Blei, der Trüffelfisch

Werbung
Werbung
Werbung

Franz Bleis "Erzählung eines Lebens" erzählt eine ganze Epoche.

Er habe sich durch erotische Literatur und eine Reihe von Plagiaten so kompromittiert, dass er literarisch nicht mehr ernst zu nehmen sei, schrieb der Insel-Herausgeber Alfred Walter Heymel an Hugo von Hofmannsthal. Die Rede war von Franz Blei, der als Essayist und Vermittler französischer Literatur zu den auffälligsten Figuren des Fin de siècle zählte. Sein Faible für hochpikante Galanteriewaren machten den bibliophilen Snob von Anfang an suspekt. "Die Puderquaste. Ein Damenbrevier", "Der bestrafte Wollüstling", "Die Bonbonnière"- schon die Titel seiner Bücher sprachen eine deutliche Sprache. Allein seinem "Großen Bestiarium der Literatur", einem satirischen "Who is Who" der damaligen Geisteselite, war eine gewisse Überlebensdauer beschieden. Dass sich Blei darin als Tier-Spezies selbst verewigte, zeugt von einer Selbstironie, die damals alles andere als selbstverständlich war. Als einen geschmeidigen Süßwasserfisch mit dünner, glatter Haut bezeichnete er sich, der wegen seiner Fähigkeit, Leckerbissen aufzuspüren auch Trüffelfisch genannt werde. Doch letztlich trug auch das Bestiarium nur dazu bei, dass die Nachwelt das Kapitel Blei in der Schublade kurioser, rokokohaft vertändelter Unterhaltung ablegte. Eine Schublade, die der Zsolnay-Verlag nun mit der Neuentdeckung von Bleis "Erzählung eines Lebens" geöffnet hat. 1930, drei Jahre vor der Machtergreifung erstmals erschienen, war die Zeit zu kurz, um der Bedeutung dieses Buches gerecht zu werden. Drei Jahre später wurden seine Bücher verboten und aus den Bibliotheken verbannt.

Epochendarstellung

Wiederzuentdecken ist eine große Epochendarstellung, die man getrost Stefan Zweigs "Welt von gestern" oder den Tagebüchern eines Harry Graf Kessler zur Seite stellen darf. Blei, dieser "springlustige Geist", werde, wenn er sich einmal zum Aufräumen seines vollgepfropften Hirns entschließe, eine originelle Einheit abgeben, schrieb der Wiener Feuilletonist Stefan Großmann über ihn. Zehn Jahre später konnte man sich anhand von Bleis Autobiografie davon überzeugen, was in dessen Credo "Es lebe der Kommunismus und die katholische Kirche" alles Platz hatte: Eine faszinierende Vielfalt an Facetten und Nuancen, eine Lust am geistigen Exkurs, der Wille zur Genauigkeit und die frappante Fähigkeit, seine Zeit aus immer wieder wechselnden Perspektiven zu sehen. Man feiere, schreibt er, in diesem Land gern den Dilettanten, der sich in die Untiefe einer Weltanschauung flüchte, weil es ihm an Welt und Weltkenntnis fehle. Durch ebendiese Weltkenntnis zeichnete Blei sich aus, auch wenn er sich in frühen Jahren durchaus in solche Untiefen verirrte. 1871 in Wien als Sohn eines Schuhmachers geboren, der als Autodidakt Häuser baute und es zu einem beträchtlichen Vermögen brachte, suchte der junge Student Anschluss bei dem Wiener Sozialdemokraten Viktor Adler. Mit einem Freund hatte er einen detaillierten Plan zur Revolution ausgearbeitet und ihm den erstaunten jüdischen Nervenarzt vorgelegt. Der wusste nur zu gut, dass seine Partei mehr Führer als Geführte hatte und übergab ihn mit den Worten "Hier sind die beiden Umstürzler" der Obhut seiner Frau.

Die Zeit, die Blei anschließend in den revolutionären Zirkeln Zürichs verbrachte, war nicht von langer Dauer. Über seine Abneigung gegenüber dem Protestantismus, Lustfeindlichkeit und nationalen Ressentiments zu lesen, ist ebenso aufschlussreich wie amüsant. Über München, die Stadt der Künstlerfeste und lockeren Sitten, urteilt er entsprechend positiv: Bürgertum und Adel seien eingeebnet in einer gefühlsmäßigen Demokratie und sogar die Juden völlig bajuwarisiert. Die Porträts, die mit der Münchner Zeit Bleis Autobiografie zu dominieren beginnen, sind bestimmt von dem Bestreben, in der Suche nach dem Künstler den Menschen zu finden. Ob Stefan George, Hugo von Hofmannsthal, Borchardt oder Robert Musil, ob Beardsley, Swinburne, André Gide: Man lernt sie hier aus der Feder eines behutsamen Physiognmikers kennen. Den vergessenen Impressionisten wie Max Dauthendey, Marcel Schwob und Eduard von Keyserling setzte er mit wenigen Seiten ein unvergängliches Denkmal. Was Blei von sich selbst sagte, dass er einen heillosen Respekt vor allem Großen habe, findet der Leser hier bestätigt. Nicht ein einziges abfälliges Wort über einen Zeitgenossen liest man auf diesen 450 Seiten. Über Heymel, den reichen Erben, der sich an der Münchner Leopoldstraße eine Jugendstilwohnung einrichten ließ, heißt es: "Er besaß nur die königliche Phantasie des Verschwendens, nicht die Sklaventugend des Erraffens."

Souveräner Rückblick

Das Bestrickende an Bleis Schriften, schrieb Robert Musil, sei ihre kompasslose Durchdringung mit Licht, das von allen Richtungen schwingende Argument. Nur ein Weltbürger mit einer üppigen Lebenslandschaft konnte zu einem solch souveränen Rückblick auf das geistige Europa fähig sein. Ein Wiener, den man nicht richtig zu den Wienern zählen konnte, ein Münchner, der nach Berlin und Mallorca ging und 1941 in New starb. In der Gestalt Bleis, von Max Oppenheimer porträtiert, verband sich Epikuräertum mit Erkenntnisinteresse. Offen für alles Neue, war er doch zugleich ein äußerst konservativer Denker. In seinen kunstvollen Hypotaxen verbargen sich Anflüge von Heiterkeit wie Melancholie. "Erst über das Leben nachdenken, und es dann darstellen" - die Maxime, die er an den Erzähler stellte, hat er in der Erzählung seines Lebens selbst beherzigt. Entsprechend getränkt mit Reflexionen ist dieses Buch. Mit Prophetie etwa, wenn er über die Farbigen Amerikas schreibt, dass ihre menschlichen Wirklichkeiten einmal zu den Stimulanzien eines automatisierten Lebens werden könnten.

So verdienstvoll die vorliegende Ausgabe ist, sie lässt Wünsche offen. Mit einem Personenregister ausgestattet fehlen ihr eine Auswahlbibliografie und die nötigsten Anmerkungen. Ursula Pia Jauchs vergeblicher Versuch, sich als Essayistin an Blei zu messen, geht auf Kosten der Information. Gleichwohl - diese hat ein Gewicht, das nicht von Blei ist.

Erzählung eines Lebens

Von Franz Blei

Mit einem Nachwort von Ursula Pia Jauch

Zsolnay Verlag,Wien 2004

522 Seiten,geb., e 25,90

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung