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Das schwere Wasser

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Obwohl atomtheoretische Begriffe durch Presse und Rundfunk immer populärer werden, ist für ein wirkliches Verständnis die Kenntnis der exakten Grundtatsachen unerläßlich. Dies gilt wohl auch für den Fall des „schweren“ Wassers, eines Schlagwortes, das heute zwar oft genannt, aber sicherlich nur selten mit den richtigen Vorstellungen verbunden wird.

Sie ergeben sich hier aus der Betrachtung des Atombaues der das Wasser aufbauenden Elemente Wasserstoff und Sauerstoff. Das Wasserstoffatom besteht normalerweise aus einem positiv geladenen Kern mit der Masse 1, dem Proton, und einem Hüllelektron; es hat sich nun ganz allgemein gezeigt, daß durch den Einbau elektrisch neutraler, dem Proton maßengleicher Bestandteile in den Atomkern die chemischen Eigenschaften der Elemente gar nicht und die physikalischen nur unwesentlich geändert werden. Diese durch Aufnahme der „Neutronen“ entstandenen neuen Atome erweisen sich als nur geringfügig variierte Modifikationen des ursprünglichen Körpers: sie sind chemisch völlig identisch, so daß ihnen — man nennt sie „Isotope“ — daher auch der gleiche Platz im periodischen System der Elemente zukommt.

Im Jahre 1932 entdeckte Urey ein Wasserstoffisotop, das außer dem Proton noch ein Neutron enthielt, wodurch das Atomgewicht dieser Wasserstoffart doppelt so groß ist als jenes des gewöhnlichen Elements, und auch eine Spielart mit einem Proton und zwei Neutronen wurde bekannt. Ähnlich steht es mit dem Sauerstoffatom, welches normalerweise 16 Kernbestandteile, „Nukleonen“, enthält — und zwar 8 Protonen und 8 Neutronen —, das aber auch durch ein Mehr von einem beziehungsweise zwei Neutronen Isotope vom Atomgewicht 17 und 18 bildet.

Die Häufigkeit des Auftretens dieser Isotope ist allerdings sehr verschieden: sie beträgt für den .gewöhnlichen“ Sauerstoff 99,76%, für das Isotop 17 nur 0,04% und 0,20% für das Isotop 18; analog überwiegt in der Natur bei weitem der „gewöhnliche“ Wasserstoff, das „Pro-tium“, mit 99,986%, während der als „schwer“ bezeichnete Wasserstoff, .Deuterium' oder auch .Diplogen“ genannt, mit dem Atomgewicht 2, nur etwa 0,014% ausmacht; eine dritte Variation, mit dem Atomgewicht 3, das „Triterium“ oder „Tritium“, wurde bei Atomkernreaktionen beobachtet.

Da im Wasser eine Verbindung von Wasserstoff und Sauerstoff vorliegt, ergibt sich die bemerkenswerte Tatsache, daß es so viele .Wasserarten“ gibt, als man die verschiedenen Isotopen von Sauerstoff und Wasserstoff miteinander kombinieren kann: so erkannte man unser gewöhnliches Wasser als ein kompliziertes Gemisch von neun verschiedenen Molekülarten, unter denen allerdings die Kombination .Wasserstoffisotop 1“ mit .Sauerstoffisotop 16“ mit einer Häufigkeit von 99,76% weitaus überwiegt! andere Möglichkeiten sind: „Wasserstoffisotop 1“ mit .Sauerstoff 17“ beziehungsweise mit .Sauerstoff 18“ — ein ebenfalls „schweres“ Wasser, dessen Herstellung aber noch außerordentliche Schwierigkeiten bereitet: so erreichte Urey 1937 durch tagelange fraktionierte Destillation in 107 Meter hohen Kolonnenapparaten eine Ausbeute von nur 0,85% 1 Als weitere Kombinationen sind zu nennen: „Wasserstoff 1“ und Wasserstoff 2“ mit „Sauerstoff 16“ beziehungsweise 17 und 18, vor allem aber das „schwere“ Wasser, das aus 2 „schweren“ Wasserstoffatomen und einem „gewöhnlichen „Sauerstoffatom 16“ besteht.

Dieses Deuteriumoxyd, D O, zeigt nun eine Reihe von Eigenschaften, die es vom gewöhnlichen Wasser wesentlich unterscheiden. Schon bei der Darstellung des schweren Wassers kommt dies zum Ausdruck. Lewis beobachtete 1933, daß bei der Elektrolyse gewöhnlichen Wassers vornehmlich der „leichte“ Wasserstoff entwich, so daß eine Anreicherung an schwerem Wasser eintrat: es gelang ihm, aus 20 Liter Wasser 0,2 cm3 fast reines, schweres Wasser herzustellen. In der Natur ist dasselbe an sich weit verbreitet: jedes Wasser enthält mehr oder weniger Anteile davon, am wenigsten das Regen- und Schneewasser, bedeutend mehr das Meerwasser und das in Pflanzen und Tieren sich findende Wasser, während das Tote Meer einen maximalen Ds O-Gehalt aufweist. Im allgemeinen kommen 7000 Moleküle gewöhnlichen Wassers auf ein Molekül schweren Wassers, ein Verhältnis, das man beispielsweise in einer Akkumulatorenbatterie, die sechs bis zehn Jahre in Betrieb war, auf 1 :3000 erhöht fand. Auch durch Sublimation von Schnee und Eis kann eine Anreicherung von Ds O erfolgen. Die gebräuchlichste technische Herstellungsmethode ist jedoch die schon erwähnte Elektrolyse von gewöhnlichem Wasser, ein Verfahren, welches den Forschungslaboratorien das wichtige und interessante Präparat in ausreichender Menge, allerdings zu noch ziemlich hohem Preis, zur Verfügung stellt.

Die makrophysikalischen und chemischen Eigenschaften des schweren Wassers sind von denen des gewöhnlichen Wassers merklich verschieden: sein spezifisches Gewicht ist um etwa 10% größer, der Siedepunkt beträgt 101,42 C, es gefriert bei + 3,82“, hat sein Dichtemaximum nicht bei 4, sondern bei 11,6C; weiter lösen sich die meisten Salze in Da O schwerer — so zeigt zum Beispiel Kochsalz bei 25 C eine um 16% geringere Löslichkeit —, die Reaktionsgeschwindigkeit ist geringer, ebenso die Leitfähigkeit; andererseits wird Rohrzucker vom Ion des schweren Wasserstoffs, dem „Deuton“ — auch „Deuteron“ und „Diplon“ genannt — viel schneller gespalten usw.

Sehr interessant ist auch das biochemische Verhalten des schweren Wassers: die Assimilation von grünen Algen, die Atmung der Hefe und die Gärung der Glukose wird auf etwa die Hälfte vermindert, Tabaksamen, Erbsen usw. verlieren ihre Keimfähigkeit, das Wachstum wird eingeschränkt und die Lebensdauer verkürzt; ebenso wirkt schweres Wasser lebhaft auf Protozoen und Flachwürmer. Kaulquappen und kleine Fische gehen in etlichen Stunden ein und Mäuse verenden in wenigen Tagen, wenn man einen erheblichen Teil ihres Trinkwassers durch D O ersetzt. Es ist also durchaus berechtigt, in gewisser Hinsicht von einer toxischen Wirkung des schweren Wassers zu sprechen: ob allerdings diese Giftwirkung eine spezifische ist oder nur durch die langsamere Aufnahme des

Ü2 O durch die Zellwände bedingt ist, steht noch zur Diskussion — es ist jedoch sicher, daß reines schweres Wasser nicht imstande wäre, das Leben zu erhalten.

Entsprechend dem bemerkenswerten Verhalten des schweren Wasserstoffes und seines Oxyds sind auch die Anwendungsbereiche weit gesteckt: viele physikalische, chemische, biologische und medizinische Probleme können damit in Angriff genommen werden — es soll hier nur die Anwendung des Deuteriums als Indikator bei Stoffwechselstudien sowie die Möglichkeit der Herstellung von anderen Verbindungen mit schwerem Wasserstoff angedeutet werden, die etwa zu „schwerem“ Ammoniak, NDs, zu „schwerer“ Blausäure, - D C N, zu „schwerer“ Schwefelsäure, Da SO4, und zu der großen Mannigfaltigkeit „deuterierter“ organischer Verbindungen und damit zu interessanten neuen Fragestellungen und Aspekten führt.

Besonders bedeutungsvoll aber sind die Erkenntnisse, welche die Atomforschung gewonnen hat: eine allerdings sehr fragwürdige „Bereicherung“ in dieser Richtung stellt die Konstruktion der Atombombe dar, in welcher das schwere Wasser als Bremsmittel, „Moderator“, für rasche Neutronen verwendet wird, und als „dernier cri“ der modernen Massenvernichtung ist die „Super-Atombombe“, auch „Wasserstoffatombombe“ genannt, zu bezeichnen, welche eine Verstärkung der ursprünglichen, nunmehr als eine Art „Ziindkapser'wirkenden Atombombe darstellt, und darauf beruht, daß durch die bei der Explosion einer „gewöhnlichen“, zusätzlich noch mit einem Mantel von schwerem Wasser umgebenen Atombombe frei werdenden immensen Energien mit Temperaturäußerungen von Milliarden von Graden weitere Kettenreaktionen im D2 O ausgelöst werden, bei denen es zunächst zur Erzeugung von schweren Wasserstoffkernen und hierauf durch Zusammenstoß dieser Deutonen zur Bildung von Triterium kommt, wobei noch tausendfach höhere Energiebeträge frei werden.

Voll Bewunderung stehen wir vor diesen Leistungen der modernen Atomchemie, aber mit ebenso großem Bangen sehen wir der weiteren Entwicklung entgegen — wir wollen aber hoffen, daß der Mensch doch einmal dazu gelangt, den Krieg als die Äußerung eines atavistischen Masseninstinkts zu erkennen, zu verabscheuen und zu ächten!

„Denn dann erst würde er“ — um ein schönes Wort des Innsbrucker Physikers Arthur March zu zitieren — „endlich aus eigenem begreifen, worauf es für sein Glück ankommt: daß es nicht das Atom ist, sondern sein Herz...“

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