Amazonas - © Foto: iStock/Vonkara1

Das Halbe-Welt-Projekt: 50 Prozent für die Natur

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Die Coronakrise ist ein Weckruf an die Menschheit: Immer mehr Forscher warnen, dass Pandemien bei fortschreitender Naturzerstörung häufiger werden. Die Ausweitung von Schutzgebieten hat daher höchste Priorität. Eine hehre Vision dafür gibt es bereits.

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Die Coronakrise ist ein Weckruf an die Menschheit: Immer mehr Forscher warnen, dass Pandemien bei fortschreitender Naturzerstörung häufiger werden. Die Ausweitung von Schutzgebieten hat daher höchste Priorität. Eine hehre Vision dafür gibt es bereits.

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Viele meiner besten Kindheitserinnerungen drehen sich um den Millstätter See. Meine Oma lebte am Südufer des Sees, und ich verbrachte jeden Sommer mehrere Wochen schwimmend und wandernd in Kärnten. Seeboden, am Nordufer, war damals in den 1970/80er Jahren, dem goldenen Zeitalter des Kärntner Tourismus, zwar nicht urban, aber dicht besiedelt, und zwischen Pensionen, Strandcafés und Forellenrestaurants tummelten sich Einheimische sowie meist deutsche und holländische Gäste. Das nördliche Seeufer war nie ungemütlich dicht besiedelt, aber man war sicher nicht in der unberührten Natur. Beim Schwimmen im See musste ich schon aufpassen, nicht mit einem aufblasbaren deutschen Seegefährt zu kollidieren.

Ganz anders sah es am Südufer des Sees aus, der sogenannten Schattseite. Dort war bis auf ein Restaurant und ein paar Bauernhöfe nur Wald zu sehen, und bis auf ein paar sportliche Ruderer und Wanderer traf ich kaum auf andere Menschen. Die Schattseite war nicht gut an das Straßennetz angeschlossen und im Winter aufgrund der Lage kalt. Durch diese naturgegebene Rauheit der Schattseite und einen durchdachten Raumordnungsplan (die Gründe dort gehören vor allem den umliegenden Gemeinden) war der Millstätter See also in einen Teil für Menschen und einen Teil für die Natur aufgeteilt. Seit damals wurden am dem See-Ende zugewandten Teil der Schattseite einige Privathäuser errichtet, aber im Großen und Ganzen wurde die Teilung des Seeufers in Abschnitte für Natur und Menschen bewahrt. Wenn das in Kärnten so gut funktioniert, warum sollte man so eine Aufteilung nicht weltweit und im großen Maßstab einführen – und die Hälfte aller Länder und Kontinente der Natur zum freien Gedeihen zur Verfügung stellen?

Netzwerk der Arten

Genau diese Idee vertritt der prominente amerikanische Biologe Edward O. Wilson. Der heute 91-Jährige ist eine Koryphäe der Erforschung sozialer Insekten wie der Ameisen – und ein ökologisch engagierter Forscher, der vor einigen Jahren das Halbe-Welt-Projekt ins Leben gerufen hat. Das Anliegen dieses Projekts wird so zusammengefasst: „Mit einer wissenschaftlichen Basis und moralischen Verantwortung für alles nicht-menschliche Leben daran zu arbeiten, das halbe Land und die halben Meere zu schützen, um die Biodiversität dieser Habitate zu bewahren. Diese Biodiversität hat Wert an sich, und für das Überleben der Menschheit.“

Seit der Coronakrise warnt der UN-Biodiversitätsrat, dass auch die Wahrscheinlichkeit von Pandemien mit fortschreitender Naturzerstörung zunimmt. Und immer mehr Forscher fordern eine Ausweitung von Naturschutzgebieten: Um das Artensterben zu stoppen, müsste unter anderem der Anteil von Schutzgebieten an der globalen Landfläche bis 2050 auf 40 Prozent erhöht werden, ergab etwa eine letztjährige Studie in der Fachzeitschrift Nature. Zudem müssten erodierte oder sonst beeinträchtigte Bodenflächen großflächig aufgeforstet und renaturiert werden. Die internationale „High Ambition Coalition for Nature and People“ setzt sich nun für eine globale Vereinbarung ein, durch die bis 2030 mindestens 30 Prozent der Landund Meeresflächen unter Schutz gestellt werden sollen.

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