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Bevölkerungszuwachs - Raumplanung

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Wer durch Vorarlberg fährt, dem wird vor allem im Rheintal eine besonders knappe Aufeinanderfolge verbauter Gebiete auffallen. Auch kann in der mit Einfamilienhäusern stark belegten Landschaft das Entstehen vieler neuer Siedlungen beobachtet werden, die nicht nur von einer guten Wirtschaftslage, sondern auch von einer steten Zunahme der Einwohner zeugen.

Vorarlbergs Bevölkerung, die Ende März dieses Jahres bereits mehr als 281.800 Personen zählte, hat 2602 Quadratkilometer Landesfläche zur Verfügung, lebt aber zum größten Teil in den Ebenen des Rheintales und des Walgaues. Noch zur Jahrhundertwende zählte das Land weit weniger als die Hälfte, nämlich rund 129.000 Einwohner. Als flächenmäßig kleinstes Bundesland (außer Wien) hat es, was die Zahl seiner Bevölkerung betrifft, das Burgenland vor einigen Monaten überrundet. Seine Be-siedlungsdichte folgte bereits 1968 mit 102 Personen pro Quadratkilometer unter den Bundesländern hinter Wien an zweiter Stelle. Der gesamte Anteil des Landes an der Wohnbevölkerung der Republik beträgt derzeit 3,7 Prozent. In den letzten zehn Jahren war eine Zunahme um mehr als 23 Prozent bei einer jährlichen Zuwachsrate von über 2 Prozent zu verzeichnen. Der jährliche österreichdurchschnitt liegt dagegen bei nur 0,5 Prozent. Unter den nunmehr vier Bezirken des Landes wies der Bezirk Feldkirch in den letzten hundert Jahren das stärkste Wachstum auf. Dort nahm die Wohnbevölkerung um das Dreifache zu. Die bereits dicht besiedelten Täler Rheintal und Walgau befinden sich nach wie vor in der stärksten Expansion unter den Talschaften des Landes. Auch in den meisten Orten des Montafons und des Klostertales sind die Einwohnerzahlen recht bedeutend gewachsen. In den Gemeinden des Bregenzerwaldes und des Großen Walsertales sind sie aber teilweise kleiner geworden beziehungsweise haben nur unbedeutend zugenommen. Anläßlich der Volkszählung 1961 wurde auch die wirtschaftliche Zugehörigkeit der Vorarlberger untersucht und festgestellt, daß mehr als die Hälfte in Industrie und Gewerbe beschäftigt waren. Während damals der Anteil der In Land- und Forstwirtschaft Tätigen noch rund 11 Prozent betrug, liegt er heute nur noch knapp über 8 Prozent. Die Gründe für die große Zunahme der Einwohner liegen nicht nur in der relativ hohen Geburtenfreudigkeit und den niedrigen Sterbeziffern, sondern vor allem auch im Zuzug von auswärts. Aus dem Ausland wanderten im Durchschnitt der letzten Jahre rund 1600 und aus den übrigen Bundesländern 1500 Personen ein. Die in früheren Jahren feststellbare starke Ost-West-Wanderung, insbesondere aus den Bundesländern Steiermark und Kärnten, ist langsamer geworden. Im Zunehmen sind nunmehr ausländische Zuwan-derer, vor allem Gastarbeiter. Fast 9500 Jugoslawen und gegen 4300 Türken, deren Zahlen alljährlich noch größer werden, leben bereits jetzt im Lande, außerdem rund 1200 Deutsche und rund 1100 Schweizer, um nur die häufigsten Nationalitäten anzuführen. Die Bevölkerung im Ballungszentrum Rheintal erhöhte sich binnen eines Jahres um 3,1 Prozent, im Walgau um 4 Prozent, im Montafon um 1,7 Prozent. Die größte Gemeinde des Landes ist nach wie vor Dom-birn mit über 34.000 Einwohnern. Es folgen Bregenz mit über 24.000, Feldkirch mit fast 23.000, Lustenau mit 15.000 und Bludenz mit 12.000.

Es liegt auf der Hand, daß dieser Bevölkerungszuwachs an die Gebietskörperschaften auch enorme Anforderungen stellt. Die Belastung der Infrastruktur und der Finanzen der Gemeinden wächst von Jahr zu Jahr. Vor allem die Unterbringung verlangt große Anstrengungen. Nicht nur die Baufreudigkeit privater Bauherren, sondern vor allem auch die großartigen Leistungen der Wohnbaugesellschaften, an denen viele Gemeinden beteiligt sind, seien in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben. Bis auf wenige Ausnahmen wurde in jeder Gemeinde des Landes nach Kriegsende zumindest eine neue Schule gebaut. Hohe Geldmittel erforderten Kanalisation und Trinkwasserbeschaffung. Für die im Zusammenhang mit der Einreise, Beschäftigung, Freizeitgestaltung und Unterbringung von Gastarbeitern auftauchenden Probleme wurden bereits vor einigen Monaten in einer Enquete im Amt der Landesregierung mit einem größeren, zuständigen Teilnehmerkreis Lösungs- und Verbesserungsmöglichkeiten erörtert.

In einem Lande mit stark zunehmender Bevölkerung ist Raumplanung geradezu ein Gebot der Stunde, denn es gilt, den unver-mehrbaren Boden optimal zu nützen und zu verteilen, um Fehlentwicklungen zu verhindern. Nur mit raumplanerischen Maßnahmen können die ungeordnete Zersiedlung der Landschaft und die Nachteile einer unbeschränkten Zersplitterung von Grund und Boden gesteuert werden.

Von der Vorarlberger Landesregierung wurden anerkannte Fachleute beauftragt, sich mit der Landesraumplanung für Vorarlberg zu beschäftigen. Prof. Dr. Rudolf Wurzer von der Technischen Hochschule in Wien legte bereits 1967 seine „Zielsetzungen für die Gesamtentwicklung Vorarlbergs“, verbunden mit einem „Entwurf des Regionalplanes Rheintal“ vor. Nach einer das ganze Land berücksichtigenden Strukturanalyse verfaßte er auch einen Entwurf für ein Landesentwicklungsprogramm für Vorarlberg. Dieser enthält die nach Auffassung des Fachmannes notwendigen raumordnungspolitischen Grundsätze und Maßnahmen für eine optimale-Aufteilung und Gestaltung des Landesgebietes. Prof. Diplomkaufmann Hans Seidel vom österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung wurde mit der Erstattung eine Gutachtens über Struktur und Entwicklungsperspektiven der Vorarlberger Wirtschaft betraut. Verschiedene Vorschläge zu raumplanerischen Problemen wurden auch von privater Hand, abgesehen von den im Auftrag der Landesregierung erstellten Gutachten, gemacht. Nach der Abwicklung des laufenden Begutachturtgsverfahrens wird die Vorarlberger Landesregierung ein Landesentwickiungsprogramm beschließen.

Für raumplanerische Maßnahmen besteht derzeit schon eine Reihe gesetzlicher Handhaben, wie beispielsweise die Landesbauordnung, das Grundverkehrsgesetz und das Wohnsiedlungsgesetz. Ein Raumordnungsgesetz ist in Vorbereitung. Eine wachsende Zahl Vorarlberger Gemeinden befaßt sich mit der Ausarbeitung von Flächenwidmungsplänen.

Aus den Arbeiten der genannten Fachleute seien einige Gedanken wiedergegeben: Als Gestaltungsziel ist die Bildung einer sogenannten „Regionalstadt Rheintal“ vorgesehen, eines polyzentrischen Stadtkörpers. Daneben wird das Landesgebiet noch in weitere sieben Planungsräume aufgeteilt. Der Bevölkerungszunahme im „Zentralraum“ (Rheintal und Walgau) von mehr als 42 Prozent stand ein solcher von nur rund 19 Prozent in den übrigen Landesteilen gegenüber. Eine der wichtigsten landes- und raumordnungspolitischen Zielsetzungen Vorarlbergs stellt angesichts der wachsenden Massierung in den beiden meistbewohnten Tälern des Landes die Herbeiführung und Erhaltung einer möglichst harmonischen Ausgewogenheit zwischen der Entwicklung des Zentralraumes und jener der übrigen Landesteile dar. Es ist also dort eine maßvolle Konzentration der Wohn- und Arbeitsbevölkerung anzustreben. In den übrigen Planungsregionen ist zur Erreichung und Sicherung gleichwertiger Lebensbedingungen eine angemessene Bevölkerungsdichte zu erhalten. Für den Bregenzerwald und in den kleinsten Talschaften des Landes ist die Errichtung lokaler Gewerbe-und Industriebetriebe anzustreben; allerdings sollten diese ökonomisch produzieren können. Im Rheintal und Walgau wird zur Erreichung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Landwirtschaft eine Betriebsstruktur von hochmechanisierten Familienbetrieben mit möglichst großer Rentabilität befürwortet. Auf dem Gebiete des Fremdenverkehrs stellten die Gutachten die planmäßige Entwicklung einer zweiten Saison als lebenswichtig in den Vordergrund.

Die der angestrebten räumlichen Entwicklung entsprechende Bevölkerungsverteilung im Landesgebiet soll nach Prof. Dr. Wurzer durch einen schwerpunktmäßigen Ausbau der Infrastruktur in den Zentralen der künftigen Regionalstadt Rheintal erfolgen. In anderen Planungsregionen ist durch den Ausbau geeigneter zentraler Orte (nach anderen Vorstellungen: zentraler Bereiche) ein möglichst günstiges Verhältnis zwischen Arbeitsplätzen und Wohnbevölkerung sowie ein differenziertes Angebot an Dienstleistungen herzustellen. Außerdem soll jede nachteilige Streubebauung vermieden werden. In den Planungsregionen außerhalb des Rheintale3 ist unter Be-dachtnahme auf Flächenausmaß, Bevölkerungszahl und Siedlungsstruktur mindestens ein entwicklungsfähiger zentraler Ort (oder zentraler Bereich) festzulegen. Auf dem Gebiet des Straßenverkehrs soll durch den Bau eines leistungsfähigen Autobahnnetzes, durch die Errichtung von Autobusbahnhöfen und Schaffung ausreichender Parkmöglichkeiten im Bereiche von Haltestellen der Massen-verkehrsmittel (Schnellbahn mit starrem Fahrplan im Rheintal) und in den Geschäftsgebieten, sowie durch einen funktionsgerechten, dem zukünftigen Verkehrsaufkommen entsprechenden Ausbau des Bundes-, Landesund Gemeindestraßennetzes Vorsorge für die künftige Verkehrsbewältigung getroffen werden. Auch wird der wintersichere Ausbau überregionaler Straßenzüge, besonders zu den Fremdenverkehrsschwerpunkten der Nachbarländer, angeregt.

Eine wichtige raumplanerische Maßnahme, die im Zusammenhang mit der Entscheidung der Bundesregierung zugunsten eines Baues der Unterflurstraße der Autobahn in Bregenz beschlossen wurde, befindet sich bereits im Stadium der Verwirklichung. Es handelt sich um den Neubau eines Zentralgüterbahnhofes im unteren Rheintal, in Wolfurt. Dieses Großbau-vorhaben, für das das Land die Grundablöse übernommen hat, ermöglicht die Verlegung des Bregenzer Güterbahnhofes, die auf Grund der räumlichen Beengtheit und des ansteigen-

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