Dem Virus auf der Spur - In der Krise zeigt sich der Stellenwert öffentlich finanzierter Wissenschaft besonders deutlich. - © Foto: iStock/HRAUN

Corona: Wissenschaft als Weltenretter

19451960198020002020

Die Kurve abflachen: Diese Maxime müsste auch für die Erderwärmung und Naturzerstörung gelten. Welche Lehren jetzt aus der Coronakrise zu ziehen sind. Ein Gastkommentar.

19451960198020002020

Die Kurve abflachen: Diese Maxime müsste auch für die Erderwärmung und Naturzerstörung gelten. Welche Lehren jetzt aus der Coronakrise zu ziehen sind. Ein Gastkommentar.

Werbung
Werbung
Werbung

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zählen plötzlich zu den gefragtesten Beratern von Poli­tik und Öffentlichkeit: Chris­tian Drosten (Deutschland), Anthony Fauci (USA) oder Niki Popper (Technische Universität Wien) sind derzeit in den Medien sehr präsent. Virologen, Epidemiologen und Mathematiker sind nur einige Beispiele für Forscher, die derzeit im Rampenlicht stehen und denen daher besonders viel Verantwortung zukommt. Viele von ihnen erklären klar und verständlich den Stand der Forschung, liefern belastbare Entscheidungsgrundlagen und forschen selbst im Hochbetrieb, um die Ursachen der Coronakrise zu verstehen und ihre Folgen abzumildern. Dass wir heute diese kompetenten Forschenden haben, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis jahrelanger Investitionen in die Spitzenforschung.

Jetzt in der Krise wird uns also die Bedeutung der öffentlich finanzierten Wissenschaft besonders bewusst. Die Bewältigung der globalen Coronakrise zeigt deutlich, dass eine unabhängige und qualitätsvolle Wissenschaft die zentrale Voraussetzung dafür ist, um existenzielle Krisen in den Griff zu bekommen. Für Politikerinnen und Politiker sind fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse die Basis von Entscheidungen, die das Leben von Millionen Menschen beeinflussen – und ­ganze Nationen setzen in der Bewältigung der derzeitigen Krise ihre Hoffnung auf das Wissen und die Innovationskraft kompetenter Forscherinnen und Forscher.

Steile Verläufe

In den letzten Wochen ist das Vertrauen in die Wissenschaft daher zu Recht sehr gestiegen. Zahlreich sind die Fragen, die nicht nur die Entscheidungsträger, sondern letztlich uns alle beschäftigen. Wie funktioniert das neue Virus? Wie lässt es sich bekämpfen? Welche Prognosen lassen sich treffen? Welche wirtschaftlichen, sozialen und rechtlichen Konsequenzen hat die Coronakrise? Was zählt, sind wissenschaftlich belastbare Fakten und Erkenntnisse. Ideologisch geprägte Meinungen und unbestätigte Nachrichten hingegen gefährden das Leben unzähliger Menschen. Denn wenn man jetzt nicht klug und mit Nachdruck handelt, dann wird der Preis, den wir alle zahlen müssen, noch weitaus höher sein.

Eine starke Wissenschaft erhöht die Widerstandsfähigkeit der Gesellschaft, um sich von den Folgen dieser und ähnlicher Krisen rasch erholen zu können.

Wir befinden uns im Wettlauf mit der Zeit, um die Pandemie einzudämmen und schlussendlich in den Griff zu kriegen. Dafür sind Politikerinnen und Politiker in aller Welt bereit, immense finanzielle Aufwendungen zu tätigen und der Bevölkerung große Entbehrungen abzuverlangen. Die Bereitschaft, solche Anstrengungen in Kauf zu nehmen, könnte beispielgebend für den Umgang mit noch deutlich größeren Herausforderungen sein. „Flatten the curve“ müsste auch als Leitsatz für die Erd­erwärmung und die Zerstörung der Natur gelten. Schließlich zeigen der Anstieg an Treibhausgasen, der Verlust natürlicher Ressourcen und der Rückgang der biologischen Vielfalt einen ähnlich steilen Verlauf wie die Ausbreitung von SARS-CoV-2-Viren. Die Bewältigung dieser Krisen wird nicht nur um ein Vielfaches herausfordernder sein als das Eindämmen der Corona-Pandemie, sie wird zudem Jahrzehnte und nicht nur Monate in Anspruch nehmen. Durch die Umweltzerstörung werden viele Menschengenerationen Verzicht und Not erdulden müssen, wenn wir jetzt zu lange warten.

Die Zerstörung der Umwelt und das Entstehen von Pandemien sind eng miteinander verbunden. Mehr als 70 Prozent aller Infektionskrankheiten werden durch so genannte Zoonosen verursacht, das bedeutet, Krankheitserreger werden von Wild- und Haustieren auf den Menschen übertragen (vgl. links). Zoonosen werden von der Abholzung des Regenwaldes, vom Klimawandel und vom Verlust der biologischen Vielfalt begünstigt, da die Umweltzerstörung die Übertragung der Erreger auf den Menschen erleichtert. Unsere Gesundheit ist also eng an einen nachhaltigen Umgang mit unserer Umwelt gekoppelt. Der „One-Health-Ansatz“ trägt dem Rechnung und bündelt disziplinen­übergreifendes Wissen und Handeln, um weg von sektoralen und hin zu integrierten Lösungen zu gelangen.

Wissen ist ein Gemeingut

Auch die Wissenschaft steht somit vor großen Herausforderungen. Sie befindet sich in einem tiefgreifenden Umbruch, der durch die Coronakrise beschleunigt wird. Es ist eindrucksvoll zu sehen, wie sich derzeit viele überwiegend öffentlich finanzierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit vernetzen, ­ihre Forschungskapazitäten bündeln, alle Daten teilen und vorläufige Forschungs­ergebnisse frei zur Verfügung stellen, um gemeinsam Lösungen zur Bewältigung der aktuellen Krise zu finden. Mehr denn je benötigen wir eine unabhängige und global vernetzte Wissenschaft sowie freien Zugang zu Daten, Informationen und Wissen.

Es ist zu hoffen, dass die derzeitige Solidarität zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – über die Grenzen zwischen Disziplinen, Institutionen und Ländern hinweg – auch langfristig Bestand hat. Denn eine starke Wissenschaft erhöht auch die Resilienz, also die Widerstands-fähigkeit der Gesellschaft, um sich von den Folgen dieser und ähnlicher Krisen wieder rasch erholen zu können. Deshalb darf es keine weitere „Privatisierung des Wissens“ geben, denn Wissen ist ein Gemeingut, welches allen offen zur Verfügung stehen muss, um seine Wirkung zum Wohle aller entfalten zu können. Auf dieser Basis ist eine freie und unabhängige Wissenschaft eine der zentralen Säulen einer aufgeklärten Demokratie.

Es ist abzusehen, dass die ­Coronakrise zu einer fundamentalen Transformation unserer Gesellschaft führen wird. Kein Stein wird auf dem anderen bleiben. Wir können uns jetzt noch gar nicht vorstellen, welche sozialen, politischen, ökonomischen und auch ökologischen Konsequenzen die derzeitige Krise haben wird. Ein wachsames Auge müssen wir natürlich auch darauf haben, dass die kurzfris­tigen Einschränkungen unserer Grundrechte nicht zum Dauerzustand werden. Besondere Bedeutung kommt dabei den bewährten rechtsstaatlichen Kontrollmechanismen zu.

Wollen wir hoffen, dass die Politik ihre große Verantwortung für die Bewältigung von Umweltkrisen ebenso engagiert wahrnimmt wie für die Eindämmung der aktuellen Pandemie – und dass die derzeitige Aufmerksamkeit und Wertschätzung für wissenschaftliche Erkenntnis dauerhaften Bestand hat. Denn wir können es uns einfach nicht leisten, bei Entscheidungen von immenser Tragweite auf das beste verfügbare Wissen zu verzichten. Wissenschaft ist schlicht und einfach die einzige verlässliche Basis, um die aktuellen und künftigen Herausforderungen zu bewältigen.

Der Autor ist Präsident des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung