Beim virtuellen Arzt zu Besuch

Werbung
Werbung
Werbung

Ein Tagung fragte, wie das Internet das Verhältnis von Arzt und Patient verändert hat. Die kurze Antwort: Es ist einfacher und komplizierter geworden.

Wenn man als Diabetiker zwei Knödel essen will, muss man sich vorher überlegen, wieviel Broteinheiten das sind und sich eine entsprechende Menge an Insulin spritzen. Doch was, wenn man sich nach einem Knödel bereits satt fühlt? Dann hat man ein Problem und muss wohl in den sauren Apfel - pardon: warmen Knödel - beißen. Einen Ausweg aus dieser Misere hat Alfred Vasicek gefunden. Er setzt sich seit einiger Zeit erst nach den Mahlzeiten eine Spritze. Dass dies auch möglich ist, hat der Frührentner im Internet erfahren, wie er an einer Podiumsdiskussion erzählte, die letzte Woche im Rahmen der Tagung "Virtually informed: The Internet as (New) Health Information Source" in Wien stattfand.

Mündig & latent gefährdet

Herr Vasicek saß am Podium als Vertreter einer wachsenden Schar von Menschen, die sich durch das Internet über medizinische Dinge informieren und sich untereinander austauschen. Und obwohl diese mündigen Patienten einerseits gewünscht werden, gelten sie andererseits als latent gefährdet. Denn das Internet ist nicht bloß ein Mega-Lexikon und ein riesiges Netzwerk, das sich zum Erfahrungsaustausch nutzen lässt. Es ist auch ein Dickicht, in dem sich gerade der Laie nur allzu leicht verirren kann. "Die Gefahr der Falschinformation ist existent", betonte auch Peter Brosch, E-Health-Experte im Gesundheitsministerium, und fügte hinzu: "Man muss eben lernen, damit umzugehen."

Dieser unbekümmerten Haltung widersprechen die politischen Maßnahmen, die zurzeit in Europa gesetzt werden. In England etwa fördert der Staat gezielt den Aufbau von, qualitätsvollen' Infoportalen zum Thema Gesundheit ("weil sie zuwenig Ärzte haben", so Brosch).

Gütesiegel für Webseiten?

Auch wurde in der EU ernsthaft über die obligatorische Kennzeichnung von medizinischen Webseiten mit einem Gütesiegel diskutiert. Und obwohl darüber keine Einigung zustande kam, hat Frankreich doch auf nationaler Ebene das HON-Label verpflichtend eingeführt (HON steht für Health on the Web und ist eine NGO, die ein solches Qualitätssiegel anbietet). Auch Netdoktor, Österreichs bekanntestes Gesundheitsinformationsportal, besitzt dieses Label, erzählt Geschäftsführer Christian Maté. Auch wenn das Siegel unter den Netzsurfern kaum bekannt ist (siehe Interview unten), so kann er doch dem Label viel Positives abgewinnen: "Uns hat es sehr geholfen, die eigene Arbeit kritisch zu überdenken. Das HON-Label sehe ich deshalb eher als eine Art Verhaltenskodex, dem man sich verpflichtet." So fordert das Label etwa die strikte Trennung von fachlichen Aussagen und Werbe-Einschaltungen.

Jene, die das HON-Label vergeben, überprüfen aber nicht einzelne Inhalte. Dafür ist allein der Webseiten-Betreiber verantwortlich. Wie geht man also beim Netdoktor mit Alternativen Heilmethoden um? "Die Menschen interessieren sich sehr für diese Themen und wir schreiben dazu, was man aus schulmedizinischer Sicht weiß", erläutert Mate und meint weiters: "Natürlich werden in den Foren auch Ratschläge von Usern gegeben. Bei gefährlichen Tipps können wir eingreifen. Das ist aber oft gar nicht nötig, da andere Foren-Benutzer oft sofort dagegen posten. Die Selbstregulierung funktioniert zumeist ganz ausgezeichnet."

Hohe Reichweite

Obwohl Netdoktor mit 470.000 Unique Clients pro Monat eine hohe Reichweite besitzt, spielt die klassische Bannervermarktung erlösseitig nach wie vor eine untergeordnete Rolle. Maté erklärt dies damit, dass die Online-Budgets in Österreich vergleichsweise gering sind und die Bewerbung rezeptpflichtiger Arzneien beim Laien verboten ist. Maté dazu: "Das ist durchaus sinnvoll, aber es schränkt die Möglichkeiten unserer Kunden stark ein."

Als zweischneidiges Schwert hat sich das Internet für die Selbsthilfegruppe Aktive Diabetiker erwiesen, berichtet deren Obmann Erich Wolfrum. Einerseits hat der eigene Webauftritt die Gruppe sichtbarer gemacht, so dass heute jeden Monat über das Netz dreißig neue Mitglieder dazukommen. Andererseits wurde bisher so argumentiert, dass der Mitgliederbeitrag für die gedruckte Vereinszeitung verwendet wird. "In fünf Jahren liest wohl keiner mehr die Zeitung", vermutet Wolfrum und fragt sich: "Aber bekommen wir das Geld auch, wenn wir in Zukunft alle Inhalte im Netz frei zugänglich machen?"

Als besonders aktiver Diabetiker beantwortet der Obmann zwischen zehn und zwanzig E-Mails am Tag: "Ich gebe selbstverständlich keine medizinischen Empfehlungen ab, sondern helfe den Leuten vor allem damit, kompetente Diabetiker-Ärzte in ihrer Nähe zu finden." Dass ein guter Diabetiker-Arzt nicht leicht zu bekommen ist, bestätigt auch Vasicek: "Ich habe lange gesucht. Aber die unpersönliche Behandlung, die man oft erfährt, ist nicht allein die Schuld des Doktors; viel hat auch mit dem großen Andrang von Patienten zu tun."

Eine in der Diabetiker-Szene bekannte Ärztin ist Susanne Pusarnig. Ihre Klienten schätzen es sehr, dass sie jederzeit per E-Mail erreichbar ist, stets gute Tipps und Ratschläge parat hat - und das obwohl sie für diese Online-Aktivitäten kein Entgelt bekommt. Auf die Frage, ob sie keine Angst vor den Fragen ihrer Patienten habe, antwortet sie: "Ein informierter Patient ist doch keine Bedrohung. Denn ich kenne mich zumindest in meinem kleinen Bereich sehr gut aus - und da kann ich auch zugeben, dass ich vom großen Rest nicht alles weiß."

Für und gegen das Netz

Maté merkt dazu an, dass nicht alle Ärzte dem Web gegenüber aufgeschlossen sind. Einer (nicht publizierten) Umfrage zufolge bewerteten jeweils ein Drittel der Mediziner das Internet als positiv, negativ, beziehungsweise neutral.

Auch Ulrike Felt, Wissenschaftsforscherin und Organisatorin der Tagung, bestätigt, dass sie in Gesprächen mit verschiedenen Ärzten ein nuancenreiches und breites Spektrum von Ansichten fand - von enthusiastischer Zustimmung bis radikaler Ablehnung. Dabei seien auch junge Ärzte dem Web gegenüber kritisch, weil - so das Argument - "falsch informierte Patienten den Aufwand verdoppeln". Felt weiß auch durch Interviews mit Patienten, dass einige ihrem Arzt verschweigen, dass sie sich die Infos aus dem Netz holen - sie erfinden stattdessen eine Geschichte.

Märchen für den Arzt

"Die Aussage von der Tante kann der Arzt leichter zurückweisen als Informationen aus dem Internet", so der Schluss der Forscherin. Denn im Netz findet man alles: Von wissenschaftlichen Studien zu kollektiven Erfahrungen über Pharma-Marketing bis hin zu esoterischen Praktiken. Bedeutet das nun, dass die Patienten den Arzt in seiner Autorität schützen oder sich selbst nicht als gefährdete User outen wollen?

Man darf spekulieren. Vasicek jedenfalls hat von der neuen Methode auf einer "internationalen Seite" erfahren. Natürlich hat er daraufhin mit der Ärztin seines Vertrauens Rücksprache gehalten. Denn: "Das Netz ersetzt nicht den Arzt!"

Linktipp:

www.netdoktor.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung