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Das Gift der Herbstzeitlose

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In den Samen und Blättern unserer Herbstzeitlose — Colchicum autumnale — findet sich ein Alkaloid, das seit eh und je seiner Giftigkeit wegen nicht nur gefürchtet, sondern auch seit Jahrtausenden als Droge zur Behandlung der Gicht verwendet wurde. Die Gabe von 0,5 bis 1 Milligramm Colchicin ist bei Gicht von ausgezeichneter Wirkung, doch genügen beispielsweise 20 Milligramm, um beim Menschen den Tod herbeizuführen.

In den letzten Jahren erregte das Colchicin bei Experimenten in der Botanik in hohem Maße das Interesse der Forscher. Besonders wurde die Wirkung dieser Substanz auf die Zelle studiert, wobei sehr eigenartige Ergebnisse zutage traten, zu deren Erklärung ein näheres Eingehen auf die Vorgänge bei der Zellteilung notwendig ist. Zellen können nicht aus ihren Bestandteilen neu aufgebaut werden, sie entstehen nur durch Teilung oder Verschmelzung bereits vorhandener — omnis cellulae e cellula! Der Teilung der Zelle — die im wesentlichen aus Protoplasma und Kern besteht — geht immer die des Kerns voraus, wobei zwei grundsätzlich verschiedene Arten beobachtet werden: direkte Zellteilung oder Amitose, ein Vorgang, bei dem sich der Kern mehr und mehr einschnürt, schließlich der Verbindungsfaden abreißt, die Teilstücke auseinanderfallen und zwei neue Individuen vorhanden sind. Weitaus häufiger tritt jedoch indirekte Teilung — Mitose — ein. Wenn es zur Mitose kommt, löst sich die Substanz des Kerns in fadenförmige Gebilde, die sogenannten Chromosomen, die noch kleine Körnchen beinhalten, auf. Im Laufe dieser Teilung wandern sie gegen die Pole des Zellkerns, wo es zur Bildung von Tochterkernen kommt. Wie bekannt, sind die Chromosomen Träger der Erbmasse. Man nimmt an, daß in dem Faden, der noch ein Körnchen (Chromomer) trägt, die Gene als wirksame Erbfaktoren enthalten sind. Bei Mitose entstehen durch Teilung jedes einzelnen Chromosoms neue Individuen mit der gleichen Anzahl von Chromosomen. Früher galt diese Zahl für jede Spezies als unveränderlich. Erst 1905 wurde erstmals vermehrte Chromosomenzahl — Polyploidie — festgestellt. Dabei traten stets ganzzahlige Vielfache der ursprünglichen Zahl auf. Diese Tatsache findet ihre Erklärung darin, daß in Teilung befindliche Kerne wieder verschmelzen können. Viele ertragreiche Kulturpflanzen und großblumige Gewächse erwiesen sich seither als polyploid gegenüber den verwandten Wildrassen. Die praktische Bedeutung dieser Erscheinung für Landwirtschaft und Gärtnerei ist enorm, um so bedauerlicher ist es jedoch, daß bis vor kurzem die Entstehung polyploider Formen dem Zufall überlassen blieb. Dieses spontane Auftreten neuer Arten, das auf einer Veränderung des Erbgutes beruht — Mutation —, ist der Wissenschaft schon seit langem bekannt. Natürliche Mutation ist allerdings relativ selten. Mit Hilfe von Röntgen- und Radiumbestrahlung gelang es nun auch, künstliche Mutationen zu erzeugen, die allerdings zum Großteil pathologisches Gepräge tragen. Als schonendere Mittel erwiesen sich Frost, Hitze und vor allem Chemikalien.

Erst seit einigen Jahrzehnten ist man imstande, auch künstlich Polyploidie hervorzurufen; der Genetiker bedient sich zu seinen Versuchen vor allem des Col-chicins. Er läßt entweder eine Lösung dieses Stoffes auf keimende Samen einwirken, oder er legt ein damit getränktes Wattebäuschchen auf die durch Entblättern freigelegten Vegetationspunkte, die Stellen, an denen Zellteilung eintritt. Die dadurch hervorgerufene erbechte Polyploidie, bei der die .Chromosomenzahl auf das 20- bis 30fache steigt, bewirkt bei Pflanzen, zum Beispiel Tomaten und Hyazinthen, doppelte bis dreifache Größe. Daraus ergeben sich für die Pflanzenzucht neue Aussichten, die in ihrer Bedeutung noch kaum abzuschätzen sind. Versuche, die an Weizen, Reis, Tabak und Baumwolle durchgeführt wurden, verliefen überaus befriedigend. Allerdings lassen die künstlichen Polyploiden vorläufig noch die Vitalitätssteigerung vermissen, die viele natürliche Poly-ploidrassen auszeichnet. Es kann jedoch mit großer Sicherheit gesagt werden, daß es in absehbarer Zeit gelingen wird, diese Unterlegenheit auszuschalten.

Im Rahmen der Penicillinforschung wurde vor einigen Jahren festgestellt, daß auch bei Schimmelpilzen Colchicin-wirkung besteht. Diese Erkenntnis ist von enormer praktischer Bedeutung, denn erst dadurch wurde die Penicillinerzeugung in großtechnischem Maß ermöglicht. Durch Zusatz einer Colchicinlösung gelang es nämlich, die Ausbeute auf das Acht- bis Zehnfache zu steigern.

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