Carl Rogers: Geheimnis der Präsenz
Wie kam der amerikanische Psychotherapie-Pionier Carl Rogers in jene meditative Verfassung, die er als "veränderten Bewusstseinszustand" beschrieb und der er eine "außerirdische Qualität" beimaß? Harald E. Tichy beantwortet diese Frage im Dialog mit der frühbuddhistischen Lehre.
Wie kam der amerikanische Psychotherapie-Pionier Carl Rogers in jene meditative Verfassung, die er als "veränderten Bewusstseinszustand" beschrieb und der er eine "außerirdische Qualität" beimaß? Harald E. Tichy beantwortet diese Frage im Dialog mit der frühbuddhistischen Lehre.
Siddhartha Gautama war ein langes Leben gegönnt, um seine Lehren zu verbreiten. Der Königssohn hatte mit 29 Jahren sein luxuriöses Zuhause verlassen, um sich als Asket auf eine spirituelle Suche zu begeben; nach seiner "Erleuchtung" wanderte er mehr als 40 Jahre durch das alte Indien. Als Buddha sprach er zu Mönchen und Nonnen, aber auch zu Menschen mit Beruf und Familie, zu Adeligen und Feldherren ebenso wie zu Bettlern und Prostituierten. Als er alt und gebrechlich wurde, stellte sich die Frage nach dem Schicksal seiner Gefolgschaft immer dringlicher.
Doch der Buddha dachte nicht daran, einen Nachfolger zu ernennen. Er verkündete die hehre Vision einer führerlosen Gemeinschaft, die nur von den Prinzipien seiner Lehre geleitet wird. Und er ermutigte seine Anhänger, von ihm unabhängig zu werden. "Nach meinem Tod", tröstete er seinen Lieblingsschüler Ananda, "werden der Dharma (die Lehre) und die Ordensregeln euer Lehrer sein."
Samadhi: Präsenzerfahrung in der Meditation
Dass er zum Begründer einer Weltreligion werden sollte, konnte Siddharta noch nicht wissen. Vielmehr plagte ihn die Sorge, dass seine Lehre im Lauf der Zeit verwässert wird. "Fünf schädliche Dinge führen zum Verfall und Verlust der wahren Lehre", hatte der Buddha gewarnt: Damit meinte er die mangelnde Wertschätzung des Lehrers, der Lehre, der Gemeinschaft, der spirituellen Übung -und von Samadhi. Der letzte Begriff bezeichnet eine Bewusstseinsverfassung, die unter günstigen Bedingungen aus der Meditation erwächst: Das nachhaltige Bemühen um Achtsamkeit führt letztlich zu Samadhi, zu einem ruhigen und gestillten Geist, der immun gegen Zerstreuung und Ablenkung ist. Samadhi lässt sich unter anderem als geistige "Sammlung", als "Einigung", "Herzenseinigung" oder schlicht "Friede" übersetzen. Im "edlen achtfältigen Pfad", den der Buddha als Übungsweg gelehrt hat, steht Samadhi gewissermaßen als krönendes Pfadglied an letzter Stelle. Die gesamte buddhistische Schulung in Weisheit, Ethik und Meditation kulminiert also idealerweise in dieser Verfassung.
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