BAUMEISTERIN SPRACHLICHER BRUCHBUDEN

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IN 32 EXERZITIEN GIBT SICH SISSI TAX DER SPRACHE HIN. DABEI SIMULIERT SIE DIE WIRKLICHKEIT, UM SIE IM NÄCHSTEN AUGENBLICK IN FRAGE ZU STELLEN.

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IN 32 EXERZITIEN GIBT SICH SISSI TAX DER SPRACHE HIN. DABEI SIMULIERT SIE DIE WIRKLICHKEIT, UM SIE IM NÄCHSTEN AUGENBLICK IN FRAGE ZU STELLEN.

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Sissi Tax ist eine bescheidene Schriftstellerin. Gebt ihr einen Satz, und sie macht ein ganzes Buch daraus. Besser noch, lassen wir sie selber einen Satz finden, auf dem sie herumreitet, den sie einfach nicht klein kriegt und in seiner Bedeutung nie so erfasst, dass er dem Anspruch nach Klarheit Genüge leisten würde. Jetzt haben wir schon den ersten Denkfehler begangen: Anspruch nach Klarheit. Nichts ist schrecklicher für eine wie Sissi Tax, einen Satz zu verstehen, sodass sich jede weitere Diskussion darüber erübrigen würde.

Genau dagegen arbeitet sie ja an, und das seit Jahren, vielmehr Jahrzehnten, dass wir einen Satz lesen, uns auskennen und in der Folge starr vor uns hinschauen. Nichts erstaunt uns, alles ist ausgemacht, jeder Sinn nachvollziehbar und einsehbar, wozu dann der ganze Aufwand überhaupt, Sätze zu bilden? Für Tax haben Sätze nur dann einen Sinn, wenn sie in ihrem Sinn changieren, wenn Festigkeit und Gewissheit ins Wanken kommen.

Ständig auf dem Sprung

Die Sprache bildet alles andere als ein sicheres Fundament. Wackelig geht es zu, und Sissi Tax ist die Baumeisterin dieser sprachlichen Bruchbuden, die ständig umzukippen drohen. In ihnen fühlt sie sich wohl. Hier zieht ein erfrischender Wind durch, so richtig heimelig kann es einem darin nie werden, weil man ständig auf der Hut zu sein hat, dass einem das wärmende Feuerchen ausgeht oder überhaupt die Dachbalken um die Ohren fliegen. So aber sieht das geistige Zuhause einer Autorin aus, die ohnehin ständig auf dem Sprung ist, die es nirgends lange aushält, weil sich der Wandel so rasend schnell einstellt. Kaum hat sie einen kleinen Text, eine knappe Einheit von zwei oder drei Druckseiten fertig gestellt, befindet sie sich schon wieder woanders. Kein Text bildet etwas Abgeschlossenes, Fertiges, jeder steht nur für ein Zwischenstadium, eine Etappe auf einem Weg ins Nirgendwo. An ein Ende kommt solch ein Buch natürlich nie. Es sieht nur aus wie ein in sich geschlossenes Ganzes, weil die einzelnen Abschnitte, in eine schöne Folge gebracht, den Eindruck von etwas Kompaktem erwecken.

Programm der Flüchtigkeit

Sissi Tax, auch das müssen wir wissen, ist nicht nur eine große Verwandlungskünstlerin, die die Sprache benützt, um Wirklichkeit zu simulieren und diese im nächsten Augenblick in Frage zu stellen, sie ist auch eine Moglerin aus Leidenschaft. Es steckt nämlich einige Überzeugungsarbeit darin, um uns glauben zu lassen, mit einer dieser kleinen Texteinheiten habe sie ihren Teil zur Fortschreibung eines einzigen Ausgangssatzes geleistet. Dabei sucht der nächste Abschnitt eine völlig neue Spur. Die Verwirrungsleistung dieser Dame, die wie eine herrische Göttin der Verunsicherung alle Glaubensgrundsätze, die man an die Sprache anlegen mag, kippt, ist beachtlich. Sie ist die souveräne Meisterin einer Ratlosigkeit, der man schon deshalb folgt, weil sie mit Witz, Spott und anarchischem Frohsinn agiert. So ernst gemacht mit dem Witz, der aus dem Geist der Sprachkritik kommt, hat das lange niemand.

Der erste Satz. Einmal gefunden, bringt sie ihn 31-mal zur Anwendung. Er ist rätselhaft genug, dass man darüber ins Assoziieren und Spintisieren geraten mag. Von ihm gehen alle Überlegungen aus, die bald ausgreifen, um ihn an Theorie und Leben zu erproben. Schauen wir, wo wir hinkommen, wenn wir seinem Angebot, ihn zu verstehen folgen. Dass Tax auf Abwege gerät, ist vorgesehen, sie nimmt das gelassen, ist Erkenntnis doch nie etwas, das sich auf geradem Wege einstellt.

"wie zum vollkommenen unvollkommenen kommen." Mit diesem Satz allein lässt sich schwer auskommen, er verlangt nach Fortsetzung, vielleicht Ausdeutung, für sich stehend bleibt er ein kryptisches Gebilde, das Fragment eines abgebrochenen Gedankens. Und jetzt stürzt sich Sissi Tax darauf und schaut, wo sie dieser Satz hinträgt, wenn sie ihn lange genug ansieht. "wobei wohl. bei welchen leichten, bei welchen schweren gedankenfluchten wohl." So fährt sie einmal fort, und von da an generiert sich der Text aus ebenjenem Material, das kurz angetippt wurde. "Gedankenfluchten", dieser Begriff gibt das Stichwort für die folgende Expedition ab. Kurz ist der Weg zum "Gedankenfluchtweg", und das Assoziationsfeld "Hirn" wartet schon in Alarmbereitschaft: "Hirnwasser", "Hirnriss", "Hirnschmalz", "Hirngespinst", "Hirnöderl", lauten die Wörter, die sich an das Stammwort Hirn anschmiegen - die sich an das Stammhirn anworten, möchte man mit Sissi Tax sprechen, die Kalauer keineswegs als minderwertig abtun würde. Sie unternimmt heftige Verschiebearbeit auf dem Bahnhof der Bedeutungen, immer im Bewusstsein, Vielschichtigkeit herzustellen, um dem Dogma der Festlegung eins auszuwischen. Einmal schreibt sie von "einem etwas","dessen kehrseite vorderseite von etwas ist, das seinen sinn daraus bezieht, sich zu entziehen, einem erfaßtwerden. einem verfaßtwerden. einer verfassung zu entfleuchen." Das sieht schon nahezu nach einem Programm der Flüchtigkeit aus, das all den Unternehmungen dieser Autorin eigen ist.

Wortklauberei

Heute sieht die Literatur der Sissi Tax wie das Werk aus einer anderen Zeit aus. Die österreichischen Sprachberserker vom Schlage der Wiener Gruppe sind rar geworden, die sprachkritische Haltung hat sich jedoch bei Erzählern wie Thomas Stangl, Angelika Reitzer oder Robert Prosser eingeschlichen. Sissi Tax aber macht unverdrossen weiter mit ihrer Wortklauberei, die auf etwas Nacherzählbares vollkommen verzichtet. Sie gibt sich der Sprache hin, die sie mit all ihrer Liebe und Sanftheit umfängt und dabei doch theorieversessen bleibt. Dogmatisch wird sie dabei nie, dafür ist sie viel zu sehr von der Lust beseelt, mit der Sprache spielerischen, unverkrampften Umgang zu pflegen. Ironie springt immer wieder einmal raus aus ihren seltsamen Exerzitien, die, so wie sie das macht, von niemandem sonst betrieben werden. "ist der faule geist doch einerseits gefährlicher als zum beispiel die faule zwetschge oder der faule krautkopf oder das faule birnenkompott, und andererseits viel unauffälliger als alles obst und gemüse, da er weder duftet noch riecht noch, wie das geld ja auch nicht, stinkt."

Mit Sissi Tax wird man unverwundbar durch Phrasen und Stehsätze. Von wem kann man das in dieser Entschiedenheit schon sagen.

vollkommenes unvollkommenes

Prosa von Sissi Tax

Droschl 2014

96 S., geb., € 18,50

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