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Belastungsgrenzen festlegen

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Als Sachverständige kommen auch Ärzte in Umweltverfahren zu Wort. Uber ihre Aufgaben ein Gespräch mit Salzburgs Umweltmediziner.

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Als Sachverständige kommen auch Ärzte in Umweltverfahren zu Wort. Uber ihre Aufgaben ein Gespräch mit Salzburgs Umweltmediziner.

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DIEFURCHE: Welche Aufgaben haben Arzte bei der Umsetzung der Umweltgesetze?

GERD OBERFEID: Die bei weitem wichtigste nehmen sie bei Verfahren nach der Gewerbe-Ordnung bei Betriebsbewilligungen wahr. Da sind sie berufen zu beurteilen, ob von der Anlage eine Gesundheitsgefährdung oder eine Belästigung ausgeht. Sollte letzteres der Fall sein, ist es Sache des Mediziners zu beurteilen, ob diese Belästigung zumutbar ist oder nicht. Maßstab ist der jeweilige Stand der Wissenschaft.

DIEFURCHE: Läßt das dem Arzt einen Beurteilungsspielraum? Oherfeld: Ja. Nehmen wir zum Beispiel die Beurteilung von Lärm. Da wirken viele Faktoren hinein, die nicht über den in Dezibel gemessenen technischen Wert allein (als Dauerschalloder als Spitzen- oder Grundgeräuschpegel) erfaßt werden können. Diese Meßwerte sind nur Beurteilungshilfen. Ein Geräusch kann etwa in der Tonhöhe schwanken oder trotz niedrigen Pegels belästigend wirken, ja sogar unzumutbar sein. Über Grenzwerte allein ist das nicht erfaßbar.

DIEFURCHE: Wie werden denn Grenzwerte festgelegt und wie verändern sie sich?

OBERFELD: Grenzwerte sind dynamisch und kommen auf unterschiedliche Weise zustande. Bekannt sind jene, die die Österreichische Akademie der Wissenschaft festlegt. Sie werden in einem Gremium von Wissenschaftlern erstellt. Grundlage ist die Sichtung der aktuellen Literatur: Da werden Ergebnisse von Tierversuchen berücksichtigt und Auswirkungen auf den Menschen beobachtet. Beim Ozon hat man beispielsweise Freiwillige unterschiedlichen Ozonkonzentrationen ausgesetzt und Auswirkungen auf die Lungen-funktion und andere Parameter beobachtet. Oder man verwertet epidemiologische Untersuchungen, also Beobachtungen an größeren Bevölkerungsgruppen, insbesondere an empfindlichen Gruppen, etwa an Kindern. Aus solchen Arbeiten lassen sich beispielsweise Beziehungen zwischen Ozonkonzentrationen und dem Auftreten von Asthma ablesen. Aus all dem schlagen die Wissenschafter einen Wert vor. Beim Ozon spricht man von wirkungs-bezogenen Immissions-Grenzkonzentrationen.

DIEFURCHE: Was bedeutet das? oberfeld: Ein Immissionswert beschreibt den Zustand der Atemluft. Wirkungsbezogen bedeutet, daß Belastungen, die unter diesem Wert liegen, beim derzeitigen Stand des Wissens ohne Folgewirkungen bleiben. Beim Ozon liegt der acht-Stunden-Mittel-wert bei 100 Mikrogramm pro Kubikmeter. In Österreich haben wir im Sommer Werte bis 200 Mikrogramm und sogar darüber. Politisches Ziel ist es daher, langfristig den oben erwähnten Wert zu erreichen.

DIEFURCHE: Haben sich die Grenzwerte in den letzten Jahren rasch verändert? oberfeld: Da gibt es Schwerpunkte. Vor zehn Jahren war der wichtigste Luftschadstoff, der die größten Sorgen bereitete, das Schwefeldioxid. Hier ist sehr viel geschehen. Jetzt machen Stickstoffdioxid (N02) und Stäube die größten Sorgen. Bei den Stäuben vor allem jene mit einem Partikeldurchmesse von weniger als 10 Mikrometern. Sie bleiben lang in Schwebe.

DIEFURCHE: Wer sind deren Hauptverursacher?

OBERFELD: Kraftfahrzeugemissionen, vor allem von Dieselmotoren; dann Emissionen vom Hausbrand (vor allem Holz- und Kohleheizungen) und von Industrien bei nicht optimaler Staubabscheidung. Dazu kommt noch der Abrieb von Beifen, die Erosion vom Verputz der Fassaden und der Zerrieb von Streusplitt in der kälteren Jahreszeit. Es sieht so aus, als hätten die Stäube und N02 einen deutlichen Einfluß auf Atemwegserkrankungen. Eine regelmäßige Entfernung von Staub in den Straßen der Städte ist ebenso dringend erforderlich wie die Einführung von Partikelfiltern bei dieselgetriebenen Fahrzeugen.

DIEFURCHE: Mit der Festlegung von Grenzwerten hinkt man eigentlich immer hinter der Gefährdung nach, man reagiert auf bereits beobachtete Schäden Bestehende Grenzwerte sind daher eigentlich immer etwas Vorläufiges... oberfeld: Man könnte das in vielen Fällen so sehen.

DIEFURCHE: Tragen die Umweltrichtli-nien dem Menschen eigentlich ausreichend Rechnung?

OBERFELD: Im Zusammenhang mit der Ernas-Verordnung (siehe Seite) sind diesbezüglich Gedanken anzustellen. Sie sieht vor, daß sich Betriebe freiwillig einer Prüfung unterziehen. Das geht so vor sich, daß der Betrieb von sich aus einen Bericht vorlegt, der von einem Ernas-Prüfer auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft wird. Diskutiert wird derzeit, wie der Punkt der in allen EU-Ländern gültigen Verordnung über die Auswirkungen zu verstehen sei. Sind die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt zu untersuchen oder genügt es, nur Massenbilanzen anzugeben? Mir ist aus Deutschland folgendes Beispiel bekannt: Da wurde unter dem Punkt Auswirkungen von einer Papierfabrik angegeben, sie emittiere Lärm und Staub. Das ist eigentlich überhaupt keine Information. Sowas bringt nichts. Daher plädiere ich dafür, daß man ganz offen sagt, wie weit man in der Betrachtung von Auswirkungen gehen soll. Danach müssen sich dann alle orientieren. Die Öko-Audit-Verordnung allein ist noch kein Garant dafür, daß der Drittschutz auch gewährleistet ist.

DIEFURCHE: Wie sieht die Einbindung der Arzte in die verschiedenen Umweltverfahren aus?

OBERFELD: An der Basis sind die Gemeinde- oder Sprengelärzte tätig. Sie stehen den Bürgermeistern in Umwelt- und Gesundheitsfragen beratend zur Seite und werden von der Österreichischen Ärztekammer in einem 120-Stunden-Kurs für diese Aufgaben ausgebildet. Auf der nächsten Ebene gibt es die Gesundheitsämter, die in Gewerbeverfahren oder in Wasserrechtsverfahren in erster Instanz ihr medizinisches Gutachten abgeben müssen.

Auf der dritten Ebene gibt es dann die Sanitätsdirektionen, die ein ähnliches Aufgabenfeld haben und zusätzlich bei Umweltverträglichkeitsprüfungen oder Fragen, die Deponien betreffen, Sachverständige sein können. An der Spitze des Systems stehen die Hygiene-Institute in Wien, Graz und Innsbruck. Sie sind zuständig für die Erstellung von Gutachten.

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