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Der Arbeitsring für Lärmbekämpfung hat erst vor kurzem aufgezeigt, wie drastisch die Situation auf dem Gebiet der Geräuscheinflüsse geworden ist. Danach leidet die Hälfte der mitteleuropäischen Stadtbevölkerung in den Nachtstunden unter permanenter Lärmstörung. In Österreich sind davon zwei Millionen Personen betroffen. Die solcherart im Schlaf beeinträchtigten Menschen kommen ungenügend ausgeruht zur Arbeit, sind leistungsbeeinträchtigt und gesundheitlich entsprechend gefährdet.

Neben dem Lärm gibt es aber noch eine ganze Kette schädlicher Uip- tveltseinflüsse, die durch das Leben in der Industriegesellschaft verursacht werden.

Der Mensch von heute zahlt für seinen gehobenen Lebensstandard bereits einen zu hohen Preis in Form gesundheitlicher Beeinträchtigungen. Und er ist auf dem besten Weg, daß seine zivilisatorischen Errungenschaften existenzbedrohende Folgen für den menschlichen Organismus auslösen. Wenn nicht rasch umfassende Gegenmaßnahmen ergriffen werden, dürfte der Mensch den selbstgeschaffenen Umweltbelastungen um das Jahr 2000 kaum mehr gewachsen sein!

Trotz des sensationellen Entwicklungsstandes der Medizin ist der Arzt bereits heute nicht mehr in der Lage, mit diesem Problem allein fer

tig zu werden. Denn um den Gefahren von Lärm, Luftverunreinigung und Gewässerverschmutzung entsprechend begegnen zu können, bedarf es hoher Investitionen und umfangreicher Maßnahmen, die organisatorisch und finanziell überwiegend nur von der öffentlichen Hand verkraftet werden können. Ergänzend dazu ist auch die Mitwirkung der Wirtschaft und jedes einzelnen Menschen erforderlich, was freilich eine umfassende Information der Öffentlichkeit über den Gesamtkomplex voraussetzt.

Erst in den letzten Jahren ist man in den führenden Industriestaaten der Welt darangegangen, diesen Pro-, blemkreis in systematischer Ordnung ±u erfassen lind auf“ ss4nžtira¥fii-

cher Basis Lösungen zu suchen. So entstand der Begriff Gesundheitspolitik. Grundlegend gewandelt hat sich damit aber auch die Vorstellung über die Gesundheit selbst, die bisher lediglich als Freisein von Krankheit definiert war. In der Charta der Weltgesundheitsorganisation wird die Gesundheit indes bereits als ein Zustand vollkommenen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens umschrieben. Die modernen Vorstellungen darüber, was man unter Gesundheit zu verstehen hat, gehen demnach weit über das bloße Fehlen von Krankheiten und Gebrechen hinaus. Sie entsprechen damit den wesentlichen Anliegen der Gesundheitspolitik.

Man lebt länger, aber nicht gesünder

Dieser grundlegende Wandel in der Betrachtung hat nun keineswegs einen theoretischen Charakter, sondern einen realen, praktischen Wert. Denn die sich daraus für das Alltagsleben auf lange Sicht ergebenden Konsequenzen sind durchaus dazu angetan, das sozialpolitische Gefüge

der pluralistischen Gesellschaft essentiell zu verändern. Zeichnen sich nämlich die Konturen des gesundheitspolitischen Komplexes einmal klar genug ab, dann erkennt der vom Wohlstandsleben gejagte Mensch deutlich, daß den sicherlich begrüßenswerten, materiellen Gütern die Gesundheit immer noch überzuordnen ist.

Die meisten Menschen sind sich

heute bereits bewußt, eigentlich reichlich ungesund zu leben. Ohne richtig krank zu sein, fühlen sie sich einfach nicht wohl, registrieren sie das Unbehagen des Körpers, der ihnen dies von Zeit zu Zeit auch mehr oder minder deutlich signalisiert. Dank des medizinischen Fortschrittes lebt der Mensch heute zwar durchschnittlich länger, er ist aber trotzdem nicht gesünder.

Der Schwerpunkt der Medizin

In dem Bestreben nach neuen Erkenntnissen, mit deren Hilfe dieser Teufelskreis durchbrochen werden könnte, liegt genau jener Schnittpunkt, wo sich die Medizin mit der Gesundheitspolitik trifft, und wo sich für die Zukunft der gemeinsam zu beschreitende Weg abzeichnet. Historisch gesehen, stellte sich der Medizin zunächst die Aufgabe, die großen Seuchen, wie zum Beispiel Pest und Pocken, zu bezwingen. Dies gelang, nachdem die anatomischen, pathologischen und bakteriologischen Erkenntnisse Ende des vorigen Jahrhunderts entsprechend fortgeschritten waren. In den letzten Jahrzehnten nahm die Medizin erneut einen ungeheuren Aufschwung. Die Chirurgie wurde beispielsweise in einem Maße verfeinert, daß nun sogar schon lebenswichtige Organe ersetzt werden können.

Der neue Schwerpunkt der medizinischen Wissenschaft bildet sich an dieser Schwelle immer deutlicher auf dem Gebiet der Vorbeugung und der Verhütung von Krankheiten heraus, ein Bemühen, das von den Lebensbedingungen und Lebensgewohnheiten der Industriegesellschaft geradezu konterkariert wird. Die Bündnispartner, die sich dem Arzt in dieser Situation anbieten, sind jene Zweige

der Gesundheitspolitik, die außerhalb der rein medizinischen Aufgabenbereiche liegen. Dazu zählen die Bemühungen um die Reinhaltung von Luft und Gewässern, der Kampf gegen den Lärm, Hygienebestrebungen aller Art, die Anstrengungen um gesunde Bedingungen am Arbeitsplatz und gesundheitsbewahrende Maßnahmen in vielen anderen Lebensbereichen.

Denn vom Umfang derartiger Maßnahmen hängt mit die Erfolgschance der modernen Medizin ab, in Prävention und Prophylaxe bestehen zu können.

Österreich hinkt leider auf diesen Gebieten gegenüber anderen Industriestaaten noch etwas nach. Es fehlt hier vor allem an der notwendigen Koordination der Maßnahmen. Die Aktivität bleibt vorerst auf Teilgebiete beschränkt, wie etwa auf dem Gebiet der Wasserwirtschaft, wo der dazu im Jahre 1959 geschaffene staatliche Fonds gerade in den letzten Jahren wachsende Anstrengungen zur Reinhaltung der Gewässer und zur Versorgung der Bevölkerung mit qualitativ hochwertigem Trinkwasser unternommen hat. Mit einem Kostenaufwand von drei Milliarden Schilling wurden zahlreiche Kläranlagen, Kanalisationen und

Wasserleitungen gebaut. Dennoch haben Fachleute den Bedarf auf dem Wasserwirtschaftssektor mit rund 40 Milliarden Schilling ermittelt, eine Summe, die in den nächsten 20 Jahren investiert werden müßte, soll die Bevölkerung auf diesem Sektor vor Gesundheitsschäden bewahrt werden. Zeigt sich bereits an diesem Beispiel die Größe der noch zu lösenden Aufgabe, so müssen wir mit Beunruhigung registrieren, daß man auch in vielen anderen Fragen über die bloße Feststellung, daß Maßnahmen dringend geboten erscheinen, noch nicht hinausgekommen ist.

Dies müßte sich nun auch in Österreich bald ändern. In den nächsten Wochen wird ein österreichisches Institut für Gesundheitpolitik im Rahmen der schon bestehenden Arbeitsgemeinschaft für Volksgesundheit die Tätigkeit aufnehmen. Das neue Institut wird sich vorerst damit befassen, die im In- und Ausland bereits gewonnenen Erkenntnisse auf den verschiedensten gesundheitspolitischen Gebieten zu sammeln, zu sichten und auszuwerten. Das Institut wird damit einen wichtigen Beitrag für eine neue Phase in der österreichischen Gesundheitspolitik leisten.

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