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Blank-Reform und Schmatz-Plan

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In diesen Wochen wird in der Deutschen Bundesrepublik lebhaft über den vom Arbeits- minister Blank veröffentlichten Plan zur Sanierung und Reform der Krankenversicherung diskutiert. Diese, vor 75 Jahren im Bismarck-Reich als „Arme-Leute-Versicherung” entstanden und in ihren Grundformen noch heute unverändert, soll nun den gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnissen angepaßt und in einen Gesundheits- und Krankheitsschutz für Arbeiter und Angestellte umgewandelt werden, die, im Gegensatz zu einst, einen hohen Lebensstandard erreicht haben.

Am meisten interessieren die Oeffentlichkeit natürlicherweise die Bestimmungen über die Selbstbeteiligung der Versicherten und die Honorierung der Aerzte.

Was das erstere Problem anbelangt, das von der nicht ganz einwandfreien These ausgeht, daß „Aerzte und Krankenkassen von den Versicherten ausgebeutet werden” — in Wirklichkeit umfassen die „Ausbeuter” höchstens fünf bis zehn Prozent der Gesamtversichertenanzahl, so soll der Versicherte die Leistungen der Krankenversicherung auf Grund seiner Beitragszahlung nicht mehr wie bisher als kostenlose Sachleistung erhalten, sondern er soll im Rahmen des Zumutbaren finanziell beteiligt werden. Wer sich wirklich krank fühlt, wird, so meint man, auch dann zum Arzt gehen, wenn er einen kleinen Beitrag zahlt. Diese Zahlung soll in der Art erfolgen, wie sie der sogenannte Schmatz-Plan propagiert — Regierungsdirektor Dr. Hans Schmatz ist ein leitender Beamter im Bonner Arbeitsministerium. Nach diesem Plan wird der Versicherte während der ersten sechs Wochen seiner Erkrankung an den Kosten der ärztlichen und Krankenhausbehandlung sowie an denen der Medikamente beteiligt. Um diese, bisher anonymen, Kosten aber sichtbar werden zu lassen, werden die Versicherten in Hinkunft von den Aerzten und Krankenhäusern einen Durchschlag der sie betreffenden, von diesen bei den Kassen eingereichten Honorarabrechnungen erhalten. Die Beteiligungssätze sind folgende: Bei einem Monatseinkommen bis zu 400 D-Mark monatlich zahlt der Versicherte für jeden Arztbesuch 75 Pfennig, ist das Einkommen jedoch höher, so hat er 1.50 D-Mark zu entrichten. Bei einem Monatsbezug unter 150 D-Mark kann er über Antrag von der Kostenbeteiligung befreit werden. Der entfallende Betrag soll durch den Arzt vom Patienten einkassiert werden. Diese Bestimmung veranlaßt die Aerzte zu der Frage, ob sie somit in Hinkunft, gleich den Kaufleuten, in der Ordination eine Registrierkasse aufstellen sollen. — Für jede ihm verschriebene Arznei wird der Versicherte in Hinkunft 1 D-Mark zahlen, sofern die Kosten des Gesamtrezepts höchstens 5 D-Mark betragen: für jede weitere angefangene D-Mark wird er 10 Pfennig, höchstens aber 3 D-Mark entrichten müssen. Bei einem Aufenthalt im Krankenhaus sind pro Pflegetag 0,5 Prozent des monatlichen Arbeitsentgelts, mindestens aber 1 D-Mark und höchstens 3.30 D-Mark abzustatten.

Die Selbstbeteiligungssätze bei den Arztkosten scheinen zunächst nicht hoch zu sein, aber man darf nicht übersehen, daß die Beträge für j e d e einzelne ärztliche Leistung zu entrichten sind und oftmals bei einem einzigen Besuche beim Arzt von diesem mehrere Leistungen vorgenommen werden; dann aber verdoppelt oder verdreifacht sich die Gebühr und fällt dann schon erheblich ins Gewicht.

Bei der Diskussion über diese Bestimmungen des Blankschen Entwurfes wurde aber mancher- seits mit Recht auch darauf hingewiesen, daß damit allein noch nichts getan sei, es gelte vor allem den Kontakt zwischen Versicherten und Kassen, der durch die Reichsversicherungsordnung zwar geregelt, niemals aber gepflegt worden sei, wiederum neu anzuknüpfen und das Verhältnis zwischen beiden zu demokratisieren. Es war ein Fehler, daß die Versicherten niemals über die großartigen Leistungen der Krankenversicherung informiert wurden und in den letzten Jahren nur immer wieder von ihren Mängeln und Schwächen hörten. Nun soll dies nachgeholt werden, mit Presse, Rundfunk und Fernsehen; die Kosten fallen zu Lasten des Versicherungsträgers. Man will in Hinkunft dem Versicherten sagen, wieviel die Entbindung seiner Frau gekostet und wie hoch sich sein Aufenthalt im Krankenhaus gestellt hat.

Was die Arztfrage anbelangt, so bringt der Reformplan hier folgendes: Zunächst einmal soll das Zulassungsrecht neu geregelt werden. Da die Verhältniszahl, nach der auf eine bestimmte Zahl von Versicherten nur ein Arzt bzw. Zahnarzt kommen durfte, fallen gelassen wird, schwinden damit auch die langen Wartezeiten für die Zulassung der Aerzte zur Kassenpraxis, zu der sie bisnun kaum vor dem 40. Lebensjahr gelangten. Sie steht nunmehr jedem Arzt offen, der entweder durch sieben Jahre praktiziert hat oder in einer Krankenanstalt tätig war oder das 40. Lebensjahr überschritten hat und durch mindestens fünf Jahre tätig war.

Was die Honorierung der Aerzte anbelangt, so wird das bisherige Kopfpauschale für jeden Patienten und der damit verbundene Krankenschein fallen gelassen und die Hon o- rierung nach der Einzelleistung auf Grund einer erst zu schaffenden Gebührenordnung eingeführt.

Wird diese Lösung die Aerzte zufriedenstellen? Auch hier gibt es ein Für und WideT. Der Senatspräsident beim Bundessozialgericht in Kassel, Prof. Dr. Bog s, behauptet, die Vergütung nach Einzelleistungen, d. h. nach bestimmten Tarifpositionen, sei sicherlich nicht leistungsgerechter als das bisherige System, denn man könne doch nicht die geistige Gesamtleistung des Arztes nach der Zahl der äußeren Hantierungen bewerten, zumal der Umfang der Einzelleistungen weitgehend von dem Ermessen des einzelnen Arztes abhängt.

Prof. Bogs seinerseits befürwortet eine andere Lösung: Er schlägt zwei Gruppen von Versicherten vor. Solche mit einem Monatseinkommen bis zu 450 D-Mark und solche, die ein höheres Einkommen haben. Für die erstere Gruppe beantragt er nach holländischem Muster das „Einschreibe- oder Hausarztsystem”. Bei diesem hat sich der Versicherte für ein Jahr bei einem von ihm gewählten Kassenarzt einzutragen, der dann jeden bei ihm eingeschriebenen Versicherten und dessen Angehörige auf Grund eines Jahreshonorars behandelt, das zwischen den Verbänden der Aerzte und den Kassen vereinbart wird. Dieses System gibt es schon jetzt in der Bundesrepublik, und zwar in der knappschaftlichen Versicherung, und soll sich dort sehr bewährt haben. Bei ihm fallen jedenfalls die Krankenscheine und die gesamte Abrechnung der Einzelleistungen der Aerzte gegenüber den Kassen weg. Es führt auch nicht zu einer Verbeamtung der Aerzte und fördert unter ihnen einen gesunden Wettbewerb. Für die zweite Gruppe schlägt Bogs die Kosten- eTStattungsversicherung vor, wobei die Versicherten den Arzt zunächst aus eigenem bezahlen. Von der nach der Kassenarztgebühr aufgestellten Abrechnung des Arztes werden ihnen dann von den Kassen 80 Prozent refun- diert.

Hervorzuheben ist schließlich noch die an Minister Blank gerichtete Forderung des Berliner Verbandes der praktischen Aerzte, neben den Dienstgebern und Dienstnehmern in der Leistung der Krankenkassen gleichberechtigt und als Kenner der Probleme m i t- bestimmend vertreten zu sein. Eine Forderung, die man wohl kaum wird abweisen können.

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