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Bundespräsident und Bundesregierung

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Gemäß Art. 19 BVG sind die obersten Organe der Vollziehung des Bundes der Bundespräsident und die Bundesregierung. Die vollziehende Gewalt des Bundes ist also auf dualistischer Grundlage aufgebaut, ohne daß ein dauerndes Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen Bundespräsident und Bundesregierung besteht. Während die Gesetzgebung zwar auch von National- und Bundesrat gemeinsam ausgeübt wird, kann man dennoch, da der Nationalrat mit wenigen, nicht entscheidenden Ausnahmen auch gegen den Willen des Bundesrates Gesetzesbeschlüsse fassen kann, von einem De-facto-Verhältnis der Uber-und Unterordnung sprechen, von einer Spitze der Gewalt. Das gilt auch für die rechtsprechende Gewalt, wo der Instanzenzug bei der ordentlichen Gerichtsbarkeit eine Einheit der Entscheidung garantiert. Sieht man bei der dritten Gewalt von dem durch die Habsburgkrise in Erinnerung gerufenen Problem der Stellung der drei Höchstgerichte zueinander ab, so ist die vollziehende Gewalt, die Regierungsgewalt im engeren Sinn, die einzige der drei Gewalten, bei der die dualistische Konstruktion keine Einheit des Handelns garantieren kann, denn weder besitzt der Bundespräsident eine ausreichende Möglichkeit, in einem Streitfall seine Auffassung der Bundesregierung aufzuzwingen, noch besteht eine Möglichkeit vice versa.

Der Bundespräsident ist stark!

Der Bundespräsident ernennt den Bundeskanzler, wobei er an keinerlei Vorschläge und Erwägungen gebunden ist, und auf dessen Vorschlag die übrigen Mitglieder der Bundesregierung. Es erfolgt also im Gegensatz zur Investitur des Premierministers durch die Nationalversammlung der Vierten französischen Republik und zur Kanzlerwahl der deutschen Bundesrepublik die Bestellung der Regierung durch das Staatsoberhaupt. Der Bundespräsident ist jedoch insofern gezwungen, die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat zu beachten, als der Nationalrat eine ihm mißliebige Regierung stürzen kann. Unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen im Nationalrat kann dagegen der Bundespräsident, und hier gehen seine Kompetenzen noch weiter als die des Präsidenten der Fünften französischen Republik, die Bundesregierung entlassen. Die Konsequenz daraus ist, daß die Bundesregierung sowohl das Vertrauen des Nationalrates als auch das des Bundespräsidenten genießen muß, also der Organe, die ihre Legitimität unmittelbar vom souveränen Volk ableiten.

Zögert der Bundespräsident im Fall eines ernsten Konfliktes mit der Regierung, diese zu entlassen, etwa im Hinblick auf die Mehrheitsverhältnisse im Nationalrat, so bleibt er von einer Regierung abhängig, mit der er unter Umständen nicht zusammenzuarbeiten vermag. Die Bundesregierung kann die Tätigkeit des Bundespräsidenten fast völlig lahmlegen, da der Bundespräsident grundsätzlich nur auf Vorschlag von Regierungsmitgliedern und mit deren Gegenzeichnung handlungsfähig ist (eine Ausnahme unter anderem ist die Entlassung der Regierung). Das zeigt auf ein ganzes System von wechselseitigen Abhängigkeiten, des Bundespräsidenten von der Bundesregierung sowie dieser von Bundespräsident und Nationalrat. Ohne ständige gute Zusammenarbeit von Bundespräsident und Regierung ist eine Regierungstätigkeit schlechthin nicht vorstellbar.

Die Trennung der Gewalten

Das alles ist ohne größere Bedeutung, wenn der Bundespräsident und die im Nationalrat herrschende Mehrheit harmonieren, was ohne Unterbrechung die ganze zweite Republik hindurch der Fall war. Wer kanr aber mit Sicherheit sagen, daß es immer so bleiben wird? Sind Nationalrat und Bundespräsident in grundsätzlichen Bereichen einmal nicht einig, das ist trotz der direkten Wahl beider Organe möglich, so kann die doppelte Abhängigkeit der Regierung von beiden Organen, die, auf die gleiche Legitimitätsgrundlage gestützt, voneinander völlig unabhängig sind, die Aktionsfähigkeit der Republik gefährden.

Die eine Spitze der Vollziehung, die Bundesregierung, ist von der Legislative abhängig, die andere Spitze aber, der Bundespräsident, ist von der Legislative völlig getrennt.

Das Recht der Bundesversammlung, eine Volksabstimmung zur Absetzung des Bundespräsidenten durchzuführen, kann wegen der Schwerfälligkeit einer solchen Maßnahme diese Trennung nicht wesentlich beeinträchtigen. Um die Gefahren des Verlustes der Einheit des Handelns zu bannen, müßte über den Grad der Gewaltentrennung klarer als bisher entschieden werden. Entweder konsequentere Trennung von rechtsetzender und rechtvollziehender Gewalt, das bedeutet Aufhebung oder Einschränkung der politischen Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem Nationalrat, oder aber geringere Gewaltentrennung, das heißt, daß kein Organ der Vollziehung ohne Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament mehr als repräsentative Vollmachten besitzen darf. Die erste Möglichkeit wäre eine Annäherung an den Typ der Präsidentschaftsrepublik, die zweite an die parlamentarische Republik, beinhaltend entweder die politische Verantwortlichkeit des Bundespräsidenten gegenüber dem Nationalrat oder eine Einschränkung der Vollmachten des Bundespräsidenten.

Geschriebene und gelebte Verfassung

Man lasse sich von der gegenwärtigen Verfassungswirklichkeit nicht täuschen. Die Bundespräsidenten der

Zweiten Republik nützen fast nie sämtliche ihnen von der Verfassung verliehenen Rechte. Sie betrachteten sich als Repräsentanten der Republik und keineswegs als Lenker des Staates. Die Ursache dafür ist vor allem in den stabilen Regierungsverhältnissen zu finden, aber auch darin, daß alle Präsidenten aus einer, an der Regierung beteiligten Partei kamen, also von vornherein eine gewisse Übereinstimmung zwischen den beiden Spitzen der Exekutive gegeben war. Ein Aufleuchten von der tatsächlichen Macht des Bundespräsidenten gab es nur einmal, als 1953 Bundespräsident Körner dem Vorschlag von Bundeskanzler Raab, den VdU in die Regierung miteinzu-beziehen, nicht nachkam. Hier war der Bundespräsident einmal aktiver Politiker, er — und nicht der Regierungschef — entschied in letzter Instanz über die Zusammensetzung der Regierung.

Ändert sich nun die Verfassungswirklichkeit und sind die Regierungsverhältnisse nicht mehr so stabil wie bisher oder haben Bundespräsident und Regierung grundsätzlich verschiedene politische Auffassungen, würde jeder Bundespräsident selbstverständlich von den ihm zustehenden Rechten häufiger Gebrauch machen. Bieten sich verschiedene Möglichkeiten der Regierungsbildung, wird der Bundespräsident entscheiden, welche Regierung das Land bekommt. Kann der Bundespräsident dem Kurs einer Regierung nicht zustimmen und gilt es nur den Anschein einer alternativen Mehrheitsbildung im Parlament, wird der Bundespräsident die ihm mißliebige

Regierung entlassen. Umgekehrt hat, wie erwähnt, eine Regierung genug Möglichkeiten, den Bundespräsidenten an seiner Amtsführung zu hindern. Das ist aber die Gefahr: ein Vakuum an der Spitze des Staates.

Die Problematik des Dualismus der Exekutive existiert auch in der Verfassung der Fünften Republik und ist in Frankreich Gegenstand einer systematischen Verfassungkritik. Die Stellung des Präsidenten der Republik ist der des Bundespräsidenten sehr ähnlich, nur gibt das Notverordnungsrecht dem Bundespräsidenten nicht so viel Freiheit des Handelns wie der entsprechende Art. 16 der französischen Verfassung dem Präsidenten der Republik. Dieser kann aber die Regierung nicht von sich aus entlassen. Die Kritiker der französischen Verfassung, von links und von rechts, sind sich der Gefahr des Dualismus, einer möglichen gegenseitigen Mattsetzung von Präsident und Premier, bewußt und schlagen, mit Blick auf die Zeit nach de Gaulle, entweder eine Verstärkung der Gewaltentrennung (Maurice Duverger) oder aber eine Beschränkung der Kompetenzen des Staatsoberhauptes

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