6580980-1951_17_09.jpg
Digital In Arbeit

Christentum vor Christus?

19451960198020002020

Um eine abwegige neue wissenschaftliche Hypothese über die vorchristliche Entstehung des Christentums

19451960198020002020

Um eine abwegige neue wissenschaftliche Hypothese über die vorchristliche Entstehung des Christentums

Werbung
Werbung
Werbung

Vor genau vier Jahren fanden Beduinen in der judäischen Wüste in einer Höhle zwölf Kilometer südlich von Jericho mehrere hebräische Handschriften, die bald allgemeines Interesse erweckten. Die Landschaft in unmittelbarer Nähe des Toten Meeres, von dessen Nordwestufer die Fundhöhle nur zwei Kilometer entfernt ist, fällt steil von etwa 900 Meter bis zu 392 Meter unterhalb des Meeresspiegels ab. In diesem vegetationslosen und unwegsamen Gebiet versteckten vor mehr als 2000 Jahren Angehörige einer jüdischen Sekte, die infolge von Verfolgung und Bedrückung nach Damaskus in Syrien flüchten mußte, ihre heiligen Bücher, deren letzter und bescheidener Rest die erwähnten hebräischen Handschriften sind.

Die von einigen wenigen bestrittene Echtheit der Texte wurde durch die ' wissenschaftliche Erforschung der Höhle bestätigt, die im Februar und März 1949 vorgenommen wurde. Im Zuge dieser Untersuchung der Fundhöhle wurden zahlreiche Textilfragmente und Keramiken gefunden, die in unzweideutigem Zusammenhang zu denjenigen Handschriften und Krügen stehen, die zwei Jahre zuvor von den Beduinen auf den Markt gebracht wurden. Da unter den von den Beduinen gefundenen Texten zwei Rollen waren, von deren eine den gesamten Text des Isaia-Buchs und die zweite rund das letzte Drittel desselben Buches beinhaltet, ist es selbstverständlich, daß der Fund vor allem das Interesse der alttestamentlichen Wissenschaft erweckte. Zahlreiche kleinere Fragmente aus anderen alttestamentlichen Büchern sowie ein Kommentar zu den ersten beiden Kapiteln des Propheten Habakuk erhöhten noch dieses Interesse. Doch die zweifellos bedeutenderen Texte sind die neugefundenen Apokryphen, die die Vorstellung vom religiösen und geistigen Milieu desjenigen Judentums bereichern,- dem zwei bis vier Generationen später das Evangelium Christi verkündigt wurde. Zu diesen Apokryphen gehören ein Sektenkanon, der unter anderem die Aufnahmezeremonien der Novizen der Sekte, ihre Ordnung und Organisation, ihre Gesetze' sowie eine Abhandlung über den Dualismus von Gut und Bös in der menschlichen Natur beinhaltet. Auch der Habakuk - Kommentar ist als Apokryphon anzusprechen, da er die Worte des Propheten zeitgeschichtlich interpretiert und dadurch einen wichtigen Anhaltspunkt für die religionsgeschichtliche Einordnung der Sekte bietet. Von nicht minderer Bedeutung ist eine Sammlung apokrypher Psalmen, die aller Wahrscheinlichkeit nach Gebete sind, die von der zentralsten Persönlichkeit der Sekte, dem „Lehrer der Gerechtigkeit“, gesprochen wurden. Etwas weniger durchsichtig ist ein weiterer Text, der nach den ersten erhaltenen Worten „Krieg der Söhne des Lichts gegen die Söhne der Finsternis“ genannt wird. Eine weitere Rolle, die das apokryphe Lamech-Buch beinhalten soll, konnte infolge ihres brüchigen Erhaltungszustandes noch nicht entsprechend weit geöffnet werden und muß daher bis heute bei der Behandlung • der religionsgeschichtlichen Bedeutung der Sekte ausscheiden.

Die Höhle, in die die Texte in vorchristlicher Zeit gebracht wurden, wurde vor ihrer Entdeckung im Frühling 1947 aller Wahrscheinlichkeit nach bereits zweimal aufgesucht, wobei wesentliche Bestandteile ihres Inhalts weggeschafft wurden. Neben der homogenen Keramikmasse, die zirka dem Jahre 100. vor Christi angehört, wurden öllämpchen aus dem Beginn des 3. Jahrhunderts nach Christi in der Höhle gefunden. Aus zahlreichen Indizien, die die Erforscher der Höhle feststellen konnten, ist zu ersehen, daß 1947 nur mehr ein sehr kleiner Prozentsatz von den Texten vorhanden war, die seinerzeit dorthin geschafft wurden. Es liegt nahe, damit die Notiz in der Kirchengeschichte des Eusebius (VI/16) in Zusammenhang zu bringen, wonach der Spähergeist des Origenes Bibeltexte „aus irgendwelchen unbekannten Winkeln, wo sie lange Zeit verborgen lagen, ans Tageslicht gebracht hatte“. Diese unbekannten Winkel wurden im selben Zusammenhang von Eusebius mit der Umgebung von Jericho gleichgesetzt. Ferner geht aus einem syrischen Brief hervor, den um das Jahr 800 nach Christi der nestorianische Patriarch Timotheus I. an Sergius, den Metropoliten von Elam, schrieb, daß zu seiner Zeit ein arabischer Jäger im felsigen Bergland bei Jericho in einer Höhle eine große Anzahl alter hebräischer Handschriften gefunden und davon der jüdischen Gemeinde in Jerusalem Mitteilung gemacht hatte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung