Bangalore@Boom.Bang?

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Das indische Silicon Valley droht das smarte Opfer seines eigenen Wachstums zu werden: Der Motor für Fortschritt und Moderne stottert einer ungewissen Zukunft entgegen.

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Das indische Silicon Valley droht das smarte Opfer seines eigenen Wachstums zu werden: Der Motor für Fortschritt und Moderne stottert einer ungewissen Zukunft entgegen.

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"IT liegt hier einfach in der Luft", sagte einmal Georg Kniese, Geschäftsführer des deutschen Software-Konzerns SAP, der jährlich bis zu 100.000 indische Bewerbungen vorliegen hat. Wer Karriere machen wollte, ging nach Bangalore und hatte bis vor kurzem ein gutes Leben sicher. Intel und IBM, Cisco und Dell, Bosch und Motorola, Siemens und McAfee: Die Großen der Branche sind alle da und haben sich in Technologieparks niedergelassen, wie Electronics City oder International Technology Park (ITP). Parallelwelten, ohne Wellblech, ohne Gestank, ohne Lärm, mit eigenen Kläranlagen. Mit lichtdurchfluteten Innenhöfen, Parkanlagen, lieblichen Brunnen und viel Grün. Oasen aus Stahl und Glas, erreichbar nur durch Sicherheitsschleusen aus dem indischen Alltag draußen vor dem Stacheldraht, wo Kühe leere Pizzakartons und zerrissene Handyhüllen fressen.

Bloß wird es immer schwieriger, dorthin zu kommen. Stundenlange Anfahrtszeiten in klapprigen Stadtbussen, Stau und Smog sind nicht eben motivationsförderlich. Also sorgen nicht selten firmeneigene klimatisierte Luxusbus-Flotten für den Abholdienst. Die stehen zwar auch im Stau, dafür gekühlt und unterhaltsam für alle, die Videos lieben. Eine Spielfilmlänge geht sich oft genug aus, auch auf acht Kilometern Pendeldistanz.

Der Weg zum Global Player

Die Softwareindustrie in Südindien hat lange Tradition. 1991 waren nicht einmal ein Dutzend IT-Firmen ansässig, doch das Platzen der Dot-Com-Blase trieb bald darauf über 30.000 hochqualifizierte indische Computerfachleute zurück nach Südasien. Heute sind es über 1500 Unternehmen, die rund 180.000 Mitarbeiter beschäftigen - etwa so viele wie im amerikanischen Vorbild Silicon Valley. Alles schien wunderbar, ein rasanter Aufschwung ohne Ende, der ganz Indien zum zukunftsorientierten Global Player machen sollte: Studien der US-Bank Goldman Sachs sehen Indien als schnellstwachsende Volkswirtschaft der Welt, die bis 2035 auf Platz drei vorrücken dürfte.

Der weltgrößte Exporteur von IT-Dienstleistungen ist das Land heute schon. Indien liefert jährlich fast 200.000 Informatiker, Deutschland gerade 10.000. Indiens Top-Ausbildungen halten jedem Vergleich stand: Das Indian Institute of Technology (IIT) platzierte sich in einem globalen Ranking kürzlich hinter den US-Ingenieursschmieden Berkeley, MIT und Stanford auf Rang 4. Die Elite der internationalen Software-Entwicklung, die meisten Telefondienstleister und immer mehr Entwicklungsabteilungen, wie etwa von General Electric und Daimler-Chrysler, sind in die indische Metropole eingezogen. Mindestens jeder dritte indische IT-Experte arbeitet in einer einzigen Stadt: Bangalore.

3Chips und Jobs an der Kippe: Soziale Zerreißproben nehmen zu. China war gestern, das Land der Stunde sei Indien, titelte die Financial Times noch 2005. Zumindest Indiens Vorzeigestadt schlägt derzeit jedoch selber die Stunde. Die Stadt beherrscht den eigenen Boom schon lange nicht mehr. Zwischen 2001 und 2014 hat sich die Bevölkerungszahl mehr als verdoppelt: Groß-Bangalore hat mittlerweile rund 10 Millionen Einwohner. Der drittgrößte Ballungsraum Indiens liegt auf 900 m Seehöhe, mit vergleichsweise angenehmem Klima ohne tropisch-schwüle Sommerhitze. Überhitzung ist dennoch weder zu übersehen noch zu überhören, ganz abgesehen von qualmenden Motorrikscha-Auspuffen und nächtlichen Presslufthämmern in der neuen, schicken Fußgängerzone.

Vieles ist zu schnell gegangen, zu rasch gewachsen, zu groß geworden. Die Euphorie der 1990er ist verflogen. Die aktuelle Finanzkrise mag es vielen Unternehmen nicht leichter machen - dünnere Auftragsbücher führen seit ein paar Jahren zu ersten Massenentlassungen, selbst Absolventen von Spitzenuniversitäten haben in Bangalores Software-Industrie keinen adäquaten Job mehr sicher. Und die angelernten Programmierer noch weniger, die gerade ein wenig Mittelklasseluft geschnuppert und sich daran schon fast gewöhnt hatten.

Doch die Sache mit der Software stinkt schon länger, übertüncht nur von weltweit rosigen Konjunkturdaten zu Beginn des neuen Jahrtausends. Halbfertige Überführungen ragen ins Nichts, improvisierte Umleitungen halten über Jahre, Luxus-Langstreckenbusse schaukeln über staubige Schlaglochkrater Richtung Busterminal. Bei Monsun steht dieser unter Wasser, wie auch sonst weite Teile der Stadt.

Nicht nur das Wasser steht vielen bis zum Hals. Die Luft ist dick. Die Kluft zwischen Arm und Reich war hier schon vor der Krise dramatischer als anderswo. Die soziale Temperatur hat in Bangalore längst schon Siededimensionen angenommen, mit denen sich politisch prächtig Stimmung machen lässt. Also wurde Bangalore kurzerhand zu Bengaluru gemacht, als ob dies irgendein Problem lösen könnte.

Bangalore und Bengaluru

Bangalore wird Bengaluru: Zwischen lokaler Überfremdung und globalen Ängsten. Bengaluru ist die Hauptstadt des Bundesstaates Karnataka, ein Agrarzentrum mit über 60 Millionen Menschen, wo eigentlich Kannada die wichtigste Landessprache ist. Die Stadtregierungen verteilten jahrelang freizügig Gratisbauland für Softwarefirmen am Rande der Stadt, was die Ausgrenzung der Kannada-sprechenden Schichten weiter verstärkte. Neidparolen gegen die urbanen Wirtschaftseliten bringen fette Stimmen bei der Mehrheit der armen Landbevölkerung. Populistische Patentrezepte gegen die notorisch überlastete Infrastruktur waren stets rasch gefunden: " Der beste Weg ist, die IT-Industrie zu beschneiden, soll sie doch auf andere Standorte ausweichen", forderte der indische Premier Deve Gowda bereits 1997.

2006 war es dann soweit. Der indische Schriftsteller U.R. Ananthamurthy, unermüdlicher Kämpfer gegen die Auswüchse des Informationszeitalters und das Vergessen alter Traditionen, hatte sich durchgesetzt. Bangalore, Hightech-Zentrum und globales Synonym für Outsourcing, Call Center und Software, hieß nunmehr Bengaluru. "Auch die Klasse der Elite muss den Namenswechsel zur Kenntnis nehmen", sagt er, was die angesprochene Elite nur widerstrebend goutiert, die um den etablierten Markennamen Bangalore fürchtet.

Mit der Klasse der Elite sind die IT-Fachleute gemeint, Ausländer wie Inder gleichermaßen, die selbst meist zugezogen sind. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist nicht in Bengaluru geboren. Sie reden miteinander vor allem Englisch, arbeiten in Parallelwelten am Rande der Stadt, und leben zwischen Fitness-Studio, Shopping-Mall und vollklimatisiertem Großraumbüro. Über Leistungsdruck, Verdrängung und Kampf ums Leiberl spricht man weniger gerne. Bengaluru verzeichnet seit 2007 die höchste Selbstmordrate aller indischen Städte.

Die Slums werden größer

Die Slums werden größer, fressen sich gespenstisch unter die haushohen Werbeplakate für eine neue, bessere Welt von schönen Menschen in großen Apartmentblocks mit riesigen Plasma-TVs. Viele dieser Parallelwelten existieren bereits real, bloß ist kaum hinzukommen, obwohl nur wenige Kilometer Luftlinie dazwischen liegen. Minimale Anlässe genügten, einen aufgebrachten Mob durch Bangalore ziehen zu lassen, der Geschäfte und Microsoft-Labors verwüstete. Der Produktionsausfall an diesem Tag allein betrug 160 Millionen Dollar. Ende August 2012 reichten mysteriöse SMS und diffuse Warnungen in Chat Communities, dass tausende Gastarbeiter aus dem Nordosten Indiens fluchtartig die Stadt verließen, weil sie um ihr Leben fürchten mussten.

Nicht wenige Konzerne haben inzwischen die Flucht ergriffen. Einheimische Software-Giganten wie Wipro und Infosys lagern ganze Abteilungen nach Mumbai und Hyderabad aus. Oder sie bauen einfach firmeneigene Vororte am Reißbrett, inklusive Schule, Einkaufszentrum, Golfplatz und Krankenhaus, um die Clustervorteile Bengalurus nicht aufgeben zu müssen. "Vergiss die alten Städte", sagt Ravi Venkatesan, bis 2011 Chef von Microsoft India. "Wir bauen einfach neue".

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