Intelligenz am Limit - © iStock/ metamorworks

Bernward Gesang: „Wir sollten verschiedene Pferde ins Rennen schicken“

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Muss die Menschheit auf technische Lösungen zurückgreifen, um die Klimakrise zu bewältigen? Und sind solche Eingriffe moralisch vertretbar? Philosoph Bernward Gesang über klimaethisch fundierte Resilienz.

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Muss die Menschheit auf technische Lösungen zurückgreifen, um die Klimakrise zu bewältigen? Und sind solche Eingriffe moralisch vertretbar? Philosoph Bernward Gesang über klimaethisch fundierte Resilienz.

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Staaten wie die USA oder China forschen bereits an technischen Lösungen für die Klimakrise. Die Technologien des „Climate Engineering“ (menschliche Eingriffe ins Klima) sind aufgrund ihrer ungewissen Nebenwirkungen aber stark umstritten, wie Bernward Gesang im FURCHE-Gespräch erklärt. Der Professor für Philosophie und Wirtschaftsethik an der Uni Mannheim bietet in seinem neuen Buch „Mit kühlem Kopf“ (erscheint im September im Hanser-Verlag) eine philosophische Perspektive auf grundsätzliche Fragen der Klimadebatte.

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DIE FURCHE: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Menschheit die Klimakrise mit technischen Mitteln lösen wird?
Bernward Gesang:
Noch ist die Wissenschaft nicht über Theorien hinausgekommen. Es gibt ja die Idee, Sulfat in die Stratosphäre zu sprühen, um die Reflektionsfähigkeit der Stratosphäre gegenüber der Lichteinstrahlung zu vergrößern. Dieser „Spiegel“ könnte dann die Erdatmosphäre kühlen. Aber man kennt noch nicht die Nebenwirkungen. Es könnte zum Beispiel sein, dass dann der Himmel nicht mehr blau ist, sondern grau. Es könnte auch zur Folge haben, dass der Monsun mancherorts ausbleibt. Während manche Regionen davon profitieren, werden einige auch Verluste einfahren. Wie man die dafür entschädigt oder wie groß die Verluste überhaupt werden, das sind alles offene Flanken. „Climate Engineering“ ist mit großen Risiken verbunden und wird die Klimakrise auf Dauer nicht lösen. Es gibt uns höchstens mehr Zeit.

DIE FURCHE: In der Klimapolitik wurde Climate Engineering erst thematisiert, als die notwendige Reduktion von Treibhausgasen immer weiter in die Ferne rückte. Ist die Diskussion über „Climate Engineering“ ein politischer Griff nach dem rettenden Strohhalm?
Gesang: Es kann natürlich sein, dass man in 30 Jahren nach diesem Strohhalm greift, weil es keine Alternativen mehr gibt. Kritiker befürchten aber, dass man Climate Engineering als Ausrede nützen könnte, jetzt nicht alles zu versuchen, um die Treib- hausgase zu senken. Inzwischen stehen wir aber so mit dem Rücken an der Wand, dass wir wahrscheinlich keine andere Wahl haben, als auch das zu versuchen. Wir sollten aber trotzdem primär an der Vermeidung von Emissionen arbeiten. Das müssen wir sowieso irgendwann einmal schaffen. Je länger wir es nach hinten verschieben, desto teurer wird es.

DIE FURCHE: Wie beurteilen Sie den Einsatz von „Climate Engineering“ aus ethischer Sicht?
Gesang: Es kann nicht schaden, diese Option als eine von vielen zu entwickeln. Ich würde allerdings nicht von vornherein alles darauf ausrichten. Viele haben Angst, dass „Climate Engineering“ dann alle finanziellen Mittel frisst, weil es als die bequemste Alternative erscheint. Manche Politiker hoffen eben, dass man da auf einen Knopf drückt und alles weitergeht wie immer. Aber das ist eine naive Vorstellung. Wir können es uns allerdings nicht leisten, eine denkbare Option von vorneherein auszuschließen. Wir sollten verschiedene Pferde haben, die wir ins Rennen schicken und hoffen, dass eines davon ins Ziel kommt. Dann kann man auch ein Pferd für „Climate Engineering“ satteln, die anderen aber für die Vermeidung von Treibhausgasen.

DIE FURCHE: Angenommen, ein Staat entscheidet sich für „Climate Engineering“, hätte das wohl globale Auswirkungen: Darf ein einzelner Staat andere Staaten einer möglichen Gefahr aussetzen?
Gesang: Nein, denn „Climate Engineering“ ist technisch schwierig und risikoreich. Es könnte sonst sogar zu Kriegen führen, da nicht auszuschließen ist, dass andere Staaten extrem darunter leiden müssen. Deshalb braucht es neue internationale Rahmenstrukturen; ein globales Gremium sollte darüber entscheiden. Die Einflüsse von „Climate Engineering“ würden eben tatsächlich die ganze Welt betreffen.

DIE FURCHE: Die Folgen der Klimakrise treffen Entwicklungsländer besonders hart: Sollten Industriestaaten hier eine Art von Wiedergutmachung leisten?
Gesang: Ja, sicherlich – schon allein deshalb, weil sie in der Vergangenheit die meisten Emissionen verursacht haben. Die Industriestaaten stehen somit in der Pflicht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen: einerseits, weil sie ihn selbst reingezogen haben, andererseits auch, weil sie die einzigen sind, die es können. Wer die Macht hat, muss auch derjenige sein, der es in Zukunft wieder in Ordnung bringt.

DIE FURCHE: Inwiefern erscheinen heute regulative Maßnahmen wie eine CO2-Steuer sinnvoll?
Gesang: Den CO2-Preis global auf einen Nenner zu bringen, ist die wirkungsvollste Maßnahme, um die ganze Situation unter Kontrolle zu bringen. Es kann aber passieren, dass so eine Steuer keine ökologische Lenkungswirkung hat. Um die Jahrtausendwende wurde in Deutschland unter Gerhard Schröder eine Ökosteuer eingeführt. Diese Steuer hat dem Staat zwar zu mehr Einkommen verholfen. Die Leute haben die höheren Kosten aber in Kauf genommen und das Auto weiter benutzt. Noch ist unklar, ab welcher Höhe die Autos wirklich stehengelassen werden. Aber dass man die Emissionsmenge durch solche Preisanreize verringert, ist anscheinend alternativlos.

Branchen wie die Luftfahrt sind derzeit nicht zukunftsfähig und sollten für ihr altes Geschäftsmodell keine Hilfszahlungen erhalten.

Bernward Gesang

DIE FURCHE: Die Corona-Pandemie hat die Umweltbelastungen vorübergehend reduziert – ein Lichtblick für künftige positive Veränderungen?
Gesang: In Venedig schwimmen zwar wieder Fische und Quallen durch die Kanäle, aber das ist natürlich nicht nachhaltig. Nach der Finanzkrise 2008 gab es auch einen Einbruch, aber in den Folgejahren stiegen die Emissionen wieder an. Wenn keine nachhaltige Strategie gefunden wird, wie man die Industrie umbaut, wird die Krise auch keine nachhaltige Wirkung haben. Man sollte die ganzen Gelder, die jetzt zur Rettung der Wirtschaft ausgeschüttet werden, mit ökologischen Kriterien verknüpfen. Branchen wie die Luftfahrt sind derzeit nicht zukunftsfähig und sollten für ihr altes Geschäftsmodell keine Hilfszahlungen erhalten. Diese sollten nur an Branchen gehen,
die gleichzeitig auch ein ökologisches Konzept vorlegen. So könnte man zwei Krisen auf einmal lösen. Aber das hat man gar nicht versucht, sondern ist aufgrund der Eile wieder in die altbekannten Bahnen geraten.

DIE FURCHE: Wieso ist es so schwer, unsere Handlungsmuster im Sinne besserer Zukunftschancen zu verändern?
Gesang: Das Coronavirus und die Klimakrise sind beides abstrakte und unsichtbare Bedrohungen. Nur hatten wir zu Beginn der Corona-Pandemie das Messer am Hals, deshalb konnten wir so schnell unser Verhalten umstellen. Wir nehmen die Welt im Hier und Jetzt wahr: Wir fürchten uns nicht davor, was in sechs Monaten passieren wird, dafür haben wir nicht genug Vorstellungskraft. Auch wenn eine zweite Welle im Herbst wahrscheinlich ist, schaffen wir es nicht, unser Verhalten konsequent umzustellen; man braucht offenbar alle acht Wochen neue Schreckensbilder. Beim Klimawandel ist es natürlich noch schwieriger. Dieser Feind zeigt sich schließlich nur in verfrühten Apfelbaumblüten und Hitzesommern. Wir werden uns schnell daran gewöhnen, dass es im Winter nicht mehr schneit, wie wir uns auch an das Virus gewöhnt haben. Die menschliche Natur ist eben auf Verdrängen und auf Kurzfristigkeit ausgerichtet. Unsere Warnmechanismen, die wir von der Evolution mit auf den Weg bekommen haben, sind in der neuen technischen Realität nicht mehr verlässlich.

Gesang - © Foto: privat

Bernward Gesang

Bernward Gesang ist ordentlicher Professor für Philosophie und Wirtschafts­ethik an der Universität Mannheim. Seine Forschungs­schwerpunkte sind Normative Ethik, insbesondere die Utilitarismusforschung, angewandte Ethik mit Schwerpunkt Wirtschafts­ethik und Klimaethik sowie Philosophiegeschichte, insbesondere die Philosophie der Neuzeit.

Bernward Gesang ist ordentlicher Professor für Philosophie und Wirtschafts­ethik an der Universität Mannheim. Seine Forschungs­schwerpunkte sind Normative Ethik, insbesondere die Utilitarismusforschung, angewandte Ethik mit Schwerpunkt Wirtschafts­ethik und Klimaethik sowie Philosophiegeschichte, insbesondere die Philosophie der Neuzeit.

DIE FURCHE: Sind Sie optimistisch, dass die Menschheit die Klimakrise letztendlich bewältigen wird?
Gesang: Eher pessimistisch. Die ganze Klima-Problematik wird nur von den Eliten der westlich orientierten Industrienationen wirklich wahrgenommen. Bei der Klimakrise fürchte ich, dass wir nur aus einzelnen Katastrophen lernen. Die Angst ist auf Dauer wohl nicht groß genug, um uns rechtzeitig vor den Auswirkungen zu schützen. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr gering, dass wir da noch die Wende hinkriegen.

DIE FURCHE: Fühlen Sie sich ohnmächtig angesichts der politisch hartnäckigen Handlungsverweigerung puncto Klimaschutz?
Gesang: Ja natürlich, ich predige das schon seit Jahrzehnten vor mich hin. Ich fühle mich manchmal wie Sisyphus, der immer wieder mit dem Stein den Berg runterrollt. Aber ich versuche zumindest, dagegen zu kämpfen und kleine Teilerfolge zu sehen: So wie ein Tennisspieler immer den nächsten Ball spielt, ohne dabei gleich auf das ganze Spiel zu schauen.

Gesang Buch - © Foto: Hanser
© Foto: Hanser
Buch

Mit kühlem Kopf

Über den Nutzen der Philosophie für die Klimadebatte
Von Bernward Gesang Hanser 2020
240 S., geb., € 23,70 ET: 21. 9. 2020

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