Das vergessene Wissen in der Osterei-Tradition

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Das Osterei ist ein Symbol des Lebens - und das in einem ganz konkreten Sinne: Denn die Hennen verwandeln Kräuter und Kleingetier in eine gesunde Nahrung.

Was kann das Huhn im Vergleich zum Menschen? Beobachtet man im Frühling freilaufende Hennen, so wird man der Bedeutung des Schnabels gewahr. Die feinen Keimlinge und aufschießenden Gräslein vermag nur dieser Laufvogel zu ernten und zu verwerten. Der Mensch kann nur erschwert die kleinen Aufwüchse für sich nutzen. Evolutionsgeschichtlich betrachtet, ernährte sich der Mensch zu Frühlingsbeginn ebenso von den austreibenden Pflanzen.

Die Kraft der Kräuter findet sich im Ei

Die einstigen Wildbeuter hätten am Boden liegen müssen, um in der Not die Keimlinge und das ganz kleine Grünzeug ernten zu können. Dies hätte nicht nur einen enormen und komplizierten Aufwand bedeutet, diese Pflänzlein - mit Ausnahmen - zu ernten. Nur die Henne vermag zudem, Unmengen an Insekten, Würmern, Käfern, Kleinschnecken etc. aufzunehmen. Vor allem rund um den Kompost- und Misthaufen suchen und scharen sie nach Getier. Nicht zu vergessen ist im Frühling die natürliche "Lichtnahrung", die über das Federkleid aufgenommen wird und in Kombination mit pflanzlichem Futter Vitamine erschließen hilft. Der Mensch nutzte diese Umsetzung von kleinpflanzlicher und Kleintier-Nahrung durch die Vögel, indem er auf ihre Gelege zurückgriff. Deshalb hat das Ei um Ostern so eine wichtige Bedeutung.

Die Vielzahl auf den Narbenlücken keimenden Pflanzenarten dient als Futter. So sind Gänsefuß, Gänseblümchen, Guter Heinrich, Melden, Hühnerdarm, Fingerkraut, Kümmel, Kerbel, Vogelknöterich, Schlüsselblume, Giersch, Gundelrebe, Fraumantel, Spitzwegerich, Labkräuter, Stiefmütterchen, Schafgarbe, Hirtentäschel, Brenn- und Taubnessel etc. und Blüten, Samen und Halme von Rispen- und Weidelgräsern nicht nur als Sättigungsmittel, sondern vielmehr als heilwirksame Nahrung von Bedeutung. In den "Siebenerlei-" und "Neunerlei-Suppen" sind auch diese Kräuter enthalten.

Instinktiv gesunde Nahrungsaufnahme

Neben den Getreidebruchkörnern erschließen die Hennen auch aus Laubblättern und vielen Küchenabfällen ihre Nahrung. Heublumen sind zum Beispiel sehr energiereich und heilwirksam. Und der mehrmalige Gang der Nahrungssuche hat einen weiteren Nutzen: Die Hühner zerteilen die Kuhfladen und Schafkotbohnen mit den Krallen, um nach Gewürm und Maden zu suchen. Mit der Zerteilung erfolgt eine Düngung und durch das Aufkratzen der Grasnarbe eine dichtere Bestockung im Bewuchs der Wiesen und Weiden. Zudem wird das Keimbett für vorhandene Sämereien bereitet.

Hühner steuern über den Instinkt die Nahrungsaufnahme, der sie bei natürlichen Voraussetzungen nachgehen können. Das Fiedervolk benötigt besonders im Frühjahr frische Aufwüchse zu ihrer Gesunderhaltung. Aus keimenden Sämereien und Austrieben steht vitamin- und mineralstoffreiche Nahrung zur Verfügung, welche über dem Winter fehlt. Auch die Schnabelabstumpfung durch die Erdarbeit ist wesentlich, damit die Hennen nicht ihre Gelege anpecken. Mit dem Freilauf auf der Hühnerweide haben sie Möglichkeiten für die Reinigung des Federkleids im Sandbad, wird Stress gemindert und Konkurrenzverhalten abgemildert. Es ist auch das Wissen verloren gegangen, dass man solche hochqualitativen Eier mit orangegelben Dottern aus der natürlichen Freilandweide mit einem Hahn kranken Menschen zur Gesundung verabreichen soll.

Steinchen für den Magen

Das Freilaufhuhn nimmt notwendige Erdpartikel und Steinchen für den Steinmagen auf. Weder im Stall aus den Fertigfuttermischungen noch bei der üblichen überdachten Bodenhaltung in einem stationären Gehege bekommen sie solche. Muschelkalk kann den Kalkbedarf für die Eischalenbildung unterstützen. Zudem benötigen die Hühner kleine Steine, mit denen sie die Nahrung im Muskelmagen durch Reibbewegung zerkleinern. Ohne Steinchen funktioniert das Aufarbeiten des aufgenommenen Futters nicht und sinkt die Lebensdauer und der Gesundheitszustand dieser Tiere. Für die Hühner erschließen auch die Gehäuseschnecken den Kalk, welche diese aus Bodenpartikeln und Blattnahrung aufnehmen. Unsere Versuche haben ergeben, dass gesammelte leere Schneckengehäuse zerkleinert und wie getrocknete Hühnerschalen unter das Futter gemischt ebenso von den Hennen einverleibt werden.

Durch die intensive Stallbodenhaltung und einseitige Fütterung sinkt die Lebensdauer des Geflügels und sie werden krank, da ihnen wichtige Voraussetzungen zur Gesunderhaltung entzogen sind. Massentierhaltung schafft die Voraussetzung für epidemieartiges Auftreten von Krankheiten. Eine ausgewogene, natürliche Ernährung unter den Bedingungen eines weiten Freilaufs oder Hühnergartens gewährleisten, auch wirklich glückliche Hühner und im wahrsten Sinn auch gehaltvolle Eier. Deshalb sollten wir uns den wahren Wert der Hühnereier vergegenwärtigen. Das Osterei sollte vom bäuerlichen Betrieb oder Markt bezogen werden und das gute Ei wieder im Dorf bleiben, wo es aus der Freilaufhaltung herrührt. Frohe Ostern!

* Der Autor lebt als Landschaftsökologe, Wanderforscher und Bauer in einem Mölltaler Bergdorf und befasst sich mit bäuerlichen Landnutzungsformen.

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