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Das Geheimnis des Lebendigen

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Die lebendigen Organismen der Pflanzen und Tiere fallen insbesondere dadurch auf, daß sie aus Baustoffen gebildet sind, die in der unbelebten, anorganischen Natur gar nicht vorkommen. Die unbelebte Natur hat keine Fette, Eiweisse, Kohlenhydrate und dergleichen. Diese hochkomplizierten und labilen Verbindungen lassen sich wohl künstlich, roh und näherungsweise im Laboratorium herstellen, aber eben immer nur unter der lenkenden Einflußnahme denkender Menschen. „Von selber“ bilden sie sich nicht, und zwar deshalb, weil sie nur unter Zufuhr von Energie entstehen können. Die chemischen Elemente fügen sich nur dann spontan zusammen (zum Beispiel Sauerstoff und Wasserstoff zu Wasser), wenn bei ihrer Verbindung Energie frei wird, genauer gesagt, wenn Arbeit geleistet wird (vant'Hoff). Man muß daraus schließen, daß in den lebendigen Organismen irgendwelche geheimnisvoll lenkenden Impulse wirksam sind, die den Verlauf der chemischen Reaktionen regulieren.

In jedem Tier und in jeder Pflanze laufen hunderte und tausende chemischer Prozesse gleichzeitig nebeneinander ab, ohne sich zu verwirren und ohne den eindeutigen und geschlossenen Plan zu stören, nach dem jedes lebendige Atomgebilde gebaut und angelegt ist. Über aller Vielfalt der Vorgänge herrscht ein Plan, der für jede Gattung und jede Art genau feststeht. Es geschieht immer das, was zu seiner Zeit und an seinem Ort planvoll ist.

Um diese Pläne ins Werk zu setzen, bedient sich die Natur eines Kunstgriffes. Sie sendet Impulse aus, welche den Ablauf der chemischen Reaktionen lenkend beeinflussen und dirigieren. Welcher Art sind diese Impulse und woher kommen sie?

Diese Impulse sind zunächst stofflicher Art, sie sind sogenannte Katalysatoren. Im Jahre 1823 entdeckte Döbereiner die überraschende Tatsache, daß Platinschwamm durch seine bloße Gegenwart in einem Wasserstoff-Sauerstoff-Gemisch Entzündung auslöst. Ähnliche Entdeckungen folgten. Die Gegenwart der Diastase in Stärke bewirkt deren Übergang in Zucker, die Gegenwart von Nickel in einem Kohlenstoff-Wasserstoff-Gemisch dessen Übergang in Methan und so weiter. Man hat für diese Erscheinungen den Namen Katalyse geprägt.

Wesentlich füf die Katalyse ist, daß die Gegenwart eines Körpers (Katalysator) eine chemische Reaktion hervorrufen kann, welche ohne seine Gegenwart nicht stattgefunden hätte. Der Katalysator ändert dabei seine Beschaffenheit nicht, er ist am Ende der Reaktion derselbe wie zu Beginn. Dabei haben verschiedene Katalysatoren verschiedene spezifische Wirkungen.

Im biologischen Geschehen spieen Katalysatoren eine richtunggebende Rolle, so die Enzyme (Lipasen, Proteasen, Atmungs-fermente und andere), ferner die Hormone und Vitamine. Freilich, auch die Herstellung der Hormone erfordert ihrerseits wieder lenkende Impulse. Wo nehmen diese ihren Ursprung?

Die Vermutung, daß die lenkenden Impulse des Lebendigen von einem kleinsten Räume ausgehen, von t einem Steuerungszentrum im Organismus, ist experimentell bestätigt worden (P. Jordan). Werden Kolibakterien, winzige, zylindrische Zellen von 0.002 Millimeter Länge, mit ultravioletten Strahlen belichtet, so .sterben sie ab; aber nicht so, daß sie zunächst beschädigt würden, krank wären und dann allmählich zugrunde gingen, vielmehr sterben einzelne Zellen sofort nach Beginn der Bestrahlung plötzlich ab, während die übrigen unbeeinträchtigt weiterleben. Bei längerer Bestrahlungsdauer nimmt die Zahl der plötzlich abgetöteten Zellen immer mehr zu, der gesunde Rest aber nimmt ab. Die Zahl der abgetöteten Zellen ist bei konstanter Strahlungsintensität der Bestrahlungsdauer direkt und einfach proportional, zum Beispiel lebt nach 10 Sekunden noch die Hälfte der Bakterien, nach 20 Sekunden noch ein Viertel der Bakterien, nach 30 Sekunden noch ein Achtel der Bakterien.

Daraus folgt: Nicht jedes Lichtquant, das den Bazillenleib trifft und in ihm steckenbleibt, tötet ihn auch. Werden ja doch in' zehn Sekunden Millionen Lichtquantengeschosse ausgeschleudert, trotzdem bleibt die Hälfte der Organismen völlig gesund. Ein Lichtquant kann aber wegen seiner Kleinheit zunächst nicht mehr bewirken als die chemische Veränderung eines einzigen Moleküls im Bazillus.

„Diese Tatsache, daß ein einzelnes, den Bazillus treffendes ultraviolettes Lichtquant entweder überhaupt keine merkbare Störung seiner Lebensfunktion veranlaßt, oder aber tötet, zeigt uns, daß das .Steuerungszentrum' dieser Zelle von mikrophysikalischer Feinheit ist.“ (P. Jordan.)

Das Leben besitzt in seinen kleinsten Strukturen den höchsten Feinheitsgrad, den es im Gewände der Materie annehmen kann. Der Organismus wird von einem Zentrum kleinster Ausdehnung aus durch mikrophysikalische Einzelakte gesteuert. Er ist also keine Maschine. Erst die Weiterleitung der Steuerungsakte, gleichsam der Vollzug der Befehle, erfolgt durch Mechanismen und Chemismen, wobei katalytische Wirkungen kleinster Substanzmengen (Hormone, Enzyme und dergleichen) eine bedeutende Rolle spielen. Von Wirkstoffen arbeitet oft nur ein einziges Molekül. In der lebenden Zelle finden sich Vorrichtungen, die mikrophysikalische Einzelakte zu makrophysikalischer Wirkung verstärken QVerstärkertheorie“).

Die entscheidende Frage ist nun die: Ist der Ursprung der lenkenden Impulse selbst noch materieller Natur oder ist er etwas Transmaterielles, wie der Vitalismus es lehrt? Nach Woltereck kommen die lenkenden Impulse aus einem „unräumlichen Innen“. Ist hier der Ort, wo die Entelechie als nichtmaterieller Lebensträger in das physikalisch-chemische Ge:chehen eingreift?

Der schwerwiegendste Einwand, der gegen den Vitalismus bisher stets erhoben worden ist, lautete etwa so: Wie kann eine Entelechie — die doch etwas Nichtmaterielles, also wohl auch etwas Energieloses sein soll — in das materielle Geschehen lenkend und gestaltend eingreifen? Die physikalisch-chemischen Ereignisse sind doch eine ununterbrochene Kette aus Ursache und Wirkung; und zwar erscheint jede Wirkung durch ihre Ursache streng und eindeutig bestimmt. Hier ist ja für das Eingreifen einer Entelechie gar kein Platz, sie ist überflüssig. Wie könnte sie etwas eindeutig Bestimmtes noch einmal bestimmen, sozusagen überbestimmen? Das Wirken einer Entelechie wäre nur denkbar, wenn die Ursachenkette Unterbrechungen aufwiese. Man müßte annehmen, daß die streng geschlossene Reihe aus Ursache und Wirkung in der körperhaften Welt da und dort Lücken hätte, daß es also physikalischchemische Ereignisse gäbe, die nicht eindeutig aus ihren Ursachen folgen.

So etwa lautete der Einwand, der das Vitalismusproblem in seiner vollen Schärfe sichtbar macht. Driesch, der geniale Begründer des neueren Vitalismus, hat mehrfach versucht, hier eine Lösung zu finden, doch ohne durchschlagenden Erfolg. In einer überraschenden und unerwarteten Weise hat nunmehr die neueste Entwicklung der Quantenphysik in diesen Problemkreis Licht gebracht. Seit etwa 20 Jahren weiß man, daß die streng determinierte Kausalität im subatomaren Geschehen nicht gilt, zum mindesten aber, daß ihre Gültigkeit nicht bewiesen werden kann. Damit ist der stärkste Einwand gegen den Vitalismus zu Fall gekommen. Es ist keineswegs widersinnig, zu behaupten, daß im mikrophysikalischen Raum des Steuerungszentrums entelechiale Mächte; transmaterielle, planvoll wirkende Natuifaktoren das Leben der Zellen bestimmen. Das Geheimnis des Lebendigen ist dadurdi freilich nicht enthüllt, aber es erscheint in einem ganz anderen Licht.

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