Das Gen des Künstlers

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Der "Zimmermann-Test" macht's möglich: der Gen-Test gibt Auskunft darüber, wer Künstler ist und wer nicht.Zum Glück ist das nicht Wirklichkeit, sondern "nur" ein Roman.

Was soll Kunst und wer darf sich Künstler nennen? Die Diskussion über Kunst hat scheinbar immer Saison, so wie die künstlerischen Skandale bloß die Spitze dieses Eisbergs darstellen. Und die Titantic der öffentlichen Meinung steuert diesen mit masochistischer Zielsicherheit immer wieder an. Wenn Kunst schon ein Luxus ist, dann ist die Diskussion über Kunst der Kaviar auf den Häppchen, die auf dem Theater, in der Literatur, in den Zeitungen Anklang finden. Mehr als ein Happen ist Nikos Panajotopoulos Erstlingswerk "Die Erfindung des Zweifels".

Was ist Kunst?

In der Geografie von Kunst und Alltag sind der Zweifel und die Fragen die markantesten, weithin sichtbaren Erscheinungen. Sind wir nicht mehr damit beschäftigt, über Kunst zu lesen und über Aufführungen zu hören, als uns dem Erlebnis und dem Unbekannten selbst zu stellen? Angesichts der vielen offenen Fragen in Bezug auf Kunst wünscht sich der Normalverbraucher ein Zertifikat, das ihm verbrieft, was es sich lohnt anzusehen.

Das sind die weiten Grenzen, die die unübersichtliche Landschaft markieren, in der Panajotopoulos seinen Roman angesiedelt hat. Der Künstler James Wright liegt in einem Spital im Sterben, wir befinden uns im Jahr 2064 und über die Echtheit von künstlerischer Qualität gibt es längst keinen Zweifel mehr, da ein Einzelgänger namens Zimmermann, den nach ihm benannten Test erfunden und das Gen des Künstlers gefunden hat.

Verlage, Filmfirmen und Galerien haben es nun leicht, ein Gen-Test genügt und alles ist klar. Wer bringt's und wer ist zum Scheitern verurteilt?

Dünn sind jedoch danach die Verlagsprospekte und rar die Ausstellungen. Die Künstler werden bereits verpflichtet, wenn sie noch Säuglinge sind. Der Zimmermann-Test macht's möglich.

Der Schriftsteller Wright ist am Beginn des Textes an dem Punkt angelangt, wo er nichts mehr ändern kann. "Nichts kann ich ändern. Es ist zu spät, so spät, dass mir meine Dummheit - hoffentlich die letzte in meinem Leben - ganz und gar unverständlich erscheint."

Wright hat den Test verweigert oder genauer gesagt, er hat den Test gemacht, aber das Testergebnis am Ende seines Lebens auf dem Nachttisch seines Krankenbettes liegen ohne das Kuvert geöffnet zu haben. "Meine Seele weiß, wie gern ich es erfahren möchte, um den Schatten des Zweifels zu verscheuchen. Aber ich habe widerstanden. Und jetzt, einen Schritt vor dem Ende, bin ich nicht einmal sicher, ob ich das bereuen soll."

James Wright hatte Erfolg und Millionenauflagen, aber nach drei Büchern folgte die Krise. Zu dieser Zeit wurde auch der Zimmermann-Test eingeführt und wer sich weigerte, konnte sich zwar der Organisation Artis Anonymous anschließen, aber mit einer Publikation war nicht mehr zu rechnen. Wer liest schon etwas, das nicht mit dem Zertifikat ausgestattet ist?

Das bedeutet ein Leben im Untergrund in kleinen Zirkeln. Da es aber laut Zimmermann-Gentest zu wenige Literaten gibt und die Ausgewählten daher nicht genug schreiben können, verpflichten große Verlage Ghostwriter. James Wright wird einer davon und hat so viel Erfolg, dass er seinem "Original" unheimlich wird und dieses dementsprechend auch seinen Abgang fordert.

Keine Antwort

Nach dem Tod von Wright wird mit seinem literarischen Testament der Zimmermann-Test ad absurdum geführt und die Welt findet sich wieder "unverhofft in der Epoche des fruchtbaren Zweifels und der kritischen Haltung dem Kunstwerk gegenüber". Der Zweifel regiert wieder, was sehr beruhigend ist.

Der Sciencefiction-Charakter des Buches, mit diversen Anmerkungen zu Literaten, ist vielleicht nicht jedermanns Sache. Die Struktur des Romans ist aber so angelegt, dass nicht nur gelesen, sondern auch gedacht und gegrübelt werden darf. Die Passagen, in denen Wright als Lohnschreiber im Verborgenen an einem Bestseller arbeitet, sind packend und eine Liebeserklärung nicht nur an den Zweifel, sondern auch an das Wort und das Erfinden von Geschichten.

Die Erfindung des Zweifels

Roman von Nikos Panajotopoulos

Übertragen von Ulf-Dieter Klemm

Reclam Verlag, Leipzig 2002

184 Seiten, geb., e 8,40

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