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Das Element Germanium

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Wissenschaftliche Entdeckungen haben für ihre Zeitepoche nicht selten nur untergeordnete Bedeutung, weil die beschränkte technische Reife der Zeit ihre Auswertung noch nicht erkennt. Erst einer folgenden Generation gelingt es dann, die in ihnen schlummernden Möglichkeiten auszuschöp- fen. Ein solches Schicksal ist auch dem Element Germanium zuteil geworden. Es wurde schon vor über 60 Jahren entdeckt, aber erst ein genaueres Studium seiner physi- kalsichen Eigenschaften in allerjüngster Zeit hat den Anstoß zu einer bedeutsamen neuen Entwicklung auf dem Gebiet der Rundfunktechnik gegeben.

Die Entdeckung dieses Elements bietet ein interessantes Beispiel für den Erfolg verläßlicher analytischer Arbeit. Ein auf der Grube Himmelfüret bei Freiberg in Sachsen gefundenes Mineral wurde von dem Mineralogen W e i s b a c h als neue Spezies erkannt und wegen seines’ Silbergehaltes „Argyrodit" genannt. Der Chemiker der Grube, Clemens Winkler, fand bei mehrfach wiederholter Analyse dieses Minerals einen Fehlbetrag von einigen Prozenten. Dies ließ ihn vermuten, daß neben Schwefel und Silber noch ein unbekanntes, sich der normalen Analyse entziehendes Element vorhanden sein müsse.

Nach längerem Suchen gelang es ihm 1886, das Germanium als neues Element zu isolieren, das sich nach seinen Eigenschaften bald als das von Mendelejeff vorhergesagte Ekasizilium erwies. Die Auffindung des neuen Elements bedeutete vorerst nur einen doppelten wissenschaftlichen Erfolg. Einmal einen Triumph der chemisch-analytischen Arbeitsmethode und zum zweiten die augenfällige Bestätigung einer neuen Theorie. Lothar Meyer und Mendelejeff hatten nämlich unabhängig voneinander ein System der Elemente aufgestellt, dem die Annahme zugrunde lag, daß zwischen den chemischen Eigenschaften und den Atomgewichten der Elemente ein innerer Zusammenhang bestehe, der periodischer Natur ist. Aus den noch vorhandenen Lücken in diesem sogenannten „periodischen System der Elemente" schlossen die beiden Forscher nicht nur auf die Existenz unbekannter Elemente, sondern unternahmen auch auf Grund von Analogieschlüssen eine Vorherbestimmung ihrer chemischen und physikalischen Eigenschaften. Die Entdeckung des Germaniums war nun die erste glänzende Bestätigung einer solchen Voraussage, und die Übereinstimmung der gefundenen und vorausgesagten Eigenschaften war verblüffend.

Abgesehen ober von dieser rein wissenschaftlichen Bedeutung, wußte man mit dem Germanium lange Zeit nichts Rechtes anzufangen. Chemisch gesehen, bildet Germanium die Brücke von den Metallen zu den Nichtmetallen. Seiner elektrischen Eigenschaften wegen zählt man es zu den sogenannten Halbleitern.

Alle echten Metalle besitzen eine vorzügliche elektrische Leitfähigkeit, weil auf jedes Metallatom ein freies, das heißt nur locker gebundenes Elektron kommt, welches unter dem Einfluß eines elektrischen Feldes von Regionen negativer zu solchen positiver Spannung zu wandern imstande ist. Bekanntlich besteht der elektrische Strom in einer Wanderung solcher negativer Elementarpartikelchen, die Elektronen genannt werden.

Ein Halbleiter hingegen, wie das Germanium, verfügt wohl auch über freie Elektronen, aber nur über je eines auf ungefähr eine Million Atome. Diese Zahl und damit die Leitfähigkeit, kann allerdings durch äußere physikalische Einflüsse um das Tausendfache variiert werden zum Beispiel Lichteinstrahlung auf Photozellen, Anlegen eines elektrischen Feldes an eine Germaniumdiode, Temperaturänderungen bei Thermoselementen. Eine andere Eigentümlichkeit des Germaniums ist seine Fähigkeit, den elektrischen Strom nur in einer bestimmten Richtung zu leiten, das heißt, es bietet dem Stromdurchgang in dieser Richtung einen geringen, in der entgegengesetzten aber einen großen Widerstand. Derartige Substanzen nennt man Gleichrichter oder Detektoren. Wer erinnert sich nicht an jene einfachen Radiogeräte aus der Jugendzeit des Rundfunks, die mit Hilfe eben eines solchen Kristalldetektors die unhörbaren elektrischen Wellen des Senders in hörbare Schallwellen umzuwandeln imstande waren.

Die Kristalldetektoren und damit auch das Germanium wurden aber bald wieder auf einige Spezialverwendungegebiete zurückgedrängt, als dem Österreicher R o- bert v. Lieben und unabhängig davon dem Amerikaner Lee Forest die Erfindung der Gleichrichter- und Verstärkerelektronenröhre gelang. In schier atemberaubendem Tempo vollzog sich die Ausgestaltung dieser Erfindung. Immer komplizierter und kleiner, immer stromsparender und preiswerter wurden die Radio- i Öhren, und heute ist man bereits in der Lage, leistungsfähige Subminiaturröhren von nur halber Daumengroße serienmäßig herzustellen.

Vor einigen Monaten nun wurde die Öffentlichkeit durch die Mitteilung aus den „Bell Telephone Laboratories" überrascht, daß es, in Weiterentwicklung der Germaniumdiode Detektor zu einer Germaniumtriode, gelungen ist, ein auf ganz neuen Prinzipien beruhendes Gleichrichter- und Verstärkeraggregat herzustellen, von dem man erwarten kann, daß’ es sich in vielen Anwendungsgebieten der gebräuchlichen Elektronenröhre überlegen zeigen wird.

Dem neuen Aggregat hatte man den Namen „Transistor“ — eine Zusammensetzung aus Trans-fer und re-sistor — gegeben. Der Transistor ist noch kleiner als eine Subminiauurröhre und hat ungefähr die Stärke eines gewöhnlichen Bleistifts fünf Millimeter und die Höhe eines Daumennagels 16 Millimeter. Er besteht aus einem Metallgehäuse, an dessen unterer Basis ein Germaniumblock befestigt ist, und aus zwei Zuleitungsdrähten, die in Wolframdrahtspitzen auslaufen, die in einer gegenseitigen Entfernung von nur 0,05 Millimeter die Oberfläche des Germaniumblocks berühren. Der Transistor bedarf keines Vakuums, wie die Elektronenröhre, und benötigt zu seinem Betriebe auch keine Heizstromquelle wie jene. Seine Verwendungsmöglichkeit in Fernsehempfängern, Telephon- und Radiogeräten wurde mit gutem Erfolg bereits praktisch erprobt.

Die Arbeitsgruppe des Bell-Laboratoriums, die den Transistor entwickelt hat, gelangte auf Grund ihrer umfassenden Studien über die Halbleiter Silizium, Kupferoxyd und Germanium zu folgenden theoretischen Vorstellungen über die Arbeitsweise der Germaniumtriode Transistor.

Das Germanium, so konnte festgestellt werden, besitzt keine einheitliche elektrische Struktur, sondern besteht aus zwei Schichten, die sich elektrisch verschieden verhalten: einer inneren, die den Strom nach dem N-Typus leitet, und eine sehr dünne Oberflächenschichte vom P-Typus, welche das Eindringen eines äußeren Feldes in das Innere des Blockes verhindert. An der Grenze beider Schichten tritt die Gleichrichtersperrung auf. Diese Oberflächenschichte wird durch minimale Mengen von Verunreinigungen hervorgerufen.

Zum Verständnis des folgenden muß kurz nachgeholt werden, was unter der Bezeichnung N-Typ und P-Typ verstanden wird. Halbleiter vom NNegativ-Typus besitzen einen kleinen Überschuß an freien Elektronen. Sie leiten demnach den elektrischen Strom in der normalen Art, nur erheblich schlechter als ein reiner Leiter. Silizium, durch Spuren von Phosphor verunreinigt, ist so ein N-Typ, denn von den fünf Bindungselektronen des Phosphors können sich nur vier mit den vier Bindungselektronen des Siliziums absättigen, so daß ein schwachgebundenes Elektron übrig bleibt. Beim PPositiv-Typus liegen die Verhältnisse etwas komplizierter. In Halbleitern dieser Art herrscht ein Mangel an Elektronen. Der Stromfluß wird hier nicht durch freie Elektronen, sondern durch virtuelle, das heißt bloß gedachte, positive Einheitsladungen bewerkstelligt. Das hat man sich so vorzustellen: Ist Silizium durch geringe Mengen von Bor verunreinigt, so können sich die drei Bindungselektronen des Bors nur mit drei von den vier Bindungselektronen des Siliziums verbinden. Es wird daher sozusagen ein Loch in der Struktur des Siliziums entstehen. Unter dem Einfluß eines äußeren Feldes wird dieses Loch sofort durch ein Elektron eines der im Überschuß vorhandenen Nachbarsiliziumatome ausgefüllt werden, wobei es in diesem ein neuerliches Loch hinterläßt. Dieses wird gleichfalls wieder ausgefüllt werden usw. Das ursprüngliche Loch wandert also der normalen Stromrichtung entgegen von positiven zu negativen Zonen, als ob es aus einer positiven elektrischen Einheitsladung bestünde.

Wenn man nun diese Vorstellungen auf den Transistor überträgt, so kann man sich von seiner Arbeitsweise folgendes physikalisches Bild machen: die Energie eines elektrischen Signals, zum Beispiel einer Radiowelle, gelangt durch die Eingangselektrode, die durch eine Stromquelle geringer Spannung positiv geladen ist, auf die Germaniumoberfläche, die, wie wir wissen, ein P-Typ-Leiter ist. Von der Elektrode werden daher positive Einheitsladungen in alle Richtungen der Oberfläche wegspritzen, ohne aber in das Innere des Blocks eindringen zu können. Die Stärke dieses positiven Oberflächenstroms ändert sich proportional der Stärke der eintreffenden elektrischen Impulse. Die unmittelbar daneben befindliche, durch eine andere Stromquelle höherer Spannung negativ geladene Kollektorelektrode zieht diese positiven Ladungen begierig an, wodurch der an sich geringe Strom des Kollektorkreises wesentlich verstärkt wird, und zwar genau im Rhythmus der Stromschwankungen des Eingangskreises. Wir haben somit im Transistor eine Vorrichtung von verblüffend einfachem Aufbau vor uns, welche ähnlich einer Elektronenröhre die Gleichrichtung und Verstärkung von modulierten elektrischen Wellen gestattet.

Wenn man auch erst am Anfang einer neuen Entwicklung steht, so kann man doch heute schon mit einiger Wahrscheinlichkeit voraussagen, daß die mannigfachen Vorzüge dem Transistor in der Zukunft ein reiches Anwendungsgebiet sichern werden.

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