Das Altern als GEMEINHEIT

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Bascha Mika betrachtet weibliches Älterwerden als "Mutprobe" - und wird dafür von Feministinnen geprügelt. Über den Körper als Kampfplatz.

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Bascha Mika betrachtet weibliches Älterwerden als "Mutprobe" - und wird dafür von Feministinnen geprügelt. Über den Körper als Kampfplatz.

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Man muss sich Sonja Kirchberger als glücklichen Menschen vorstellen. "Ich bin hier, ich freue mich des Lebens, und jedes Jahr, in dem ich älter werde, fühle ich mich noch einen Tick lebendiger", erklärt sie in der neuesten Ausgabe des österreichischen Playboy-Magazins. Als schlagenden Beweis dieser Lebendigkeit hat sich die gebürtige Wienerin, die 1988 im Erotik-Drama "Die Venusfalle" zum internationalen Männertraum avancierte, einmal mehr entblättert: Unter der rötlichen Sonne Namibias springt sie mit formstabilen Brüsten über die Dünen, räkelt ihre ansehnlichen Kurven im Wüstensand und präsentiert im Spaziergang mit einem gezähmten Geparden ihren tadellosen Hintern. Nicht weiter ungewöhnlich für dieses Zeitschriften-Genre - wenn da nicht ihr Alter wäre: 50 Jahre wird die zweifache Mutter im kommenden November, weshalb die Zurschaustellung ihres textilfreien Körpers zweifellos ein "Statement" sei: "Obwohl ich natürlich weiß, dass ich nicht mehr so aussehe wie vor 25 Jahren, fühle ich mich tausendmal mehr sexy", sagt sie im Interview.

"Am Strand sehe ich nicht so aus!"

Zu diesem grandiosen Körpergefühl kann man ihr nur gratulieren, wie auch zu den schmeichelhaften Fotos. Dass diese nur "mit Hilfe von gutem Make-up, gutem Styling, einem guten Fotografen und einer guten Retusche" so schön geworden sind, hat sie im Playboy nicht näher thematisiert. Erst ein paar Tage später sprach Kirchberger im ORF-Seitenblicke-Magazin Tacheles: "Das ist einfach ein Gesamtkunstwerk. Wenn ich am Strand herumlaufe, sehe ich nicht so aus."

Ein Satz von entwaffnender Offenheit, der in einer Welt voll faltenloser Stars durchaus Respekt verdient. Lieber werden "gute Gene","viel Disziplin" oder makrobiotische Ernährungsgewohnheiten als Quelle ewiger Jugend beschworen. Man kann das alles nur als mühsam empfinden - oder auch als "Verrat an den Zuschauerinnen", wie es Bascha Mika tut. "Wie soll denn die Alltagsfrau jenseits der 30 mit ihrem beginnenden Altersspuren leben können, wenn diese am öffentlichen weiblichen Körper systematisch eliminiert werden?" fragt die ehemalige Chefredakteurin der Berliner taz.

"Mutprobe" heißt das jüngste Opus der streitbaren Journalistin, die schon 1998 mit ihrer Alice-Schwarzer-Biografie und zuletzt 2011 mit "Die Feigheit der Frauen" für Diskussionen sorgte. Nun widmet sie sich jenem "höllischen Spiel mit dem Älterwerden", in dem Frauen bis heute gefangen seien. Die teils bizarren Bilder vermeintlich ewig junger Promi-Frauen - sei es die 49-jährige Sonja Kirchberger im Eva-Kostüm, sei es die 55-jährige Madonna Ciccone in Hotpants (s. o.) - seien nur die krassesten Auswüchse dieser infernalischen Dynamik.

Die gesellschaftlichen Vorgänge sind nach Bascha Mika ziemlich simpel: Anders als Männer würden Frauen nach wie vor besonders über ihren Körper definiert. Er sei ihr Kapital, müsse jung und fruchtbar sein, um dem Weiblichkeitsideal zu entsprechen. Verliert er diese Eigenschaften, verliert die Frau automatisch ihren Wert und ihre Identität, sie gerät privat wie beruflich ins Abseits, wird unsichtbar, verschwindet. Eine Kränkung, unter der Frauen umso stärker leiden, je wichtiger es ihnen war, von Männern beachtet und begehrt zu werden.

Frauen, die verschwinden

Der gemeine, alte Satz "Männer reifen, Frauen verwelken" gelte also im Grunde bis heute. Wobei die unterschiedliche Wahrnehmung des Älterwerdens von Frauen und Männern laut Bascha Mika nicht naturgegeben, sondern eine Frage sozialer Konventionen ist. Die zugrunde liegenden Mechanismen hat die US-amerikanische Publizistin Susan Sontag bereits 1972 in ihrem wegweisenden Essay "The Double Standard of Aging" beschrieben. Anders als der biologische Alterungsprozess, der mitsamt der Angst vor Hinfälligkeit und Tod eine universelle Konstante der menschlichen Existenz ist, sei das Älterwerden eine "soziale Pathologie", unter der Frauen wesentlich stärker leiden würden als Männer: etwa wenn sie schon bei ihrem 30. Geburtstag in Depression verfallen; wenn sie genau dann als sexuell attraktive Wesen disqualifiziert werden, sobald sie selber endlich "sexuell erwachsen" werden; oder wenn sie bei der Frage "Wie alt bist du?" die nackte Panik beschleicht, weil sie ihr Geburtsjahr wie ein "schmutziges Geheimnis" hüten (auf Englisch nachzulesen unter www.unz.org/Pub/SaturdayRev-1972sep23-00029).

Heute, 42 Jahre später, gilt Sontags Analyse für Bascha Mika im Kern noch immer - verschärft um die diversen Entwicklungen der Konsum-und Medienindustrie sowie der plastischen Chirurgie, die den weiblichen Körper immer mehr zum Kampfplatz machen. Es ist ein 320-seitiges Bild des weiblichen Jammers, das Mika in teilweise schnoddrigen Worten entwirft: von der Durchschnittsfrau, der plötzlich das Taxiertwerden durch Bauarbeiter fehlt, bis zur Fernsehmoderatorin, die irgendwann freiwillig vom Bildschirm verschwindet, weil sie das Gerede der Aufnahmetechniker von der nötigen "Schabrackenfolie" als Weichzeichner nicht mehr ertragen kann. Und was machen die Frauen? Statt sich dagegen aufzulehnen und ihr eigenes Bild vom Älterwerden zu "imaginieren", wie es Susan Sontag proklamierte, seien sie selbst "am doing aging beteiligt", klagt Mika. Dass die Frauen also mitspielen - indem sie sich und andere abwerten, ihr wahres Alter verschweigen oder sich unters Messer legen -, darin liege der "besonders perfide Dreh des höllischen Spiels". Das weibliche Älterwerden sei insofern eine permanente, aber unfreiwillige Mutprobe, so Mika. Einfach sei das nicht zu ändern, aber zumindest das Phänomen des doing aging gehöre endlich diskutiert.

Als künftige Chefredakteurin der Frankfurter Rundschau wird die 60-Jährige schon bald Gelegenheit haben, solche Debatten anzustoßen. (Dass sie durch ihren Karrieresprung quasi das lebende Gegenbeispiel ihrer These vom öffentlichen Verschwinden älterer Frauen ist, birgt einen gewissen Witz.) Mit ihrem Lamento über das Drama welkender, weiblicher Attraktivität hat sie sich freilich nicht nur Freunde gemacht - schon gar nicht unter den Feministinnen.

Probleme aus einem anderen Jahrhundert?

"Unerträglich" fand etwa die Frankfurter Journalistin und Bloggerin Antje Schrupp (antjeschrupp.com) diese "Mutprobe" - zumindest jene ersten hundert Seiten, die sie bewältigt hatte. Ob ihr Bauarbeiter hinterherpfeifen würden, sei ihr vollkommen egal. Sie habe auch "keine Angst davor, dass mich mein Mann wegen einer zwanzig Jahre Jüngeren verlässt, und wenn es trotzdem so kommen sollte, müsste ich mir höchstens Gedanken über die Parameter meiner Partnerwahl machen." Die symbolische Wende, die Mika einfordere, sei zudem längst passiert. "Ältere Frauen sind nicht mehr unsichtbar. Jedenfalls nicht im wirklichen Leben." Den Fernseher dürfe man natürlich nicht einschalten, da herrsche noch der kollektive Jugendzwang, doch der sei bitte kein Maßstab! Abgesehen davon würden jüngere Frauen oft noch stärker unter dem Druck leiden, einen "Normkörper" vorzuweisen, als ältere. Das Resümee der 50-Jährigen: "Die Probleme, über die Bascha Mika schreibt, stammen aus einem anderen Jahrhundert. Jedenfalls in meinem Universum."

Wie viele Frauen das Älterwerden genauso selbstbewusst erleben, ist die Frage. Die Mehrzahl feministischer Denkerinnen hat Antje Schrupp jedenfalls hinter sich. Auch die Schriftstellerin Sibylle Berg übt in ihrer Spiegel-online-Kolumne "Fragen Sie Frau Sibylle" ätzende Kritik: "Ja sicher, altern ist für Frauen, die Playboy-Model werden wollten, ein harter Stoff. Aber Männern, deren einziges Interesse darin besteht, Mister Universum zu werden, geht es genauso." Wäre Bascha Mikas Buch von Belang gewesen, hätte der Inhalt auch einfach so lauten können: "Eure Körper verrotten von Geburt an. Investiert in eure Hirne, sucht euch Dinge, für die ihr brennt. Arbeitet, liebt, dann übersteht ihr auch den Verfall - nicht unbedingt erfreut, aber doch auch nicht verzweifelt."

Ein tröstender Satz einer 52-Jährigen. Vielleicht wird ihn auch "Venusfalle" Sonja Kirchberger einmal brauchen können. Noch nicht jetzt, natürlich - aber spätestens dann, wenn die Retusche nicht mehr reicht.

MUTPROBE.

Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden.

Von Bascha Mika. Bertelsmann 2014,320 S., geb., € 18,50

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