Superhelden", so die Universität Oslo in einer Aussendung. Sie könnten künftig Gold wert sein -jedenfalls können sie jetzt schon Gold und andere Metalle aus der Umgebung extrahieren. Daraus könnten neue Nanopartikel für die Industrie hergestellt werden.

All diese Ambitionen werden heute durch die digitale Simulation der Bakterien unterstützt. Computer-Modelle sollen ihr Verhalten vorhersagen, ihren Stoffwechsel ergründen und ihre Genetik beleuchten. Bio-und Computertechnologie könnten so dazu beitragen, dass Bakterien schon bald eine respektable Reputation erlangen.

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