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Digital In Arbeit

Beruf ohne Zukunft?

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Für viele Österreicher mag es überraschend sein, wenn sie hören, daß Österreich zu den ärztereichsten Ländern der Erde gehört. Sofort stellen sich nämlich zwei Fragen: Wieso sind denn daiin die ärztlichen Ordinationen so überfüllt, oder konkret fragt sich jedermann, wieso muß ich denn dann in zumeist überfüllten Wartezimmern so lange warten und zweitens, wieso gibt es dann in manchen Gebieten Österreichs, vor allem auf dem Lande und den Randgebieten der Großstädte, einen erheblichen Ärztemangel, besonders an praktischen Ärzten?

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Für viele Österreicher mag es überraschend sein, wenn sie hören, daß Österreich zu den ärztereichsten Ländern der Erde gehört. Sofort stellen sich nämlich zwei Fragen: Wieso sind denn daiin die ärztlichen Ordinationen so überfüllt, oder konkret fragt sich jedermann, wieso muß ich denn dann in zumeist überfüllten Wartezimmern so lange warten und zweitens, wieso gibt es dann in manchen Gebieten Österreichs, vor allem auf dem Lande und den Randgebieten der Großstädte, einen erheblichen Ärztemangel, besonders an praktischen Ärzten?

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Diese Tatsachen (führen unmittelbar zu einer Problematik, die den Hintergrund für eine au bewältigende Entwicklung auf dem Gebiete des ärztlichen Nachwuchses bildet.

Aus dem Widerspruch der erwähnten Tatsachen kann man schon ersehen, daß es sich bei dem gegenwärtigen Zustand auf dem Gebiete der ärztlichen Versorgung der Bevölkerung uan reine Strukturprobleme handeln muß. Wie auf allen anderen wissenschaftlichen Gebieten ergibt sich auch in der Medizin eine immer stärkere Tendenz zu Spezialisierung. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten Jahrzehnte sind so enorm, daß sie eine immer weitergehende Gliederung der einzelnen Fachgebiete notwendig machen. Bei den Medizinstudenten, aber auch in der Bevölkerung, genießt darüber hinaus, wie aus Umfragen hervorgeht, der Facharzt ein höheres Sozialprestige. Hiezu kommt noch, daß der praktische Arzt einen wesentlich schwereren Dienst zu leisten hat; er soll ja immer da sein, am Samstag, Sonntag, zu den Feiertagen, in der Nacht. Die Folge dieser Umstände ist die Tatsache, daß immer weniger junge Ärzte bereit sind, sich als praktische Ärzte niederzulassen. Beim Landarzt verschärft sich diese . Entwicklung noch durch die Schwierigkeiten, die sich aus den ländlichen Umständen ergeben. Hier werden zusätzlich die selben Kräfte wirksam, die auch in vielen anderen Berufen eine Landflucht begünstigen: Verzicht auf kulturellen Anschluß, Schwierigkeiten bei der höheren Schulbildung der Kinder usw. Wir können also feststellen, daß der gebietsweise Mangel an Landärzten Und an praktischen Ärzten nicht aus einem absoluten Ärztemiangel in Unserem Lande entspringt.

Die Buodeslachgruippe der in Ausbildung stehenden Ärzte ' hat unter Zugrundelegung statistischer Unterlagen des Bundesministeriums für Unterricht eine eingehende Untersuchung über die Zahl der Medizinstudenten und die zu erwartenden Promotionszahlen an den medizinischen Fakultäten in den nächsten Jahren angestellt. Daraus ergibt sich die alarmierende Nachricht, daß über den natürlichen Abgang durch Tod und Pensionierung jährlich etwa 300 Ärzte mehr promovieren werden. Selbst uniter der Berücksichtigung, daß sich unter diesem Druck die vorhin erwähnten strukturellen Fehlentwicklungen bei Landärzten, praktischen Ärzten und auch — durch den Ausfall der Dentisten — bei den Zahnärzten ausgleichen werden, ist Schon in wenigen Jahren mit einem beachtlichen Ärzteüberschuß zu rechnen.

In diesem Zusammenhang kann man darauf verweisen, daß auch auf diesem Gelbiet das Spiel von Angebot und Nachfrage wirksam ist, wie die nebenstehende graphische Darstellung 2eigt. Während In der unmittelbaren Nachkriegszeit ein ungeheurer Uberhang an Ärzten 'bestand, verringerte sich der ärztliche Nachwuchs in den nächsten zehn Jahren in rascher Folge auf einen gerade noch vertretbaren Stand, um von da ab wieder ständig anzusteigen. Nun hat alber diese Aufwärtsentwicklung Ausmaße angenommen, die schon in wenigen Jahren zu jenen extremen Höhen führen wird, Wia wir sie kurz nach dem Kriege erlebten. * , *

Von dieser Warte aus betrachtet, wird das Problem der ärztlichen TJaöh-wuchsischwemme auch fürdieÖffentlichkeit von weittragender Bedeutung. Es ist sicher verdienstvoll, wenn der Präsident der österreichischen Ärztekammer in einer Pressekonferenz auf die hier aufgezeigten Entwicklungen hinweist und entsprechende Warhungen ausspricht; Ein numerus clausus, wie er von der Kärntner Ärztekammer- gefordert würde, kann wohl kaum zur Diskussion stehen.Zur Bewältigung dieses nicht zu unterschätzenden Problems gehören aber positive Möglichkeiten erschlos-sen. Angesichts der ja den Fachleuten nicht erst seit kurzem bekannten Entwicklung muß man sich wundern, daß vor allem die Ärztekammer, also die unmittelbare Standes-vertretung, auf diesem Gebiet noch keinerlei Initiativen ergriffen hat. Die Herabsetzung der Zahl der Medizinstudenten ist ja nur eine von den negativen Möglichkeiten. Die Entwicklung der modernen Medizin birgt aber Viele positive Chancen in sich.

Gerade die Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft machen es notwendig, vor allem auf dem Gebiete der Volksgesundheit, also dem allgemeinen Gesundheitswesen, ganz neue, den Erfordernissen und Gefährdungen unserer technisierten Umwelt angepaßte Wege zu gehen. Ganz neue Gebiete, die es früher nicht gab, erschließen eine Reihe neuer Möglichkeiten für den jungen Arzt. Die Bekämpfung der Zivilisationskrankheiten wie Krebs, Kreis-iauferkrattkuhgen und andere, aber auch das Uftfallwesen, die Rehabilitation, die Vorsorgemedizin überhaupt, werden Aufgaben stellen, die mehr Ärzte zu ihrer Lösung benötigen werden als bisher. Um.mit der Entwicklung Schritt halten zu können, wird auch der medizinischen Forschung mehr Augenmerk zugewendet werden müssen. Mit dem Ausbau der medizinisch-wissenschaftlichen Institute, mit der Eröffnung neuer Fachrichtungen, wie Sozialmedizin, Arbeitsmedizin, medizinische Statistik, der Verwendung von elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen, wird eine Vermehrung von entsprechenden Verwendungsmöglichkeiten für Jungärzte gegeben sein. Freilich verlangen all diese Maßnahmen entsprechende vorausschauende Planungsarbeiten, die ja die Geldmittel für diese Initiativen — wenn überhaupt — nicht auf einmal, sondern innerhalb längerer Zeiträume zur Verfügung gestellt werden können. Auch die Anpassung an die modernen Verhältnisse innerhalb des Krankenhauswesens lassen trotz Rationalisierung einen weiteren Bedarf an Ärzten erwarten.

Ob alber alle diese positiven Maßnahmen, selbst wenn sie optimal und zielstrebig in Angriff genommen werden, den Jungärzteüberschuß zur Gänze werden auffangen können, ist zweifelhaft. In diesem Lichte muß auch die an und für sich sehr begrüßenswerte Errichtung einer medizinischen Fakultät in Salzburg gesehen werden. Es erhebt sich nämlich die Frage, ob die sowieso äußerst knappen Mittel vorerst nicht besser dazu verwendet würden, um den verantwortlichen Stellen jene Beträge zur Verfügung zu stellen, die eine moderne Gesundheitspolitik für ihre Aufgaben braucht.

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