6718599-1965_02_05.jpg
Digital In Arbeit

Den Fuß in der Tür

Werbung
Werbung
Werbung

Immer wieder hört die Öffentlichkeit von der Schuldenlast einzelner Krankenhäuser im größten österreichischen Bundesland. Aber die genannten Millionenbeträge — in allen niederösterreichischen Krankenanstalten betrug der Betriebsabgang 1963 102,5 Millionen Schilling — machen keinen Eindruck, und der Leser wendet sich anderen, mehr spektakulären Meldungen zu. Wer glaubt nicht gerne, daß „das liebe Geld immer und überall zu knapp wird, und mancher mag wohl denken, daß vielleicht auch zuwenig gespart wurde, um nicht gleich das Wort Mißwirtschaft zu gebrauchen.

Tatsächlich wissen nur wenige davon, daß das Defizit Jahr für Jahr in unseren Krankenhäusern „geplant wird, wenn dieses Wort bei der wirtschaftlichen Monstrosität erlaubt ist, mit der das Jahresbudget erstellt wird. Und da ein Teil der Wissenden nicht gerne davon ^spricht — die Materie enthält einige „heiße Eisen —, scheint es Zeit, die Flucht an die Öffentlichkeit anzutreten.

Wie in jedem Wirtschaftskörper müssen auch in den niederösterreichischen Spitälern „Kosten und „Preise regelmäßig überprüft und angeglichen werden. Dies geschieht alljährlich bei der Erstellung des Budgets für das nächste Kalenderjahr, und hier wird bewußt nicht kostendeckend kalkuliert: Zunächst einmal dadurch, daß der Verpflegs-tag nach dem Effektivaufwand des Vorjahres angesetzt wird, ohne die ständig steigenden Preise zu berücksichtigen. Das wäre noch nicht so schlimm, wenn nicht von diesen bereits unter den Selbstkosten liegenden Verpflegssätzen noch gewaltige Abstriche für die Krankenversicherungsträger (Krankenkassen) gemacht würden.

Diese Rabatte von nichtkostendeckenden Verpflegsgebühren liegen um 35 Prozent und werden auch von durchaus nicht notleidenden Versicherungsträgern beansprucht. Freilich ist nicht nur das Defizit, sondern auch seine (unvollständige und verschleppte) Abtragung geplant. Nach der derzeit gültigen Rechtslage wird der Betriebsabgang zu 50 Prozent vom Land und dem Krankenhaussprengel getragen, auf den Bund entfallen 18,75 Prozent und der Rest von 31,25 Prozent auf die spitalserhaltende Gemeinde. Während nun vom Land, das auch die Agenden der Sprengel übernommen hat, der wirtschaftlich einzig richtige Weg einer Bevorschussung (Vorauszahlung) gewählt wurde und auch die finanziell meist ohnedies schlechtgestellten Gemeinden nach Kräften ihrer Verpflichtung nachkommen, hat sich die für den Bundesbeitrag zuständige Stelle im Sozialministerium eine Fleißaufgabe gestellt. Von dort langen die fälligen Gelder im Durchschnitt erst nach zwei Jahren ein.

Da nicht nur keine Reserven, sondern eine permanente Verschuldung gegenüber den Lieferfirmen besteht, müssen zusätzliche Kredite genommen werden, deren Zinsen den Betriebsabgang vergrößern. Dies alles hat zur Folge, daß der Verwaltungsapparat unnötig belastet wird und sich aufbläht, das Geld der Steuerzahler daher den Kranken unnötig verdünnt zufließt. Nicht zuletzt muß noch darauf hingewiesen werden, daß die Seriosität des Geschäftsverkehrs mit den Krankenanstalten unter der permanent ungewissen Zahlungsfähigkeit zwangsläufig leiden muß. Wie soll ein Geschäftsmann sein Offert berechnen, wenn er nicht weiß, ob es ihm gelingen wird, sein Geld sofort zu bekommen, oder ob er jahrelang warten muß?

Neben der wirtschaftlichen und verwaltungsmäßigen Kuriosität dieser Praxis fällt aber noch ein schwer verständlicher Umstand auf: Die von vier Stellen subventionierten Spitäler subventionieren ihrerseits die Krankenversicherungsträger durch Gewährung wirtschaftlich un-gerechtfertigteciRabatt ;^An- dieser Stelle muß man sich fragen, warum noch nie jemand auf die Idee kam, diese verworrenen Verhältnisse zu entflechten und den ernsthaften Versuch zu unternehmen, aus unseren Krankenhäusern übersichtliche und nach klaren Gesichtspunkten geordnete“ Wirtschaftskörper“ zu machen. (Gelegentliche rethorische Seitenhiebe sind zuwenig.) Warum wird die Diagnose zuerst von den Ärzten laut und haben sich nicht schon lange Wirtschaftsfachleute eingeschaltet? Die > Antwort ist für jeden Eingeweihten klar: zu viele österreichische Tabus wurden in das KAG und in die Durchführungsbestimmungen des Landes hinein verarbeitet. Kann man einerseits von Seiten der ÖVP keine prinzipielle Stellungnahme zum Abbau der Subventionspolitik erwarten, so verteidigt die andere „Reichshälfte die günstige Situation der Sozialversicherungsträger im jetzigen Zustand. Tatsächlich können die Krankenversicherungen nämlich den Anschein bei den Versicherten erwek-ken, als kämen sie für die Krankenhauskosten auf. In Wirklichkeit tun sie es aber nur zum Teil, während sich der andere Teil auf die Steuerzahler verteilt. — Nur nebenbei muß hier angemerkt werden, daß der bisherige Zustand tatsächlich eine soziale Ungerechtigkeit gegenüber den Bauern ist, die volle Verpflegs-sätze zahlen müssen, während ein Gastwirt, Handwerksmeister oder Beamter, so wie jeder Angestellte, ohne Rücksicht auf sein Einkommen den Spitalsaufenthalt subventioniert bekommt.

Beide müssen gemeinsam besprochen werden. Man kann sie auf die einfache Formel bringen: Die Behandlung ist schwierig, aber erfolgversprechend — soweit sie durchgeführt wird. Ohne Therapie sind die Aussichten für die niederösterreichischen Spitäler, und damit ihre Kranken, schlecht. Wir werden zwar weiter Spitäler haben, aber sie werden im senilen Marasmus dahinvegetieren. Ein Schicksal, das weder die Behandelten noch die Behandler darin verdienen. Hier ist kein Platz für propagandistischen Zweckpessimismus. Jede Schwarzmalerei muß nicht nur uns und die Abteilung, an denen wir arbeiten, in Mißkredit bringen, sondern würde auch eine nicht vertretbare Verängstigung unter unseren Patienten erzeugen. Aber einige wenige und unbestrittene Tatsachen sollen doch hier klar ausgesprochen werden: Die Medizin /vom. beute kann auf die Dauer nicht mit Mitteln aus dorn vorigen Jahrhundert- betrieben werden, Sie ist an sich aufwendiger geworden und außerdem durch die soziale und wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahre weiterhin in Bedrängnis geraten. Arbeitszeitverkürzung, Ab-werbung qualifizierter Arbeitskräfte, die personellen Schwierigkeiten der uns beliefernden und die anfallenden Reparaturen betreuender Firmen, das sind nur drei Schlagworte, um zu zeigen, wie sich die allgemeine Situation für unsere Spitäler auswirkt. Der Fragenkomplex wäre wert, einer soziologischen Studie unterworfen zu werden. Hier genügt es, aufzuzeigen, daß die finanzielle Ausstattung der öffentlichen Krankenhäuser nicht zweckmäßig nach Normen erfolgen kann, die vor Jahrzehnten und unter ganz anderen Voraussetzungen gegeben wurden. (Das „neue KAG vom 7. Jänner 1957 beziehungsweise 5. November 1957 stellt leider eine Verschlechterung gegenüber der Situation vor 1938 dar.) Auf die Dauer können die besonders in Agrar- und Forstwirtschaftsgebieten finanzschwachen Gemeinden den unter den geschilderten Voraussetzungen immer größer werdenden anteiligen Abgang nicht tragen, ohne die dringend notwendige Bautätigkeit in den Krankenhäusern völlig zum Stillstand kommen zu lassen. Was das bedeutet, braucht nicht näher ausgeführt zu werden.

Was also kann getan werden? — Hier kann wohl vom Arzt kein erschöpfender Reformplan erwartet werden. Die niederösterreichischen Primarärzte haben zwar ihre Vorschläge an die zuständige Ärztekammer erstattet, aber ohne den Willen zur Zusammenarbeit auch bei den Verwaltungsfachleuten und vor allem der einflußreichen Politiker beider Parteien werden diese Vorschläge Papier bleiben. Und hier tritt an die Stelle des nie aufgebenden Arztes der gelernte Österreicher. Kann man es glauben, daß sachliche Zusammenarbeit an Stelle von Positionsverteidigung treten, klare Definitionen Tabus verdrängen wer-r den? Noch mehr: wird man glauben, daß diese Zeilen niemandem zuleide, sondern nur aus Sorge um unsere Kranken geschrieben wurden? Wir müssen hoffen und den Fuß in der Tür lassen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung